Rz. 133

Ein weiterer Bereich, in welchem Rückstellungen notwendig sind, besteht bei Entsorgungs-, Entfernungs-, Wiederherstellungs-, Rückbau- und Rekultivierungsverpflichtungen. Hier entsteht die Verpflichtung faktisch oder rechtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit i. d. R. bereits zum Zeitpunkt des Nutzungsbeginns der betroffenen Vermögenswerte, ggf. sogar schon vorher, wenn die Nutzung vorbereitet wird, wie etwa bei der Freilegung der zu fördernden Braunkohle im Tagebau. Auch eine Verpflichtung während oder am Ende der Nutzung eines Vermögenswertes ist denkbar, wenn z. B. neue gesetzliche Regelungen beachtet werden müssen.

Buchhalterisch besteht das Problem, dass dieser Sachverhalt unzweifelhaft die Ansatzkriterien für Rückstellungen erfüllt, sodass die zukünftig erwarteten Auszahlungen abgezinst als Rückstellung auszuweisen sind. Allerdings würde bei einer erfolgswirksamen Bildung eine falsche Periodenzurechnung der Aufwendungen erfolgen. Eine ratierliche Bildung der Rückstellung während der Nutzungsdauer, was eine erfolgswirksam zutreffende Verteilung ermöglichen würde, wie sie nach dem HGB gefordert wird,[1] widerspricht aber dem Gedanken des vollständigen Ausweises der Verpflichtungen. Aus diesem Grund hat das IASB eine Vorgehensweise in IAS 16.16c vorgeschrieben, nach der die als Rückstellung anzusetzenden Beträge erfolgsneutral in den Anschaffungs- und Herstellungskosten der entsprechenden Vermögenswerte einzubeziehen sind. Die Erfolgswirksamkeit ergibt sich dann durch die (erhöhten) planmäßigen Abschreibungen des Vermögenswertes. Im Fall eines Leasingverhältnisses ist eine derartige Verpflichtung nach IFRS 16.24(d) als Teil der Kosten des Nutzungsrechts zu erfassen.[2]

Steuerrechtlich wird jeweils der Betrag zurückgestellt, den der Unternehmer nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag aufwenden müsste, um den im laufenden Wirtschaftsjahr ausgebeuteten Teil zu rekultivieren bzw. wieder herzustellen. Dieses Bewertungsverfahren berücksichtigt, in welchem Maße die Verhältnisse des einzelnen Wirtschaftsjahres für die wirtschaftliche Entstehung der ihrer Höhe nach ungewissen Schuld ursächlich waren. Die Verpflichtung berührt trotz wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dem Ausbeutevertrag nicht dessen Ausgewogenheit. In der Höhe des jährlichen Zuführungsbetrags tritt eine Gewinnminderung ein. Im Übrigen sollten die Verwaltungsanweisungen in R 38 Abs. 2 EStR beachtet werden.

 

Rz. 133a

Eine Rückstellung ist aber nur zu bilden, wenn eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger wahrscheinlich ist. Somit muss neben der ungewissen Schuld auch die Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass der Gläubiger sein Recht z. B. auf den Rückbau von dem Mieter bzw. Pächter errichteten Anlagen einfordern wird.

Auch bei Verträgen mit Verlängerungsoptionen ist auf die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme durch den Gläubiger abzustellen. Wird am Ende der gewährten Verlängerung zum Beispiel der Rückbau einer Anlage gefordert, während diese bei Beendigung des ursprünglichen Mietzeitraums entschädigungslos verbleiben könnte, ist erst eine Rückstellung zu bilden, wenn die Verlängerungsoption wahrscheinlich oder tatsächlich in Anspruch genommen wird.[3]

 

Rz. 134

Bei der Bewertung o. g. Rückstellungen besteht die Schwierigkeit, die in einem erst weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt aufzubringenden Kosten auf die jeweiligen Bilanzstichtage zurückzubeziehen. Nach dem Steuerrecht wächst der Rückstellungsbetrag nach Maßgabe der durch den Abbau im jeweiligen Wirtschaftsjahr zugewachsenen Verpflichtung so kontinuierlich an, dass sich schließlich Rückstellung und tatsächlich anfallende Kosten im Zeitpunkt der Fälligkeit im Großen und Ganzen decken werden.[4] Hinsichtlich des Abzinsungsgebots gelten die Ausführungen unter Rz. 127 entsprechend.

Nach dem HGB wird die Rückstellung mit dem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags bewertet, der mit dem laufzeitadäquaten Durchschnittszinssatz der letzten 7 Geschäftsjahre abzuzinsen ist. Bei der Ermittlung des Erfüllungsbetrags sind die zukünftig erwarteten Kosten einzubeziehen.[5]

 

Rz. 135

Die Rückstellung ist nicht deshalb niedriger zu bewerten, weil die durch die Rekultivierungsverpflichtung künftig entstehenden Ausgaben im Ergebnis ganz oder z. T. dadurch ausgeglichen werden, dass der Verpflichtete im Zusammenhang mit dem Auffüllvorgang auch Einnahmen (Kippgebühren) erzielen wird.

 

Rz. 136

Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für Verpflichtungen zum Auffüllen abgebauter Hohlräume.[6]

 

Rz. 137

Rückstellungen sind auch zu bilden für Rekultivierungsaufwendungen nach dem Abgrabungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21.11.1972.[7]

[1] Vgl. z. B. Hommel, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 249 HGB Rz. 86–89, Stand: 11/2022.
[2] Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS Kommentar, 22. Aufl. 2024, § 21 Rz. 77; Lüdenbach, PiR 2022, S. 294 ff.
[3] Vgl. Lüdenbach, StuB 2023, S. 390 ff.

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