Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob die nach britischem Recht zur Bekämpfung von Umsatzsteuer-Karussellbetrug eingeführte gesamtschuldnerische Haftung auf Artikel 21 Abs. 3 bzw. Artikel 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie gestützt werden kann. Fraglich war, ob eine Gesamtschuldnerschaft i.S.v. Artikel 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie grundsätzlich für alle Fälle einer Steuerschuldnerschaft gem. Artikel 21 Abs. 1 und 2 in Betracht (also auch z.B. für Inlandsumsätze, die sich in betrügerischen Karussellgeschäften abspielen könnten) in Betracht kommen kann oder ob diese Möglichkeit nur auf die Fälle von Artikel 21 Abs. 1 Buchst. a und c und Artikel 21 Abs. 2 Buchst. a und b beschränkt ist (also nur auf die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten von der originär geregelten Steuerschuldnerschaft abweichen können). Nach britischem Recht kann ein Unternehmer, an den ein Umsatz bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieses Eingangsumsatzes oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden. Das Gesetz geht von der Vermutung aus, dass für den Unternehmer hinreichende Verdachtsgründe, wenn der von ihm zu zahlende Preis niedriger war als der niedrigste Preis, dessen Erzielung für die erworbenen auf dem freien Markt vernünftigerweise erwartet werden könnte, oder niedriger war als der Preis für eine frühere Lieferung derartiger Waren. Diese Vermutung kann durch den Beweis widerlegt werden, dass der niedrige Preis der Waren auf Umstände zurückzuführen war, die mit der Nichtabführung der Mehrwertsteuer nicht im Zusammenhang standen.

Das deutsche Umsatzsteuerrecht enthält eine mit der hier streitig gestellten britischen Regelung vergleichbare Vorschrift (§ 25d UStG, Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Steuer).

 

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Artikel 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie nationale Haftungsvorschriften wie die britische Regelung zwar grundsätzlich zulässt. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, u.a. den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Eine gesetzliche Vermutung darf nicht so ausgestaltet sein, dass es für den Steuerpflichtigen praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig wird, sie durch den Gegenbeweis zu widerlegen. Solche Vermutungsregelungen würden sonst de facto ein System der unbedingten Haftung einführen, das über das hinausginge, was erforderlich ist, um die Ansprüche des Staates zu schützen. Unternehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehören, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt, müssen - so der EuGH - auf die Rechtmäßigkeit der Umsätze vertrauen können dürfen, ohne Gefahr zu laufen, für die Zahlung von einem anderen Unternehmer geschuldeten Steuer gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen zu werden.

Schließlich hat der EuGH entschieden, Artikel 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie lässt eine Regelung wie die des britischen Rechts nicht zu. Nach der Vorschrift können die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen. Artikel 22 Abs. 8 erlaubt allerdings eine nationale Regelung, wonach jeder Unternehmer, der auf der Basis von Artikel 21 Abs. 3 gesamtschuldnerisch für eine Steuer haftet, verpflichtet wird, eine Sicherheit für die Zahlung der für den betreffenden Umsatz geschuldeten Steuer zu leisten.

 

Hinweis

Das deutsche Umsatzsteuerrecht enthält eine mit der hier streitig gestellten britischen Regelung vergleichbare Vorschrift (§ 25d UStG, Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Steuer). Auch diese Vorschrift enthält eine gesetzliche Vermutung, wonach der Unternehmer von der Nichtentrichtung der Steuer auf einen vorangegangenen Umsatz entsprechend der vorgefassten Absicht des Rechnungsausstellers Kenntnis hatte oder hätte er hätte haben müssen. Nach dem durch das Steueränderungsgesetz 2003 neu eingefügten § 25d Abs. 2 UStG ist von der Kenntnis oder dem Kennen müssen insbesondere auszugehen, wenn der Unternehmer für seinen Umsatz einen Preis in Rechnung stellt, der zum Zeitpunkt des Umsatzes unter dem marktüblichen Preis liegt. Dasselbe gilt, wenn der ihm in Rechnung gestellte Preis unter dem marktüblichen Preis oder unter dem Preis liegt, der seinem Lieferanten oder anderen Lieferanten, die am Erwerb der Ware beteiligt waren, in Rechnung gest...

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