Leitsatz

1. Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-RL in ihrer durch die Richtlinien 2000/65/EG des Rats vom 17.10.2000 und 2001/115/EG des Rats vom 20.12.2001 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat ermächtigt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige MwSt. ganz oder teilweise ungezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch genommen werden kann. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen.

2. Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige MwSt. ganz oder teilweise ungezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden kann, und/oder eine Regelung zu erlassen, wonach von einem Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung für die Zahlung der MwSt. verlangt werden kann, die von demjenigen Steuerpflichtigen, von dem oder an den die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert oder erbracht werden, geschuldet wird.

Dagegen steht diese Bestimmung nicht einer nationalen Regelung entgegen, die jede Person, die gem. einer auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-RL erlassenen Maßnahme die MwSt. gesamtschuldnerisch zu entrichten hat, dazu verpflichtet, eine Sicherheit für die Zahlung der geschuldeten MwSt. zu leisten.

 

Normenkette

Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-RL (vgl. § 25d UStG)

 

Sachverhalt

Die Federation of Technical Industries hielt die in den Praxis-Hinweisen erläuterte Regelung des Königreichs für unvereinbar mit der Richtlinie.

 

Entscheidung

Der EuGH überließ ausdrücklich dem nationalen Gericht die Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren umstrittene Regelung den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit entspreche (Rd.Nr. 34). Inhaltlich akzeptiert hat der EuGH – unter dem Aspekt der Rechtssicherheit – die auch in § 25d UStG normierten Voraussetzungen des Kennens oder Kennenmüssens. Auch die Möglichkeit des Gegenbeweises in § 25d Abs. 2 Satz 3 UStG entspricht den Anforderungen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird durch die nach § 191 AO erforderlichen Ermessenserwägungen genügt.

 

Hinweis

Die Besprechungsentscheidung betrifft eine Regelung, die das Vereinigte Königreich zur Bekämpfung des Karussellbetrugs eingeführt hatte.

1. Die Mitgliedstaaten können nach Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-RL bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Art. 22 Abs. 7 der 6. EG-RL ermächtigt zu Regelungen zur Durchführung von Art. 21 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 8 der 6. EG-RL zu Regelungen zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen.

2. Nach der umstrittenen nationalen Regelung konnte die Finanzverwaltung in Höhe der geltend gemachten Vorsteuerbeträge zum Schutz von Einnahmen eine Sicherheitsleistung vom Steuerpflichtigen oder der Person, an die Waren geliefert oder Dienst?leistungen erbracht wurden, verlangen; ein Unternehmer, an den Telefone und Computer geliefert wurden, konnte für die Steuerschuld in Anspruch genommen werden, wenn er wusste oder für ihn hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser, einer früheren oder späteren Lieferung dieser Waren fällige USt ganz oder teilweise ungezahlt bleiben würde. Gesetzlich vermutet wurden "hinreichende Verdachtsgründe", wenn der für die Ware zu zahlende Preis niederer war, als der niedrigste Preis, der auf dem freien Markt vernünftigerweise erwartet werden könnte, oder niedriger war, als der Preis für eine frühere Lieferung derartiger Waren. Die Vermutung konnte durch den Nachweis widerlegt werden, dass der niedrige Preis nichts mit der Nichtabführung der MwSt. zu tun hatte. Andere Verdachtsgründe waren jedoch nicht ausgeschlossen.

3. Die umstrittene Regelung entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 25d UStG mit folgenden Ausnahmen: § 25d enthält keine gesetzliche Vermutung, keine Beschränkung auf bestimmte Waren, gilt nur für die vorausgehenden, nicht dagegen für frühere oder spätere Lieferungen, und regelt ausdrücklich keine Sicherheitsleis?tung. Allerdings könnte bei der Auslegung des § 25d Abs. 4 UStG (Versagung der Zustimmung nach § 168 AO bis zum Abschlus...

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