Abs. 2 benennt in Nr. 1 - 4 wesentliche Kriterien für eine angemessene Ausgestaltung des Risikomanagements. Dem Unternehmen soll damit der notwendige flexible Ermessens- und Handlungsspielraum bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen gewährt werden. Welche Risiken das Unternehmen wie adressieren muss, hängt maßgeblich von der individuellen Unternehmens- und Risikosituation ab.

Dabei gilt:

  • Je stärker die Einflussmöglichkeit eines Unternehmens ist,
  • je wahrscheinlicher und schwerer die zu erwartende Verletzung der geschützten Rechtsposition und
  • je größer der Verursachungsbeitrag eines Unternehmens ist,

desto größere Anstrengungen werden einem Unternehmen zur Vermeidung oder Beendigung einer Verletzung zugemutet.

Je anfälliger eine Geschäftstätigkeit nach Produkt und Produktionsstätte für menschenrechtliche Risiken ist, desto wichtiger ist die Überwachung der Lieferkette. Das Prinzip der Angemessenheit gilt für alle im Folgenden geregelten Pflichten.

3.2.2.1 Kriterium ›Art und Umfang der Geschäftstätigkeit‹ (Abs. 2 Nr. 1)

Art und Umfang der Geschäftstätigkeit beurteilen sich nach qualitativen und quantitativen Merkmalen. Die Art der Geschäftstätigkeit umfasst beispielsweise

  • die Beschaffenheit des Produkts oder der Dienstleistung,
  • die Vielfalt der erbrachten Leistungen und Geschäftsbeziehungen und
  • die überregionale oder internationale Ausrichtung.

Der Umfang der Geschäftstätigkeit bezieht sich unter anderem auf

  • die Größe des Unternehmens,
  • die Anzahl und Funktion der Beschäftigten,
  • das Umsatzvolumen,
  • das Anlage- und Betriebskapital sowie
  • die Produktionskapazität.

Hierbei sind insbesondere länder-, branchen- und warengruppenspezifische Risiken einzubeziehen. Umso anfälliger eine Geschäftstätigkeit nach Art und Umfang ist, die geschützten Rechtspositionen oder umweltbezogenen Pflichten zu verletzen, desto umfassender müssen die zu ergreifenden Präventions- und Abhilfemaßnahmen ausfallen.

3.2.2.2 Kriterium ›Einflussvermögen des Unternehmens‹ (Abs. 2 Nr. 2)

Welche Maßnahme angemessen ist, bestimmt sich auch nach dem konkreten Einflussvermögen des Unternehmens auf den Zulieferer, der das Risiko für eine geschützte Rechtsposition nach § 2 Abs. 2 oder einen drohenden Verstoß gegen eine umweltbezogene Pflicht nach § 2 Abs. 3 unmittelbar verursacht hat.

Dies kann sich beispielsweise nach der Größe des Unternehmens oder nach dem Auftragsvolumen richten. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist die Nähe zum Risiko, d. h. wo und durch wen das Risiko unmittelbar entsteht: beim Unternehmen selbst, bei einem Vertragspartner oder bei einem mittelbaren Zulieferer entlang der Lieferkette. Abhängig von der Nähe und der Einflussmöglichkeit des Unternehmens verändern sich die Anforderungen an die zu ergreifenden Maßnahmen.

3.2.2.3 Kriterium ›Zu erwartende Schwere der Verletzung‹ (Abs. 2 Nr. 3)

Das Gefahrenpotenzial, das heißt die Schwere und Wahrscheinlichkeit der negativen Auswirkungen, ist ein weiteres wesentliches Kriterium der Angemessenheit des Risikomanagements. Die typischerweise zu erwartende Schwere der Verletzung der geschützten Rechtsposition bemisst sich nach

  • dem Grad der tatsächlichen oder potenziellen Beeinträchtigung,
  • der Zahl der tatsächlich oder potenziell betroffenen Menschen und
  • der Möglichkeit, die negativen Auswirkungen wieder zu beheben.

Die Eintrittswahrscheinlichkeit beschreibt die Einschätzung, ob und wann das Risiko in eine Rechtsgutsverletzung mündet. Kriterien für die Bewertung von Schwere und Wahrscheinlichkeit können zum Beispiel sein

  • die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einem Hochrisikosektor,
  • die tatsächlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des Produktionsortes,
  • der Umgang mit giftigen Stoffen in der Produktion oder
  • die mangelhafte Nachhaltigkeitsperformance (potenzieller) Lieferanten.

3.2.2.4 Kriterium ›Verursachungsbeitrag des Unternehmens‹ (Abs. 2 Nr. 4)

Bei der Art des Verursachungsbeitrages ist zu unterscheiden, ob ein Unternehmen das Risiko unmittelbar alleine oder gemeinsam mit einem anderen Akteur verursacht hat oder ob es mittelbar einen Beitrag zum Risiko oder zur Verletzung geleistet hat.

Ein Beispiel für eine unmittelbare alleinige Verursachung ist die Missachtung von Arbeitsschutzstandards am eigenen Standort. Eine unmittelbare (Mit-)Verursachung ist zum Beispiel gegeben, wenn ein Unternehmen durch nicht fachgerechte Abfallentsorgung einen Fluss verschmutzt – und andere Unternehmen dies ebenfalls tun – und hierdurch gegebenenfalls die Trinkwasserversorgung der Anwohnenden gefährdet. Eine mittelbare Verursachung ist anzunehmen, wenn ein Unternehmen die Produktanforderungen gegenüber seinem Zulieferer in letzter Minute ändert, ohne die Lieferzeiten oder den Einkaufspreis anzupassen, und der Zulieferer in Folge gegen ILO-Kernarbeitsnormen[1] verstößt, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden.

Die Art des Verursachungsbeitrages ist typischerweise eng verknüpft mit dem Kriterium des unternehmerischen Einflussvermögens.

[1] Internationale Arbeitsorganisation. ILOSTAT-Datenbanken, siehe https://ilostat.ilo.org/data/.

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