5.1 Grundsatz

Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht wird von den Umständen des Einzelfalls bestimmt. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise Gefahren ausräumen oder jedenfalls vor ihnen warnen. Die Verkehrssicherungspflicht reicht grundsätzlich nur so weit, wie der bestimmungsgemäße Verkehr auf der Baustelle eröffnet ist. Da nur für einen begrenzten, mit den üblichen Gefahren einer Baustelle vertrauten Personenkreis ein beschränkter Verkehr auf der Baustelle eröffnet ist, sind auch an den Umfang der zu treffenden Sicherungsmaßnahmen geringere Maßstäbe anzulegen. Bei "baustellenerfahrenen" Personen und offenkundigen Gefahrenquellen kann dementsprechend die Haftung entfallen.[1]

Anderen Personen gegenüber, jedenfalls soweit sie erwachsen sind, kommt der für einen Neubau Verkehrssicherungspflichtige seiner Pflicht dadurch nach, dass vor der Baustelle auf einem Hinweisschild Unbefugten das Betreten der Baustelle verboten wird.[2] Auch müssen sich Passanten in Baustellenbereichen auf "Stolperfallen" einstellen: Höhenunterschiede von bis zu 5 cm begründen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.[3]

Unbefugter Aufenthalt

Zudem ist der Schutz der dort zu beachtenden Verkehrssicherungspflichten auf die Personen beschränkt, die sich berechtigterweise in dem Baustellenbereich aufhalten. Unbefugten Besuchern gegenüber wird der Verkehrssicherungspflicht im Regelfall bereits durch das Betretungs- bzw. Durchfahrtsverbot genügt. Nur wenn der Verantwortliche wusste oder zumindest damit rechnen musste, dass sich auch unbefugte Verkehrsteilnehmer in dem Baustellenbereich aufhalten, können ausnahmsweise Verkehrssicherungspflichten auch gegenüber diesen Personen bestehen.[4]

[1] OLG Brandenburg, Urteil v. 13.9.2005, 11 U 20/05, r + s 2007 S. 119.
[2] BGH, Urteil v. 11.12.1984, VI ZR 292/82, NJW 1985 S. 1078.
[3] LG Köln, Urteil v. 10.10.2002, 7 O 42/01, NJW-RR 2003 S. 386.

5.2 Sicherungspflicht gegenüber Besuchern

Häufig zeigen Bauherren ihren Verwandten und Bekannten den Rohbau des neuen Hauses und führen sie darin herum. Für die Sicherheit von Besuchern ist grundsätzlich der Bauherr verantwortlich, der ihnen den Zugang zur Baustelle eröffnet. Dieser muss selbst die Gefahren kennen, denen er seine Besucher aussetzt; er muss sie fernhalten, warnen oder sonst wie Vorsichtsmaßnahmen treffen.

Für den verkehrssicherungspflichtigen Architekten oder Bauunternehmer besteht in solchen Fällen ausnahmsweise nur dann eine Sicherungspflicht, wenn für ihn erkennbar ist, dass der Bauherr es unter Verstoß gegen seine eigene Verkehrssicherungspflicht duldet, dass die Besucher ohne Begleitung Baukundiger Zutritt zu dem Rohbau erhalten.[1]

 
Praxis-Beispiel

Haftung bei Richtfest

Eine Besucherin der Baustelle war im offenen Schalungsbereich des Treppenhauses auf eine Leiter gestiegen, die den Zutritt zu den Kellerräumen ermöglichte, und dabei hinabgestürzt. Ihre Schadensersatzklage gegen den Bauunternehmer blieb vor dem OLG Hamm[2] erfolglos. Es habe sich bei dem offenen Schalungsbereich nicht um eine außergewöhnliche Gefahrenstelle gehandelt. Der Bauunternehmer habe ferner nicht im Hinblick auf das Richtfest für eine gefahrlose Begehbarkeit der Treppenhausschachtabdeckung sorgen müssen. Für die Sicherung derjenigen Personen, denen die Bauherren "ihre" Baustelle zeigen wollen, seien – entsprechend der Rechtsprechung des BGH – grundsätzlich die Bauherren allein verantwortlich.

[1] BGH, Urteil v. 11.12.1984, VI ZR 292/82, NJW 1985 S. 1078.

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