Leitsatz (amtlich)

a) Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der - in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte - Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Ergibt sich die Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (im Anschluss an BGH v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207).

b) Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel neue Erkenntnisse i.S.d. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (im Anschluss an BGH v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207).

 

Normenkette

FamFG § 68 Abs. 3 S. 2, § 280 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 28.03.2013; Aktenzeichen 309 T 36/13)

AG Hamburg-St. Georg (Entscheidung vom 26.02.2013; Aktenzeichen 993 XVII P 3651)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 9 des LG Hamburg vom 28.3.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Betroffene leidet an einer chronifizierten schizoaffektiven Störung mit depressiver Symptomatik. Im Sommer 2011 wurde erstmals die Einrichtung einer Betreuung angeregt. In dem seinerzeit eingeholten Gutachten verneinte die Sachverständige jedoch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Betreuung gegen den Willen der Betroffenen. Im Februar 2012 kam es zu einer erneuten Betreuungsanregung. Die Sachverständige erstattete ein weiteres Gutachten, in dem sie eine Besserung des psychopathologischen Zustands feststellte und nach wie vor keine Indikation für die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung sah. Das Betreuungsgericht stellte daraufhin das Betreuungsverfahren erneut ein.

Rz. 2

Anlass für die hier gegenständliche Betreuung war die Anregung eines Krankenhauses, in dem die Betroffene wegen einer Schulterfraktur behandelt wurde. Danach hat die Betroffene mehrmals im Beisein der Ärzte geäußert, dass sie schon öfter häusliche Gewalt durch ihren Ehemann und Sohn erlebt habe. Das AG hat die Einholung eines medizinischen Gutachtens angeordnet und einen anderen Sachverständigen bestimmt, der sich als "ärztlicher Gutachter" bezeichnet hat.

Rz. 3

Das AG hat für die Betroffene schließlich einen Berufsbetreuer für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern, Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen sowie Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung, Kurzzeitpflege und Rehabilitation bestellt. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 5

Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Instanzgerichte die Sachkunde des zuletzt tätigen Gutachters nicht geprüft haben und das LG die Betroffene nicht erneut angehört hat.

Rz. 6

1. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der - in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte - Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Ergibt sich die Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (BGH v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207 Rz. 12 m.w.N.).

Rz. 7

Dem werden die instanzgerichtlichen Entscheidungen nicht gerecht. Obgleich sich dem vom AG zuletzt eingeholten Gutachten lediglich entnehmen lässt, dass der Sachverständige "ärztlicher Gutachter" ist, haben weder AG noch LG Feststellungen zur Qualifikation des Sachverständigen getroffen. Von der Prüfung dessen Sachkunde war das Gericht auch nicht etwa deshalb befreit, weil in den früheren - jeweils eingestellten - Betreuungsverfahren bereits eine Ärztin u.a. für Psychiatrie und Psychotherapie als Sachverständige tätig geworden ist. Zwar hat auch sie bei der Betroffenen eine chronische schizophrene Psychose diagnostiziert. Allerdings hat sie in ihren beiden Gutachten im Ergebnis die Anordnung einer Betreuung für nicht indiziert gehalten. Ersichtlich hat das AG seine Entscheidung deshalb auch nicht auf diese Gutachten gegründet, sondern die Einholung eines neuen Gutachtens für erforderlich gehalten, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Wenn aber ein Sachverständigengutachten eingeholt wird und das Gericht seine Entscheidung darauf stützt, muss dieses den formalen Anforderungen des § 280 FamFG auch dann genügen, wenn es verfahrensrechtlich nicht obligatorisch ist (vgl. BGH v. 9.11.2011 - XII ZB 286/11, FamRZ 2012, 104 Rz. 15 f.).

Rz. 8

2. Ebenfalls zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das LG von einer erneuten Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren nicht hätte absehen dürfen.

Rz. 9

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren immer dann erforderlich, wenn von ihr neue Erkenntnisse i.S.d. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten sind, was in der Regel dann der Fall ist, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (vgl. BGH v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207 Rz. 21).

Rz. 10

Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht die Betroffene selbst anhören müssen. Während sie noch bei ihrer Anhörung im amtsgerichtlichen Verfahren ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Bestellung eines Berufsbetreuers erklärt und zum Ausdruck gebracht hat, dass sie nicht von ihrem Sohn betreut werden will, hat sie in ihrer Beschwerde das Gegenteil geäußert. Deswegen hätte sich das LG durch eine Anhörung der Betroffenen selbst einen Eindruck davon verschaffen müssen, ob sie tatsächlich nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden (vgl. BGH v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207 Rz. 22).

Rz. 11

Von einer weiteren Begründung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Rz. 12

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Rz. 13

Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, dass eine Betreuung für die Betroffene anzuordnen ist, spricht im Ergebnis nichts dagegen, ihr einen Berufsbetreuer zu bestellen. Selbst wenn die Bestellung ihres Sohnes zum Betreuer dem Willen der Betroffenen entsprechen sollte, dürfte dies auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zum gewaltsamen Verhalten des Sohnes seiner Mutter gegenüber dem Wohl der Betroffenen i.S.v. § 1897 Abs. 1 Satz 1 BGB zuwiderlaufen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 5488791

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