Von zentraler Bedeutung für die Verwirkung ist der Ablauf einer beachtsamen Zeitspanne zwischen dem Entstehen des Steueranspruchs und seiner Geltendmachung. Konkrete Fristen, wann ein solcher Zeitablauf gegeben ist, lassen sich allerdings nicht nennen[1], sondern es ist stets auf die Umstände im jeweiligen Einzelfall abzustellen[2], da sich aufgrund des Zeitablaufs ein besonderer Vertrauenstatbestand gebildet haben muss. Wann dies geschehen ist, lässt sich nicht generell sagen. Zudem ist zu beachten, dass die wichtigsten zeitlichen Grenzen vom Gesetzgeber durch die Verjährungsbestimmungen normiert sind. Für die Verwirkung ist deshalb nur dort ein Anwendungsbereich vorhanden, wo noch keine Verjährung eingetreten ist, aber ein längerer Zeitraum verstrichen ist, als der, in dem mit einer Geltendmachung eines Rechts üblicherweise zu rechnen ist.[3]

Dementsprechend uneinheitlich ist die Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte zum erforderlichen Zeitablauf, sofern in den Entscheidungen überhaupt das zeitliche Moment erörtert wird und eine Verwirkung nicht aus anderen Gründen bereits abgelehnt wird, etwa weil er das Bestehen eines Vertrauenstatbestandes verneint.

Der BFH hat etwa eine Verwirkung trotz einer 10-jährigen Untätigkeit in einem Fall verneint[4], andererseits aber in anderen Fällen eine bedeutsame Zeit bereits dann gesehen, wenn der Steuerpflichtige den Steuerbescheid für den nachfolgenden Veranlagungszeitraum erhalten hat, da er dann darauf vertrauen könne, dass das Finanzamt eine endgültige Entscheidung getroffen habe.[5]

Eine Verwirkung angenommen hat etwa das FG München, wenn das Finanzamt acht Jahre untätig gewesen ist, obwohl es Kenntnis von allen Umständen hatte, die eine Schenkung betrafen.[6] Andererseits wurde vom FG Niedersachsen ein Anspruch auf eine Spielbankenabgabe auch nach 13 Jahren nicht als verwirkt angesehen.[7]

In einem Beschluss aus dem August 2007 hat der BFH aber klargestellt, dass grundsätzlich allein durch Zeitablauf keine Verwirkung eintritt.[8] Dem stehen allerdings andere Entscheidungen des BFH entgegen, in denen er allein auf das Zeitmoment für die Verwirkung abgestellt hat.[9] Dies sind allerdings Ausnahmefälle.[10] Festhalten lässt sich indes in jedem Fall, dass das Vertrauen des Steuerpflichtigen mit einem zunehmenden Zeitablauf als verfestigt angesehen werden kann, so dass die anderen Voraussetzungen stetig in den Hintergrund treten.[11] Dies dürfte als eine gesicherte Erkenntnis anzusehen sein, die die überragende Bedeutung des Zeitmoments für den Eintritt einer Verwirkung zeigt.[12]

[1] Drüen, in Tipke/Kruse, AO und FGO, § 4 AO Tz. 173; Gersch, in Klein, AO, § 4 AO Rz. 43, 16. Aufl. 2022.
[5] BFH, Urteil v. 5.3.1970, IV 213/67, BStBl 1970 II S. 793, v. 14.3.1991, IV R 135/90, BStBl 1991 II S. 769 (771).
[6] FG München, EFG 1978 S. 131.
[9] BFH, Urteil v. 4.11.1992, X R 13/91, BFH/NV 1993 S. 454; Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 4 AO Tz. 92.
[10] Gersch, in Klein, AO, § 4 AO Tz. 43, 16. Auflage 2022.
[11] Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 4 AO Tz. 53.
[12] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 Tz. 173; Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 4 AO Rz. 59; a. A. Koenig, in Koenig, AO, § 4 AO Rz. 42, 4. Aufl. 2021, der die Auffassung vertritt, dass dem Zeitmoment nur eine untergeordente Bedeutung zukommt.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge