rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für an epileptischen Anfällen und Polyneuropathie leidendes, in seinem erlernten Beruf nur eingeschränkt einsetzbares Kind mit einem Grad der Behinderung von 60 %. Familienleistungsausgleich

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Kind ist wegen seiner Behinderung außer Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn das Merkzeichen H für hilflos in seinem Schwerbehindertenausweis festgestellt wurde oder ein Grad der Behinderung von über 50 festgestellt wurde und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen scheint.

2. Im Rahmen der zu prüfenden Kausalität ist die Entscheidung zu treffen, ob eine bestehende Arbeitslosigkeit oder das Innehaben eines Arbeitsplatzes, aus dessen Vergütung der bestehende Unterhaltsbedarf nicht vollständig gedeckt werden kann, Folge des allgemeinen Arbeitsmarktes ist oder ob dieser Zustand der Behinderung des Kindes zuzurechnen ist. Es genügt, wenn die Behinderung – neben ungünstigen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – mitursächlich für den fehlenden Selbstunterhalt ist. Es ist jedoch in jedem Fall zusätzlich konkret festzustellen, ob die Auswirkungen der vorliegenden Behinderung sich in erheblichem Maße negativ auf die Ausübung des in Frage kommenden Berufes auswirken.

3. Hier: Bejahung des Kindergeldanspruchs für den volljährigen, an epileptischen Anfällen und Polyneuropathie leidenden Sohn, der in seinem erlernten Beruf als Bürokaufmann nur eingeschränkt tätig werden kann (u.a. wegen fehlender Fahrerlaubnis, wegen Notwendigkeit ständiger Medikamenteneinnahme und weil nach ärztlichem Gutachten eine Tätigkeit unter Zeitdruck oder Stressbelastung ausgeschlossen werden muss).

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 63 Abs. 1

 

Tenor

I. Der Ablehnungsbescheid und Rückforderungsbescheid vom 05. Juni 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2003 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, für die Zeit vom 01. April 2002 bis einschließlich März 2003 Kindergeld für den Sohn des Klägers M zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger für den Zeitraum April 2002 bis einschließlich März 2003 Kindergeld für seinen Sohn M zusteht.

Der 1980 geborene Sohn des Klägers, M, leidet seit seiner Schulzeit an einer Anfallserkrankung, die sich – insbesondere bei Stressbelastung – durch Zittern an Händen und Beinen sowie in selteneren Fällen auch durch Ohnmachtsanfälle äußert. Weiterhin leidet er an einer Polyneuropathie. Wegen dieser Nervenschädigung hat er nach einer Gehstrecke von etwa einem Kilometer Schmerzen in den Beinen. Er befindet sich in regelmäßiger neurologischer Behandlung und nimmt regelmäßig Medikamente ein. Der Kläger bezog Kindergeld für seinen Sohn.

Nach Abschluss der Realschule absolvierte das Kind von September 1997 bis Juli 2000 eine Ausbildung als Bürokaufmann und schloss diese ab. Mit Wirkung ab 13.03.2000 wurde für ihn durch (Änderungs-) Bescheid des Amtes für Familie und Soziales C. ein Grad der Behinderung von 60 v.H. wegen Anfallsleiden und Polyneuropathie festgestellt.

Im Zeitraum von 09.08.2001-27.03.2002 besuchte M die Fachoberschule in Annaberg, wo er in einem Internat untergebracht war. Er erhielt in dieser Zeit monatliche Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von 480,61 EUR.

Sechs Wochen vor den Abschlussprüfungen brach er diese Ausbildung aus gesundheitlichen Gründen ab. Wegen des gehäuften Auftretens epileptischer Anfälle war ihm ärztlich dazu geraten worden. Wegen seiner Behinderung ist er nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis.

Im Zeitraum 18.03.2002 bis 28.03.2003 war M arbeitslos gemeldet. Vom 01.04.2002-31.12.2002 erhielt er Arbeitslosenhilfe in Höhe von 2.908,26 EUR. Die Arbeitslosenhilfe in dem Zeitraum 01.01.2003 bis 31.03.2003 betrug 944,10 EUR. Für eine Stellung als gelernter Bürokaufmann hat er in dieser Zeit drei Vermittlungsvorschläge durch das Arbeitsamt erhalten, die nicht zu einer Einstellung geführt hatten. Zwei Angebote für Bürokaufleute in Freiburg und Karlsruhe setzten die Mobilität des Arbeitnehmers voraus. Bei der Fördereinrichtung für Behinderte H aus A war M von April 2002 bis September 2002 einer Nebenbeschäftigung nachgegangen. Die ursprünglich angedachte Arbeitsaufnahme bei dieser Einrichtung zum 01.09.02 kam wegen Liquiditätsengpässen des Arbeitgebers nicht zustande.

Ab 01.04.2003 wurde M von seinem Vater, einem niedergelassenen Ingenieur, der als Liquidator tätig ist, als Bürokaufmann beschäftigt. Es wurde eine tägliche Arbeitszeit von fünf Stunden festgelegt. Es war der erste Arbeitnehmer, den der Kläger in seinem Büro beschäftigte. In dem Zeitrau...

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