ff1) Grundlagen

 

Tz. 33

Das Realisationsprinzip ist eine Ausprägung des Vorsichtsprinzips (vgl. Kapitel 4 Tz. 117). Gewinne dürfen danach erst verbucht werden, wenn sie realisiert sind. Das ist im Grundsatz dann der Fall, wenn der Gewinn durch einen Umsatzakt am Markt verwirklicht worden ist.[65] Konkretisiert wird es durch das Anschaffungskostenprinzip (vgl. Tz. 666). Dadurch sind Beschaffungsvorgänge grds. erfolgsneutral, bis sich ein aus ihnen erzielbarer Gewinn am Absatzmarkt erwiesen hat. Das Realisationsprinzip gilt dabei sowohl für die Bewertung als auch den Ansatz.

Das Realisationsprinzip erfüllt gläubigerschützende Funktionen, da es die Ausschüttung von Gewinnen begrenzt. Es erlangt damit erhebliche gesellschaftsrechtliche Relevanz. In Rechtsordnungen mit einem am Prinzip des true and fair view stärker ausgerichteten Bilanzierungssystems wird das Realisationsprinzip z. T. in Form einer Ausschüttungssperre verankert.[66]

Nach h. M. gilt das Realisationsprinzip nicht nur für die Erfassung von Erträgen, sondern auch von Aufwendungen. Danach soll entscheidend sein, ob auch der Aufwand schon realisiert, oder ob er wirtschaftlich einer späteren Berichtsperiode zuzuordnen ist.[67] Vom Wortlaut der Nr. 4 ist das sicher nicht erfasst und entspricht eher dem Periodisierungsgedanken der Nr. 5. Dabei droht das Imparitätsprinzip zu stark in den Hintergrund zu rücken: es kann eine Aufwandsantizipation durchaus rechtfertigen. Darin liegt eine gesetzgeberische Wertentscheidung, die zu akzeptieren ist.[68] Praktisch relevant wird die Problematik für die Frage, wann eine Verpflichtung wirtschaftlich verursacht und entsprechend eine Schuld (i. d. R. eine Rückstellung) zu bilden ist.

 

Tz. 34

Entscheidende Bedeutung kommt der Feststellung des Realisationszeitpunktes zu; er entscheidet über die Zulässigkeit bzw. Pflicht eines bilanziellen Ansatzes der jeweiligen Kosten. Im Grundsatz ist der Realisationszeitpunk der Zeitpunkt, zu dem der Sach- bzw. Dienstleistungsschuldner die ihm obliegende Leistung erbracht hat oder die Preisgefahr auf den Gläubiger übergegangen ist (z. B. nach § 447 BGB).[69] Dabei kommt es auf die Leistungshandlung und nicht darauf an, ob bereits Erfüllung (§ 362 BGB) eingetreten ist; beides kann aber zusammenfallen (Bringschuld, Abnahme im Werkvertragsrecht, § 644 BGB). Zur Umsatzrealisation vgl. Kapitel 10 Tz. 369 ff.

[66] Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, 153; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft – Krise und Insolvenz im englischen und deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrecht, Tübingen 2011, 14.
[67] Ballwieser, in: MüKo-HGB, § 252 Rn. 64 f.; Hommel/Berndt, BB 2009, 2190 (2192); Moxter, GoB, S. 49 f.; Wohlgemuth/Radde, in: Bonner HdR, § 252 HGB Rn. 39.
[68] Christiansen, DStR 2009, 2213, 2215; Tiedchen, in: MüKo-BilR, § 252 HGB Rn. 63; anders Hommel/Berndt, BB 2009, 2190, 2192; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, Düsseldorf 2003, 49 f.
[69] Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 252 HGB Rn. 19.

ff2) Einzelfälle

 

Tz. 35

Verkaufsgeschäfte

Im Falle von Verkaufsgeschäften besteht die Problematik, dass unterschiedliche Zeitpunkte existieren, die für eine Ertragsrealisation in Betracht kommen. Denn es bestehen Gefahrtragungsregeln, Widerrufsrechte und Gewährleistungsrechte, die dafür sorgen, dass ein Ertrag nicht bereits dann als sicher verdient gelten kann, wenn die gelieferte Ware das Lager des Verkäufers verlassen hat. Grundsätzlich gilt, dass die Preisgefahr auf den Käufer übergeht, wenn der Verkäufer die Sache dem Käufer übergibt (§ 446 BGB). Ab diesem Moment trägt der Käufer die Gefahr der zufälligen Verschlechterung und des zufälligen Untergangs der Sache. Im Falle einer Schickschuld ist gem. § 447 BGB der Zeitpunkt der Übergabe an die Transportperson maßgeblich, der Zeitpunkt wird also vorverlagert. Dies gilt allerdings nicht, wenn es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, der Kunde (des Unternehmers, § 14 BGB) also ein Verbraucher (§ 13 BGB) ist. Dann bleibt es dabei, dass die Gefahr erst mit Übergabe auf den Käufer übergeht (§ 475 BGB). Außerdem haben Verbraucher regelmäßig Widerrufsrechte (z. B. bei Fernabsatzverträgen) oder freiwillig eingeräumte Rückgaberechte. Schließlich bestehen Gewährleistungsrechte, wenn diese nicht ausgeschlossen wurden oder nicht ausgeschlossen werden konnten, was insbesondere gegenüber Verbrauchern aus Rechtsgründen der Fall ist. In allen diesen Fällen verbleibt also ein Risiko, dass der Anspruch auf Zahlung noch nicht in dem Moment dauerhaft dem kaufmännischen Vermögen zuzuordnen ist, der Erlös also noch nicht realisiert ist.

 

Tz. 36

Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Gefahrübergangs.[70] Ab diesem Zeitpunkt kann der Kaufmann davon ausgehen, den Anspruch auf die Gegenleistung verdient zu haben. Gegenüber einem Unternehmen ist deshalb regelmäßig der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Ware an den Spediteur übergeben wurde. Die übliche Praxis, bereits mit Rechnungsstellung zu buchen, ist deshalb unzulässig, wenn ...

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