Überlange Gerichtsverfahren - Verfahrensdauer und Entschädigung

Wehren sich Steuerpflichtige gerichtlich gegen eine Entscheidung des Finanzamts, dauert es oft lange bis ein Urteil gefällt ist. Der BFH hat sich aktuell zur Verfahrensdauer und zur Entschädigung für überlange Gerichtsverfahren geäußert.

Der BFH hat seine Rechtsprechung bestätigt (BFH, Urteil v. 26.10.2016, X K 2/15), dass für ein finanzgerichtliches Klageverfahren grundsätzlich eine Dauer von 2 Jahren angemessen sei. Erst dann könne eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben werden.

Praxis-Hinweis: Diese Voraussetzungen müssen für eine Entschädigungszahlung erfüllt sein

Bereits seit einigen Jahren besteht ein Anspruch auf eine Entschädigung, wenn ein Gerichtsverfahren eine unangemessene, überlange Dauer hat. Allerdings ist ein solcher Anspruch von einigen Voraussetzungen abhängig, die es stets genau zu prüfen gilt. Dies sind:

  • ein Gerichtsverfahren oder Strafverfahren von einer überlangen Dauer und
  • Erhebung einer Verspätungsrüge zu einem zutreffenden Zeitpunkt.

Sind beide Voraussetzungen erfüllt, kann eine Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile, die aus der überlangen Dauer resultieren, erfolgen. Leider gilt die Bestimmung nicht für überlange Verwaltungsverfahren, es wäre angezeigt, dass der Gesetzgeber auch hier handelt.

Hinzuweisen ist darauf, dass auch bei Erhebung einer Klage nach den §§ 198ff. GVG ein allgemeiner Amtshaftungsanspruch nicht ausgeschlossen ist. Die erste zentrale Frage in der Anwendung der Entschädigungsregelung ist somit, wann ein Gerichtsverfahren eine unangemessene Dauer hat. Dies lässt sich nicht allgemein gültig beantworten, wie auch dem Gesetzgeber bewusst war, sondern nur anhand der Umstände im jeweiligen Einzelfall.

Allerdings gibt es in der Zwischenzeit Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage, die zumindest einen Anhaltspunkt bietet. Während in der Literatur aufgrund einer Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oftmals eine Frist von 1 Jahr pro Instanz als angemessen angesehen wird, vertritt der BFH eine weitere Auffassung, wohl auch im eigenen Interesse. Hiernach ist von einer Unangemessenheit nur dann auszugehen, wenn eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze der Angemessenheit vorliegt. Bei einem finanzgerichtlichen Verfahren, das keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, spricht indes die Erfahrung laut BFH dafür, dass noch von einer Angemessenheit auszugehen ist, wenn das Gericht etwa 2 Jahre nach dem Eingang der Klage in die Entscheidungsphase tritt. Diesen Zeitraum von 2 Jahren hat der BFH in seiner Entscheidung bestätigt.

Ganz wichtig ist es aber zu erkennen, dass neben der überlangen Dauer auch eine Rüge erforderlich ist. Diese muss zu dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem Anlass der Besorgnis der überlangen Dauer besteht. Wird die Rüge nicht oder zu früh erhoben, kommt eine Entschädigung nach den §§ 198ff. GVG nicht in Betracht. Sofern an die Erhebung einer Entschädigungsklage wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens gedacht wird, ist es deshalb in jedem Fall angezeigt, die Voraussetzungen durch einen Fachmann prüfen zu lassen.

Schätzung von Einkünften aus 2001 bis 2004 im Jahr 2010

Die Klägerin machte eine Entschädigung wegen einer überlangen Dauer eines Finanzgerichtsverfahrens geltend. Dieses hatte sie als Alleinerbin ihres Mannes geführt, der wiederum Alleinerbe seines Bruders B gewesen war. Bei dem B war streitig, ob und ab wann er Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten hatte. Das Finanzamt hatte 2010 und 2012 dabei die Einkünfte für 2001 bis 2004 geschätzt, die Finanzgerichtsklage hiergegen wurde im November 2012 erhoben:

  • Schriftsätze hierzu wurden bis Mitte 2013 gewechselt.
  • Im Januar 2014 erhob die Klägerin eine Verzögerungsrüge,
  • im Februar 2014 verwies das Gericht auf eine Vielzahl von anderen anhängigen Verfahren.
  • Schließlich gab der Einzelrichter der Klage im Mai 2015 statt.
  • Im Juni 2015 erhob die Klägerin Entschädigungsklage aufgrund der überlangen Verfahrensdauer.

Entscheidung: Angemessen, wenn das Gericht 2 Jahre nach Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt

Die Klage wurde vom BFH in den wesentlichen Teilen abgewiesen. Eine unangemessene Dauer sei nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen. Bei einem Finanzgerichtsverfahren, das keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, könne man dabei regelmäßig davon ausgehen, dass die Dauer des Verfahrens angemessen sei, wenn das Gericht gut 2 Jahre nach dem Eingang der Klage Maßnahmen beginne, die das Verfahren einer Entscheidung zuführe. Im Sachverhalt sei keine Besonderheit ersichtlich, so dass das Verfahren lediglich für 2 Monate unangemessen gewesen sei, nämlich für Dezember 2014 und Januar 2015. Eine Entschädigung komme gleichwohl nicht in Betracht, da es an einer wirksamen Verzögerungsrüge fehle. Diese dürfe nämlich erst dann erhoben werden, wenn die Besorgnis der Verzögerung gegeben sei. Zwar habe die Klägerin im Januar 2014 eine Verzögerungsrüge erhoben, zu diesem Zeitpunkt sei aber noch keine Besorgnis der Verzögerung festzustellen gewesen, da die Frist von 2 Jahren noch 10 Monate entfernt gewesen sei. Mangels wirksamer Verzögerungsrüge komme eine Entschädigung nicht in Betracht.

 

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