Entscheidungsstichwort (Thema)

Dieselskandal

 

Leitsatz (redaktionell)

Mit der von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Möglichkeit von Steuernachforderungen lässt sich ein Feststellungsinteresse nicht begründen. Ihr war nicht hinreichend zu entnehmen, dass vernünftigerweise mit einer nachteiligen Steuerfestsetzung zu rechnen ist.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1, § 544; BGB § 826; KraftStG § 8

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.03.2021; Aktenzeichen 17 U 19/19)

LG Hanau (Urteil vom 04.12.2018; Aktenzeichen 1 O 1103/17)

 

Tenor

Die im Rechtsstreit angefallenen Gerichtskosten werden dem Kläger zu 72 % und der Beklagten zu 1 zu 28 % auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 hat der Kläger zu tragen. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird bezüglich der Beklagten zu 1 auf bis 30.000 EUR und bezüglich der Beklagten zu 2 auf bis 25.000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Der Kläger hat gegen die Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal geltend gemacht. Von der Beklagten zu 1, der Verkäuferin des Fahrzeugs, hat er die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 27.951 EUR, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, begehrt sowie sie auf Feststellung des Annahmeverzugs in Anspruch genommen. Im Hinblick auf die Beklagte zu 2, die Herstellerin des Fahrzeugs, hat der Kläger beantragt, deren Verpflichtung festzustellen, ihm Ersatz für Schäden zu leisten, die aus der Manipulation des Fahrzeugs entstanden seien. Ferner hat er im Hinblick auf beide Beklagte (getrennt) die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

Rz. 2

Die Klage gegen die Beklagte zu 1 hat in erster Instanz zum Teil Erfolg gehabt, die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 hat es die Klage insgesamt abgewiesen.

Rz. 3

Zur Begründung hat das Berufungsgericht – soweit im derzeitigen Verfahrensstadium noch von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte zu 1 könne sich mit Erfolg auf die Einrede der Unverhältnismäßigkeit der vorgerichtlich vom Kläger verlangten Nachlieferung berufen (§ 439 Abs. 3 BGB aF). Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass durch das ihm von der Beklagten zu 1 zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung angebotene Software-Up-date Folgeschäden am Fahrzeug entstünden. Die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Feststellungsklage betreffend die Schadensersatzpflicht unter anderem nach Maßgabe des § 826 BGB sei mangels Bestehens eines Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) unzulässig. Es sei weder schlüssig dargelegt noch sonst erkennbar, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen und dem Kläger die Erhebung einer Leistungsklage nicht zumutbar sei.

Rz. 4

Gegen diese Entscheidung hat sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde gewandt. Nach Eingang der Beschwerdeerwiderung haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 5

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 91a ZPO von Amts wegen – nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands – über alle bisher entstandenen Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.

Rz. 6

1. Für die Billigkeitsentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt es vornehmlich darauf an, welchen Ausgang der Rechtsstreit mutmaßlich genommen hätte und welche Partei dementsprechend mit den Kosten belastet worden wäre, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – VIII ZR 346/19, NJW 2021, 1887 Rn. 4; vom 21. März 2022 – VIa ZR 475/21, juris Rn. 2; vom 4. April 2022 – VIa ZR 360/21, juris Rn. 2; jeweils mwN). Es kommt daher darauf an, ob die Nichtzulassungsbeschwerde des im Berufungsverfahren unterlegenen Klägers zur Zulassung der Revision geführt und – falls dies zu bejahen ist – welchen Ausgang der weitere Rechtsstreit im Anschluss daran voraussichtlich genommen hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2021 – VIII ZR 346/19, aaO Rn. 4).

Rz. 7

Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO nicht den Zweck hat, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – VIII ZB 28/08, NJW-RR 2009, 422 Rn. 5; vom 21. März 2022 – VIa ZR 475/21, aaO; vom 4. April 2022 – VIa ZR 360/21, aaO; jeweils mwN). Grundlage der Entscheidung ist demgemäß lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu entscheiden (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – VIII ZB 28/08, aaO; vom 9. März 2022 – VII ZR 100/21 und VII ZR 735/21, jeweils juris Rn. 2; jeweils mwN).

Rz. 8

2. Danach ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Prozessausgang im Hinblick auf die Beklagte zu 1 offen war, während die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte.

Rz. 9

a) Im Hinblick auf die auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (nebst Nebenansprüchen) gerichtete Klage gegen die Beklagte zu 1 entspricht es unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands der Billigkeit, die Kosten gegeneinander aufzuheben. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat unter anderem geltend gemacht, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) zuzulassen, weil das Berufungsgericht die an den Vortrag des Klägers zu stellenden Substantiierungsanforderungen bezüglich behaupteter Folgeschäden, die mit dem Aufspielen eines zur Behebung der vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung angebotenen Software-Updates verbunden seien, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG überspannt habe. Dies trifft zu. Das Berufungsgericht hat die zumindest für die Frage der Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Nachbesserung (vgl. etwa § 440, § 326 Abs. 5 BGB) relevante und unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers, das Software-Update führe zu Folgemängeln, rechtsfehlerhaft als unzureichend bewertet und damit das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – VIII ZR 280/20, NJW 2022, 935 Rn. 16 ff.). Danach hätte bei Fortführung des Verfahrens in der Hauptsache die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des klageabweisenden Urteils gegen die Beklagte zu 1 und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht geführt. Angesichts der voraussichtlich erforderlichen Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht wäre der Prozessausgang insoweit aber offen gewesen, so dass in diesem Prozessrechtsverhältnis eine Kostenaufhebung angezeigt ist.

Rz. 10

b) Im Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2 entspricht es dagegen billigem Ermessen, dem Kläger sämtliche Kosten aufzubürden. Denn insoweit wäre er mit mindestens überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache unterlegen. Dies reicht aus, um gemäß § 91a ZPO einer Partei die Kosten aufzuerlegen (BGH, Beschluss vom 25. April 2022 – VIa ZR 452/21, juris Rn. 4 mwN). Dabei kann dahinstehen, ob bezüglich der Abweisung der Feststellungsklage mangels Bestehens eines Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) überhaupt einer der geltend gemachten Zulassungsgründe greift. Denn jedenfalls ist gegen die Abweisung der Feststellungsklage als unzulässig aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern, so dass das Berufungsurteil selbst bei Zulassung der Revision insoweit Bestand gehabt hätte. Bezüglich der vom Berufungsgericht daneben ausgesprochenen Abweisung der Klage auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten ist eine Gehörsverletzung als allein geltend gemachter Zulassungsgrund nicht hinreichend dargetan, so dass der Kläger insoweit bereits deswegen bei Fortführung des Verfahrens unterlegen wäre.

Rz. 11

aa) Die von der Nichtzulassungsbeschwerde angeführte Erwartung des Klägers, aufgrund eines rechtskräftigen Feststellungsurteils werde die Beklagte zu 2 ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, vermag ein Feststellungsinteresse des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) nicht zu begründen. Denn durch ein Feststellungsurteil wäre lediglich die Haftung dem Grunde nach festgestellt, während die Schadenshöhe nicht auf der Hand liegt, so dass ein entsprechendes Urteil voraussichtlich nicht zu einer endgültigen Erledigung führen würde (vgl. BGH, Urteile vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 23; vom 2. Mai 2022 – VIa ZR 122/21, juris Rn. 21). Der diesbezügliche Vortrag des Klägers ist damit rechtlich unerheblich.

Rz. 12

Mit der von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Möglichkeit von Steuernachforderungen lässt sich ein Feststellungsinteresse ebenfalls nicht begründen. Sie beruft sich darauf, dass bereits die Möglichkeit weiterer Schäden ausreichend und insoweit nicht eine Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Erfordernis bei künftigen Vermögensschäden BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 28 mwN) zu fordern sei. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in den Fällen, in denen bereits ein Teilschaden eingetreten ist, die Zulässigkeit einer Feststellungklage nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden abhängig gemacht (Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, aaO Rn. 27 f.). Vorliegend kann dahinstehen, ob diese Herabsetzung der Anforderungen an ein Feststellungsinteresse auch auf den vorliegenden Fall übertragbar wäre. Denn jedenfalls fehlt es an der Möglichkeit weiterer Schäden, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, aaO Rn. 28 mwN). So liegt es hier, weil – worauf die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist – auch dem von der Beschwerdebegründung als übergangen gerügten Sachvortrag des Klägers nicht hinreichend zu entnehmen ist, dass vernünftigerweise mit einer nachteiligen Steuerfestsetzung zu rechnen ist.

Rz. 13

bb) Von einer Abtrennung des gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Beschwerdeverfahrens gemäß § 145 Abs. 1 ZPO und einer Abgabe des Rechtsstreits an den zur Zeit des Eingangs der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit primär zuständigen VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sieht der Senat im derzeitigen Verfahrensstadium ab, weil eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, wie ausgeführt, nicht den Zweck hat, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden. Ungeachtet dessen hängt die zu treffende Entscheidung auch nicht von solchen Fragen ab.

Rz. 14

c) Es entspricht nach alledem billigem Ermessen, die Gerichtskosten dem Kläger zu 72 % und der Beklagten zu 1 zu 28 % aufzuerlegen und dem Kläger die im Rechtsstreit angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 aufzubürden.

 

Unterschriften

Dr. Bünger, Kosziol, Wiegand, Dr. Matussek, Dr. Reichelt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15292134

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