Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung eines nichtigen Steuerbescheids hemmt nicht den Ablauf der Verjährungsfrist

 

Leitsatz (NV)

1. Ein unwirksamer Verwaltungsakt erzeugt keine Rechtswirkung. Die zur Beseitigung des Rechtsscheins eines unwirksamen Steuerbescheides vorgenommene Anfechtung hat keine den Ablauf der Verjährungsfrist hemmende Wirkung.

2. Ein Steuerbescheid ist mangels eindeutiger Bezeichnung des Steuerschuldverhältnisses unwirksam, wenn aus dem Bescheid nicht eindeutig hervorgeht, von wem was gefordert wird. Aus dem Bescheid muß der Steuerschuldner im Hinblick auf die gegen ihn festgesetzte Steuerschuld klar ersichtlich sein. Dem ist nicht genügt, wenn aufgrund der Veräußerung eines beiden Ehegatten je zur Hälfte gehörenden Grundstücks die Grunderwerbsteuer gegen die beiden Ehegatten als Inhaltsadressaten des Grunderwerbsteuerbescheides in einem Betrag festgesetzt wird.

3. Ein danach infolge inhaltlicher Unbestimmtheit unwirksamer (nichtiger) Verwaltungsakt kann nicht dadurch ersetzt (geheilt) werden, daß der Steuerschuldner in der Einspruchsentscheidung erstmals zutreffend bezeichnet wird.

 

Normenkette

AO (in der bis 31. 12. 76 geltenden Fassung) § 144 Abs. 1 S. 1; AO (in der bis 31. 12. 76 geltenden Fassung) § 146a Abs. 1; AO (in der bis 31. 12. 76 geltenden Fassung) § 148; AO 1977 § 119 Abs. 1, § 124 Abs. 3, § 125 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 2; GrEStG Baden-Württemberg § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG Baden-Württemberg § 31

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau waren je zur Hälfte Eigentümer einer Eigentumswohnung und einer dazugehörenden Garage. Durch Vertrag vom 7. Oktober 1975 veräußerten die Eheleute ihr Wohnungs- bzw. Teileigentum an Frau N. Die Eintragung der Käuferin in das Grundbuch erfolgte am 5. Dezember 1975. Durch Bescheid vom 31. Dezember 1976 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) gegen den Kläger und seine Ehefrau als Veräußerer Grunderwerbsteuer fest. Der Bescheid war gerichtet an Herrn und Frau A und B C; als Bemessungsgrundlage legte das FA den Kaufpreis zugrunde und berechnete die Steuer mit 7 v. H. Dieser Bescheid wurde, nach erfolglosem Einspruch, durch Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 24. November 1983, das den Beteiligten am 5. Dezember 1983 zugestellt wurde, aufgehoben. Das FG entschied, daß der Bescheid rechtswidrig sei, weil die Grunderwerbsteuer gegen den Kläger und seine Ehefrau in einem Betrag festgesetzt worden ist. Da jeder der Ehegatten Veräußerer seines Miteigentumsanteils und demzufolge Steuerschuldner sei, hätte der Wert der Gegenleistung gemäß § 31 des Grunderwerbsteuergesetzes Baden-Württemberg (GrEStG BW) auf die einzelnen Steuerschuldner aufgeteilt und die Steuer für jeden getrennt errechnet und festgesetzt werden müssen.

Durch Bescheide vom 14. Juni 1984 setzte das FA daraufhin gegen den Kläger sowie gegen seine Ehefrau für den Erwerbsvorgang vom 7. Oktober 1975 aus dem jeweils halben Kaufpreis als Bemessungsgrundlage Grunderwerbsteuer fest.

Das FG hob auf die Sprungklage des Klägers den gegen ihn gerichteten Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Juni 1984 auf, weil der Grunderwerbsteueranspruch aus dem Erwerbsvorgang vom 7. Oktober 1975 verjährt sei (§ 144 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung -- AO --, Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung -- EGAO 1977 --). Die Anfechtung des an den Kläger und seine Ehefrau gerichteten Grunderwerbsteuerbescheides vom 31. Dezember 1976 habe nicht zur Hemmung der Verjährungsfrist gemäß § 146 a Abs. 1 AO geführt, weil dieser Bescheid unwirksam gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es rügt Verletzung von § 144 Abs. 1, § 145 Abs. 1, § 146 a AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das FG den gegen den Kläger gerichteten Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Juni 1984 wegen Verjährung des Grunderwerbsteueranspruchs aufgehoben.

Die Verjährungsfrist für den Grunderwerbsteueranspruch aus dem Erwerbsvorgang (Kaufvertrag) vom 7. Oktober 1975 hat mit Ablauf des Kalenderjahres 1975 begonnen, weil die Erwerberin noch im Dezember 1975 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen worden ist (§ 31 GrEStG BW). Für den Lauf der Verjährungsfrist sind, da die Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang vor dem 1. Januar 1977 entstanden ist (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes -- StAnpG --, § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG BW), die Vorschriften der AO in der bis 31. Dezember 1976 geltenden Fassung maßgebend. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 AO betrug die Verjährungsfrist fünf Jahre; sie endete im Streitfall daher mit Ablauf des Jahres 1980. Danach durfte der Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Juni 1984 nicht mehr ergehen, denn zu diesem Zeitpunkt war der Steueranspruch wegen Vollendung der Verjährung erloschen (§ 148 AO).

Durch die Anfechtung des -- innerhalb der Verjährungsfrist ergangenen -- Grunderwerbsteuerbescheids vom 31. Dezember 1976 ist der Ablauf der Verjährungsfrist nicht gemäß § 146 a Abs. 1 AO gehemmt worden. Zwar ist der Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Juni 1984 innerhalb der in § 146 a Abs. 1 AO bestimmten Frist von sechs Monaten ergangen, nachdem das Anfechtungsverfahren gegen den Bescheid vom 31. Dezember 1976 durch das Urteil des FG vom 24. November 1983 abgeschlossen war. Der Anfechtung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 31. Dezember 1976 kommt jedoch keine den Ablauf der Verjährungsfrist hemmende Wirkung zu, weil der Bescheid unwirksam war.

§ 146 a Abs. 1 AO greift nur ein, wenn eine Steuerfestsetzung angefochten worden ist, die innerhalb der Verjährungsfrist des § 144 AO wirksam ergangen ist, denn die Ablaufhemmung setzt voraus, daß vor Ablauf der Verjährungsfrist die Festsetzung einer Abgabe angefochten worden ist (§ 146 a Abs. 1 AO). Ist der angefochtene (und zur Beseitigung des Rechtsscheins anfechtbare) Steuerbescheid unwirksam, fehlt es hieran. Da ein unwirksamer Verwaltungsakt keine Rechtswirkungen erzeugt, wird durch ihn keine Abgabe (wirksam) festgesetzt (vgl. die Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 11. Oktober 1989 X R 31/86, BFHE 158, 491, zu dem § 146 a Abs. 1 AO entsprechenden § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung -- AO 1977 --; s. auch BFH-Urteile vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942, und vom 14. November 1990 II R 255/85, BFHE 162, 380, BStBl II 1991, 49).

Der an den Kläger und seine Ehefrau gerichtete Grunderwerbsteuerbescheid vom 31. Dezember 1976 war unwirksam. Entgegen der Auffassung des FA beruht die Unwirksamkeit des Bescheides nicht lediglich auf einem -- durch die fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung heilbaren (BFH-Urteil in BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942) -- Bekanntgabemangel. Vielmehr war der Bescheid vom 31. Dezember 1976 wegen eines schweren offenkundigen Fehlers nichtig und daher unwirksam (vgl. §§ 125 Abs. 1, 124 Abs. 3 AO 1977), weil er mangels einer eindeutigen Bezeichnung des Steuerschuldverhältnisses nicht hinreichend bestimmt war (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1992 II R 43/88, BFH/NV 1993, 702, 704 m. w. N.). Zu der nach § 119 Abs. 1 AO 1977 erforderlichen Bestimmtheit eines Steuerbescheides gehört insbesondere, daß aus dem Bescheid eindeutig hervorgeht, von wem was gefordert wird. Das bedeutet, daß aus dem Bescheid der Steuerschuldner im Hinblick auf den gegen ihn festgesetzten Steuerbetrag klar ersichtlich sein muß (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Hieran fehlt es im Streitfall, denn durch die Angabe des Klägers zusammen mit seiner Ehefrau als Inhaltsadressaten der auf einen Betrag lautenden Steuerfestsetzung ist das Steuerschuldverhältnis, das auf dem Erwerbsvorgang vom 7. Oktober 1975 beruht, nicht hinreichend konkretisiert. Es ist nicht ersichtlich, ob der Kläger und seine Ehefrau zusammen oder jeweils getrennt und in welcher Höhe vom FA als Steuerschuldner herangezogen werden sollten. Dieser Mangel inhaltlicher Bestimmtheit des Steuerbescheides konnte durch die Einspruchsentscheidung vom 24. August 1977 schon deshalb nicht geheilt werden, weil diese denselben Mangel aufweist und den Kläger und dessen Ehefrau undifferenziert als Inhaltsadressaten bezeichnet. Im übrigen kann ein infolge inhaltlicher Unbestimmtheit nichtiger Verwaltungsakt nicht dadurch ersetzt werden, daß erstmals in der Einspruchsentscheidung der Steuerschuldner zutreffend bezeichnet wird, denn im Einspruchsverfahren kann nur der angefochtene Verwaltungsakt in den durch diesen gesteckten Grenzen überprüft werden und nicht ein anderer, nämlich ein gegen einen anderen Steuerschuldner gerichteter Verwaltungsakt erlassen werden (BFH-Urteile vom 26. März 1991 VIII R 210/85, BFH/NV 1992, 73 m. w. N.; vom 28. Juli 1993 II R 50/90, BFH/NV 1993, 712).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420906

BFH/NV 1996, 196

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