FinMin Nordrhein-Westfalen, 29.4.2019, S 0291

 

1. Allgemeines

Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

Nichtige Verwaltungsakte sind gemäß § 124 Abs. 3 AO unwirksam. Sie erzeugen keinerlei Rechtswirkungen. Aus ihnen darf nicht vollstreckt werden. Nichtige Verwaltungsakte sind auch nicht heilbar gemäß § 126 Abs. 1 AO. So kann ein infolge inhaltlicher Unbestimmtheit nichtiger Verwaltungsakt nicht dadurch geheilt werden, dass der Steuerschuldner in der Einspruchsentscheidung erstmals zutreffend bezeichnet wird (BFH-Urteil vom 17.8.1995, BFH/NV 1996 S. 196).

 

2. Anfechtung eines nichtigen Verwaltungsaktes

Wegen des Rechtsscheins, den auch ein nichtiger Verwaltungsakt entfalten kann, ist auch ein Einspruch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt zulässig. Auf die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes kann sich der Steuerpflichtige jederzeit berufen. Zur Anfechtung eines nichtigen Verwaltungsaktes braucht die Rechtsbehelfsfrist des § 355 Abs. 1 AO nicht gewahrt zu werden (BFH-Urteil vom 17.7.1986, BStBl 1986 II S. 834).

Die zur Beseitigung des Rechtsscheins eines nichtigen Steuerbescheides vorgenommene Anfechtung hat keine den Ablauf der Verjährungsfrist hemmende Wirkung (BFH-Urteile vom 17.8.1995, BFH/NV 1996 S. 196, und vom 27.2.1997, BFH/NV 1997 S. 388).

 

3. Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts

Nach § 125 Abs. 5 AO kann die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts jederzeit von Amts wegen festgestellt werden, auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann durch einen Verwaltungsakt getroffen werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.8.2014, BStBl 2015 II S. 109). Die Finanzbehörde hat jedoch auch die Möglichkeit, nur unverbindlich ihre Rechtsmeinung zur Wirksamkeit eines Verwaltungsakts zu äußern. Im Interesse der Rechtssicherheit soll von der Möglichkeit der Feststellung durch Verwaltungsakt Gebrauch gemacht werden. Hierzu bedarf es eines entsprechenden Regelungswillens der Finanzbehörde, der – zur Abgrenzung von einer nur unverbindlichen Äußerung – in dem Schreiben an den Steuerpflichtigen zum Ausdruck zu bringen ist. Das Schreiben ist daher als „Bescheid über die Feststellung der Nichtigkeit (§ 125 Abs. 5 AO) des Verwaltungsakts …” zu bezeichnen, zu begründen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.

Diese durch Verwaltungsakt vorgenommene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist innerhalb der Rechtsbehelfsfrist mit dem Einspruch anfechtbar. Nach Eintritt der Bestandskraft kann die Nichtigkeit des Verwaltungsakts nicht mehr in Frage gestellt werden.

 

4. Treu und Glauben

Zu den nicht generell und abstrakt festgelegten Rechtsfolgen, die einen Beteiligten am Steuerrechtsverhältnis aus treuwidrigem Verhalten treffen können, kann es auch gehören, dass er die Befugnis verliert, aus der Nichtigkeit eines Steuerverwaltungsaktes abgeleitete Rechte, wie vor allem Erstattungsansprüche, geltend zu machen. Eine solche Begrenzung kann sich, und zwar für beide Seiten eines konkreten Steuerrechtsverhältnisses, aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen von Treu und Glauben ausnahmsweise dann ergeben, wenn die Berufung auf die Nichtigkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde (BFH-Urteil vom 17.6.1992, BStBl 1993 II S. 174).

So kann es rechtsmissbräuchlich sein, wenn ein Steuerpflichtiger sich erst nach mehreren Jahren allein zu Erstattungszwecken auf einen von ihm mitzuverantwortenden Bestimmtheitsmangel beruft, der bei ihm selbst tatsächlich keinerlei Unklarheiten bewirkt hatte (BFH-Urteil vom 17.6.1992 a.a.O.).

Es ist ebenfalls rechtsmissbräuchlich und deshalb ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn sich die Finanzverwaltung nach jahrelangem Rechtsfrieden auf die von ihr selbst verursachte Nichtigkeit beruft, um nunmehr – ohne dass die Voraussetzungen von Änderungsvorschriften vorliegen – „verbösernde” Erstbescheide zu erlassen (Urteil des FG Köln vom 22.9.1994, EFG 1995 S. 240).

 

5. Einzelfälle aus der Rechtsprechung

 

5.1 Inhaltliche Bestimmtheit

Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn

  • aus einem Steuerbescheid nicht eindeutig hervorgeht, von wem was gefordert wird, der Steuerschuldner im Hinblick auf die gegen ihn festgesetzte Steuerschuld nicht klar ersichtlich ist (BFH-Urteil vom 17.8.1995, BFH/NV 1996 S. 196),
  • ein Steuerbescheid die festgesetzte Steuer ihrer Art nach nicht bezeichnet (BFH-Urteil vom 7.8.1985, BStBl 1986 II S. 42),
  • ein Vorauszahlungsbescheid lediglich den Minderungsbetrag gegenüber der bisherigen Festsetzung ausweist, nicht aber den neu festgesetzten Betrag (Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 18.12.1996, EFG 1997 S. 585),
  • dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes bei mehreren Miterben nicht klar und eindeutig entnommen werden kann, gegen welche Beteiligten der Erbengemeinschaft sich d...

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