Leitsatz

1. Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine "mittelbare" Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (Änderung der Rechtsprechung).

2. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG ist unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3, Abs. 9a Nr. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 5 Abs. 6, Art. 17 Abs. 2 Buchst. a 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), Art. 16 Satz 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Organträgerin der A-GmbH. Die A-GmbH erhielt die Genehmigung zum Neuaufschluss und Betrieb eines Steinbruchs nur unter der Auflage, dass sie eine im Eigentum der Stadt X stehende Gemeindestraße bis zum 31.12.2006 ausbaut. In einem Vertrag verpflichtete sich die Stadt X zur Planung und Ausführung des Ausbaus dieses Streckenabschnitts und die (Rechtsvorgängerin der) A-GmbH zur Tragung sämtlicher Kosten im Zusammenhang mit dem Ausbau des Streckenabschnitts. Der Vertrag sollte auch für alle Rechtsnachfolger gelten.

Im Jahr 2006 beauftragte die A-GmbH die B-GmbH (ebenfalls eine Organgesellschaft der Klägerin) mit dem Ausbau der Gemeindestraße entsprechend der Vereinbarung mit der Stadt X. Im Jahr 2006 wurde die Straße fertiggestellt und die Nutzung aufgenommen. Neben dem Schwerlastverkehr der A-GmbH erfolgt eine (geringe) Pkw-Nutzung.

Die Klägerin zog die in den Eingangsleistungen der B-GmbH enthaltenen Umsatzsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2006 als Vorsteuer ab. Das FA nahm eine umsatzsteuerpflichtige unentgeltliche Lieferung gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an die Stadt an.

Das FG (Hessisches FG, Urteil vom 15.12.2016, 1 K 2213/13, Haufe-Index 11550048, EFG 2018, 495) gab der Klage teilweise statt. Es besteuerte zwar keine unentgeltliche Wertabgabe, aber versagte den Vorsteuerabzug.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage in vollem Umfang statt.

 

Hinweis

1. Mit dem Besprechungsurteil hat der BFH die ­Folgerungen aus dem EuGH-Urteil (Mitteldeutsche Hartstein-Industrie) vom 16.9.2020, C-528/19 (EU:C:2020:712) gezogen und der Klägerin den Vorsteuerabzug gewährt, ohne eine unentgeltliche Lieferung zu besteuern, obwohl der Gemeinde unentgeltlich eine Straße geliefert wurde. Dabei wurde die bisherige BFH-Rechtsprechung modifiziert.

2. Fortan ist nach dem Besprechungsurteil auch bei "mittelbarer" Veranlassung der Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn/soweit (= m.E. ggf. teilweiser Abzug)

  • die für das Unternehmen bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich ist, um dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, und
  • die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind, und
  • der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist.

3. § 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG ist nun dahingehend unionsrechtskonform einschränkend auszulegen, dass er nicht eingreift, wenn die Gefahr eines unversteuerten Endverbrauchs nicht droht. Dieser droht jedenfalls dann nicht, wenn (nicht: soweit, weil m.E. ein teilweiser unversteuerter Endverbrauch für eine Besteuerung ausreicht)

  • eine für die wirtschaftliche Tätigkeit erforderliche Eingangsleistung bezogen wird, um den unternehmerischen Bedürfnissen des Steuerpflichtigen nachzukommen,
  • die Eingangsleistung vor allem für die unternehmerischen Bedürfnisse des Steuerpflichtigen genutzt wird,
  • die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) vollständig im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und
  • der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist.
 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.12.2020, XI R 26/20 (XI R 28/17)

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