a) Überblick

 

Tz. 76

Aus § 290 Abs. 1 HGB folgt, dass jedes Mutterunternehmen grundsätzlich zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet ist, auch wenn es seinerseits Tochterunternehmen eines anderen (übergeordneten) Mutterunternehmens ist (sog. Pflicht zur Teilkonzernrechnungslegung oder Tannenbaumprinzip). Zur Vermeidung einer Vielzahl von Teilkonzernabschlüssen im mehrstufigen Konzern befreit die Norm des § 291 HGB bestimmte (nachgeordnete) Mutterunternehmen von der Verpflichtung zur (Teil-)Konzernrechnungslegung. Abs. 1 benennt die Anforderungen an das übergeordnete (= befreiende) Mutterunternehmen (insbesondere Sitz im Inland oder in einem EU/EWR-Mitgliedstaat) und verlangt für die Befreiung, dass das (übergeordnete) Mutterunternehmen seinerseits einen Konzernabschluss und Konzernlagebericht einschließlich Bestätigungs- oder Versagungsvermerk in deutscher Sprache offenlegt. Abs. 2 enthält detaillierte Vorgaben, wie der (befreiende) Konzernabschluss und Konzernlagebericht ausgestaltet sein muss (vgl. Tz. 85 ff.). Ferner enthält Abs. 2 ergänzende Regelungen für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen (vgl. Tz. 89). Abs. 3 schließt demgegenüber zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern bestimmte (nachgeordnete) Mutterunternehmen – trotz Vorliegens der Voraussetzungen von Abs. 1 und 2 – von der Befreiungsmöglichkeit aus (vgl. Tz. 91 ff.).

b) Entstehungsgeschichte

 

Tz. 77

Die Norm wurde durch das BiRiLiG 1985 mit Wirkung vom 1.1.1990 in das HGB eingefügt und diente der Umsetzung der 7. EG-RL vom 13.6.1984 (Konzern-Bilanz-RL)[151]. Zuvor folgte das deutsche Bilanzrecht dem System der Gesamtkonzernrechnungslegung, das einen Teilkonzernabschluss nur in Ausnahmefällen vorsah. Das BiRiLiG führte einerseits die generelle Teilkonzernrechnungslegungspflicht ein, schränkte sie andererseits aber durch weitreichende Befreiungstatbestände (§§ 291, 292 HGB) wieder ein. Statuierte Abs. 1 zunächst nur eine Befreiung, wenn das (übergeordnete) Mutterunternehmen seinen Sitz im Inland oder in einem EG-Mitgliedstaat (heute: EU-Mitgliedstaat) hatte, wurde dies durch das EWR-AusführungsG 1993 ab dem 1.1.1994 auf betreffende Mutterunternehmen mit Sitz in den EWR-Staaten ausgedehnt.

Das BilMoG 2009 hat die Regelungen in Abs. 1 und 2 unverändert übernommen. Allerdings wurden die Ausnahmetatbestände in Abs. 3, die zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern gleichwohl eine Teilkonzernrechnungslegung vorsehen, enger gefasst (vgl. Tz. 93).

Die Änderungen in Abs. 2 durch das BilRUG gehen auf Richtlinie 2013/34/EU zurück und regeln, dass auch Konzernabschlüsse eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässigen Mutterunternehmens, die nach Maßgabe der von der EU übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) aufgestellt wurden, befreiende Wirkung haben können.

[151] 83/349/EWG, ABl. EG 1983, L 193, 1.

c) Geltungsbereich

aa) Sachlicher Geltungsbereich

 

Tz. 78

Die Norm gilt in mehrstufigen Konzernen. Begünstigte der Befreiung von der Konzernrechnungslegungspflicht können sämtliche Mutterunternehmen i. S. d. § 290 HGB sein, die ihrerseits einem anderen Mutterunternehmen nachgeordnet und in dessen Konzernabschluss einbezogen sind. Dieses übergeordnete (befreiende) Mutterunternehmen muss seinen Sitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR haben (zu weiteren Anforderungen an das befreiende Mutterunternehmen vgl. Tz. 81 ff.). Hat das befreiende Mutterunternehmen seinen Sitz demgegenüber außerhalb der EU/des EWR, kommt eine Befreiung nach § 292 HGB in Betracht (vgl. Tz. 113 ff.).

bb) Zeitlicher Geltungsbereich

 

Tz. 79

Der durch das BilMoG 2009 modifizierte § 291 HGB ist zwingend auf Geschäftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2009 beginnen (Art. 66 Abs. 3 Satz 1 EGHGB). Wahlweise war bereits eine Anwendung auf Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2008 begannen, möglich.

Die durch das BilRUG eingefügte Änderung in Abs. 2 ist erstmals für das nach dem 31.12.2015 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 EGHGB).

d) Rechtspolitische Diskussion und Entwicklungsperspektiven

 

Tz. 80

Die Pflicht zur Aufstellung von Teilkonzernabschlüssen stand und steht im Spannungsverhältnis zwischen (i) dem als notwendig erachteten Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern eines Teilkonzerns und (ii) ihrer eingeschränkten Aussagefähigkeit sowie dem erhöhten Kostenaufwand.[152] Vor diesem Hintergrund sind Konzerne mit (übergeordneten) Muttergesellschaften im Inland oder im EU/EWR-Bereich nur noch in den Ausnahmefällen des Abs. 3 (typisierte Fälle des Minderheitenschutzes) zu einer Teilkonzernrechnungslegung verpflichtet. Durch das BilMoG 2009 wurden diese Ausnahmen auf ein sachgerechtes Maß reduziert. In der Praxis wird kritisiert, dass ein befreiender Konzernabschluss nach dem Wortlaut von Abs. 2 nach dem Recht des (ausländischen) Sitzstaates aufgestellt sein muss, auch wenn das betreffende Unternehmen in der Lage wäre, diesen nach HGB-Vorschriften aufzustellen.[153] Hier erscheint eine Erweiterung wünschenswert.

[152] Vgl. Senger/Hoehne, in: MüKo-BilR, § 291 HGB Rn. 2 sowie Küting, DB 2012, 1049 ff.
[153] Vgl. Kindler, in: GroßKo-HGB, § 291 HGB Rn. 31.

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