Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer-Nachzahlungszinsen: Entstehungszeitpunkt für die Vorsteuer-Abzugsberechtigung ist allein das Bewirken der Lieferung oder Leistung; der Zeitpunkt des Rechnungserhalts ist insoweit unerheblich

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Letzteres ist der Zeitpunkt, in dem die Lieferung des Gegenstandes oder die Dienstleistung bewirkt wird.
  2. Das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug hängt allein davon ab, dass zu diesem Zeitpunkt (Leistungsempfang) die Eigenschaft als Stpfl. besteht und dieser als solcher handelt.
  3. Das UStG enthält keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Entstehung des Vorsteueranspruchs. Nach ständiger Verwaltungspraxis entsteht der Vorsteueranspruch in dem Veranlagungszeitraum, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG insgesamt vorliegen.
  4. Die deutsche Verwaltungspraxis steht im offenen Widerspruch zum ausdrücklichen Wortlaut der 6. EG-Richtlinie.
  5. § 233a Abs. 2 Satz 1 AO ist daher EU-rechtskonform dahingehend auszulegen, dass Entstehungszeitpunkt für die Abzugsberechtigung der Vorsteuer allein das Bewirken der Lieferung oder Leistung ist.
 

Normenkette

AO § 233a; UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1a, § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; EWGRL 388/77 Art. 10 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1a

 

Streitjahr(e)

1992

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.07.2004; Aktenzeichen V R 76/01)

 

Tatbestand

Streitig ist die Festsetzung der Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO.

Die Klägerin ist Unternehmerin und Organträgerin. Mit Kaufvertrag vom 10.12.1991 erwarben die Klägerin und die Fa. L. GmbH (Organgesellschaft der Klägerin) die Firmen E. OHG und P & D OHG. Die Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile erfolgte mit Wirkung zum 02.01.1992. Der – unter Einhaltung bestimmter Prämissen - vereinbarte Kaufpreis sollte 20 Mio zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer – soweit eine solche anfällt – betragen.

Erst im Rahmen einer Besprechung am 16.02.1995 konnten sich Käufer und Verkäufer auf einen endgültigen Gesamtkaufpreis von 19.300.000 DM einigen. Ferner wurde vereinbart, dass auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG verzichtet und dementsprechend Rechnungen mit Umsatzsteuer erteilt werden sollten.

Die Rechnungen für den Kauf der beiden Firmen

P & D OHG für 13.671.471 DM zzgl. 14 % USt (1.914.005,94 DM) und

E. OHG für 2.279.750 DM zzgl. 14 % USt (319.165,-- DM)

sind bei der Klägerin im März 1995 eingegangen. Die Rechnung von der Fa. P & D datiert vom 02.01.1992; die Rechnung der Fa. E. OHG trug die Daten 02.01.1992 und 23.03.1995.

Mit Schreiben vom 05.04.1995 beantragte die Klägerin die Änderung der bisherigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzung 1992. Zur Begründung legte sie die beiden Rechnungen mit einem Vorsteueranspruch in Höhe von insgesamt 2.233.108,94 DM vor.

Der Beklagte führte die Änderung der Umsatzsteuer für 1992 – weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung - antragsgemäß durch (Bescheid vom 09.05.1995). Im Anschluss an eine Außenprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass die Vorsteuer zu Unrecht im Veranlagungszeitraum 1992 geltend gemacht worden sei. Er begründete dies mit dem Erhalt der Rechnung in 1995 und berücksichtigte dementsprechend die Vorsteuer erst im Jahr 1995.

Gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1992 vom 16.04.1999 wendet sich die Klägerin insoweit als dort Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO festgesetzt worden sind.

Sie trägt vor, die Zinsfestsetzung verstoße gegen das EU-Recht. Nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entstehe. Bei dem Anspruch der abziehbaren Steuer handele es sich um den Steueranspruch des Fiskus. Dieser entstehe nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Lieferung eines Gegenstandes bewirkt werde. Demnach entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug im Zeitpunkt des Leistungsbezugs (1992) und nicht erst im Zeitpunkt des Rechnungserhalts (1995). Demnach dürfe sich der Umstand, dass der Beklagte den Vorsteueranspruch erst in 1995 berücksichtigt habe, bei der Zinsfestsetzung nicht zu ihren Lasten auswirken.

Die Klägerin beantragt,

die mit dem Umsatzsteuerbescheid 1992 vom 16. April 1999 verbundene Zinsfestsetzung in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 28. Juni 2000 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, der Vorsteuererstattungsanspruch entstehe erst bei Empfang der Rechnung, hier also im Jahr 1995. Dementsprechend beginne der Zinslauf nach § 233a AO auch erst mit der Entstehung des Vorsteueranspruchs, mithin erst nach Erhalt der Rechnung in 1995. Daher sei die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1992 zu Recht erfolgt.

Eine niedrigere Festsetzung käme allenfalls in einem gesonderten Verfahren nach § 163 AO in Betracht.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Festsetzung der Nachzah...

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