OFD Niedersachsen, 21.12.2010, S 0622 - 860 - St 141

Beantragen Beteiligte außerhalb der im BMF-Schreiben vom 17.12.2008, IV A 3 – S 0030/08/10001 (BStBl 2009 I S. 6) dargelegten Grundsätze Akteneinsicht, gilt die bisherige Rechtslage weiter.

 

1. Berechtigung zur Akteneinsicht

Die Beteiligten (§§ 78, 359 AO) und deren Bevollmächtigte haben im Besteuerungsverfahren einschl. des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens keinen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht. Sie können jedoch beanspruchen, dass über ihren Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird (BFH-Urteil vom 7.5.1985, BStBl 1985 II S. 571). Eine rechtswidrige Verweigerung der Akteneinsicht stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (BFH-Urteil vom 31.7.1997, BFH/NV 1998 S. 459).

Der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine insoweit der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verstoßen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Ermittlungsverfahren lässt sich auch nicht aus der Richtlinie 95/46/EG herleiten, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das BDSG und entsprechende landesrechtliche Datenschutzgesetze erfahren hat, weil sowohl die Richtlinie 95/46/EG als auch die nationalen Datenschutzgesetze den Vorrang einschränkender bereichsspezifischer Regelungen in Steuerangelegenheiten anerkennen. Die AO 1977 enthält eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten (BFH-Beschluss vom 4.6.2003, BStBl 2003 II S. 790).

Bevollmächtigte haben kein eigenes Akteneinsichtsrecht. Sie können nur die Rechte der Beteiligten ausüben (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.1994, EFG 1994 S. 666).

Ist der die Akteneinsicht Begehrende Gesamtschuldner oder Mitgesellschafter einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, sind seine Interessen auf Akteneinsicht und das Interesse der anderen Gesamtschuldner oder Mitgesellschafter gegeneinander abzuwägen. Grundsätzlich wird dem Antragsteller Akteneinsicht zu gewähren sein, wenn er die Akteneinsicht zur Rechtsverfolgung in einem Besteuerungsverfahren begehrt, es sei denn, gewichtige, das Interesse an Akteneinsicht bei weitem überwiegende Gründe geböten es, zum Schutze der anderen Beteiligten die Einsicht abzulehnen (BFH-Urteil vom 6.8.1965, BStBl 1965 III S. 675).

Das Akteneinsichtsrecht von Zugezogenen (§§ 174 Abs. 5, 360 AO) hat dort seine Grenzen, wo die Interessen des Steuerpflichtigen bzw. des Einspruchsführers, die nichts mit dem Gegenstand der Hinzuziehung zu tun haben, durch die Akteneinsicht berührt werden können.

 

2. Ermessenserwägungen

2.1 Begehrt der Beteiligte Einsicht in „seine” Steuerakten, so ist Folgendes zu beachten:

2.1.1 Der Beteiligte muss ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht haben. Sein Gesuch muss in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand des steuerlichen Verfahrens stehen. Ein anzuerkennender Grund ist auch der Beraterwechsel, wenn nur im Wege der Akteneinsicht Besteuerungsvorgänge nachvollzogen oder durch Fotokopie wichtiger Unterlagen (Belege, Dokumente, Urkunden) die Grundlagen für die Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten erfüllt werden können.

2.1.2 Das Steuergeheimnis schützt die Verhältnisse Dritter (Anzeigeerstatter, Gewährsperson usw.). Deshalb ist die Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung zur Ermittlung des Anzeigeerstatters i.d.R. ermessensfehlerfrei, wenn anderenfalls das Steuergeheimnis verletzt würde (FG Köln, Urteil vom 3.5.2000, EFG 2000 S. 903).

2.1.3 Die Gewährung von Akteneinsicht ist Ausfluss des Anhörungsrechts der Beteiligten (§ 91 Abs. 1 AO). Nach Abschluss des Verfahrens (z.B. durch Bestandskraft des Steuerbescheides) kann die Akteneinsicht daher im Einzelfall abzulehnen sein (Ermessensreduzierung auf Null), weil eine Anhörung nicht mehr in Betracht kommt (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.6.1994, EFG 1995 S. 50).

2.1.4 Akteneinsicht kann zu verwehren sein, wenn eine Sachentscheidung nicht ergehen kann, weil der Einspruch unzulässig ist (BFH-Beschlüsse vom 5.8.1996, BFH/NV 1997 S. 61; vom 17.12.2002, BFH/NV 2003 S. 500).

2.1.5 Wirtschaftliche Interessen der Beteiligten, z.B. eine Überprüfung der Steuerakten nach Anhaltspunkten für etwaige Schadensersatzansprüche, begründen im Regelfall kein Akteneinsichtsrecht (Hessisches FG, Urteil vom 16.3.1990, EFG 1990 S. 503).

2.1.6 Sind in den Akten Kontrollmitteilungen oder Hinweise (des Außenprüfers oder ggf. vertrauliche eines Dritten) bzgl. der (bei der nächsten Außenprüfung) zu überprüfenden Sachverhalte bzw. Unregelmäßigkeiten enthalten, ist zu prüfen, ob dem Beteiligten die Akteneinsicht nicht nach Entnahme der entsprechenden Unterlagen gewährt werden kann.

2.2 Im Übrigen müssen bei der Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht die Interessen der Verwaltung an einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang berücksichtigt und insoweit mit den Belangen des Beteiligten gegeneinander abgewogen werde...

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