Hauptanwendungsfall des "Auffangtatbestands" ist die Änderung der Zuordnung des Besteuerungsrechts bei Neuabschluss oder Revision eines Doppelbesteuerungsabkommens (Problem der Immobilienkapitalgesellschaft).

Im Allgemeinen steht bei einem in Deutschland ansässigen unbeschränkt Steuerpflichtigen nach den Doppelbesteuerungsabkommen dem Ansässigkeitsstaat (= Deutschland) das ausschließliche Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften zu.[1] Ausnahmen können für Anteile an Grundstücks-/Immobiliengesellschaften bestehen (i. d. R. bei über 50 % unmittelbaren/mittelbaren Grundstücken im Aktivvermögen). Ist im DBA eine solche Ausnahmeregelung enthalten, wird grundsätzlich auch dem Staat, in dem der Grundbesitz belegen ist, ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Grundstücks-/Immobiliengesellschaften zugewiesen.[2]

Die Vermeidung der Doppelbesteuerung erfolgt in diesen Fällen – je nach Ausgestaltung des DBA – entweder durch Freistellung des Veräußerungsgewinns in Deutschland oder durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer, die auf den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile entfällt.

Sowohl die Freistellungs- als auch die Anrechnungsmethode können einen Ausschluss bzw. eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG darstellen. Sofern bei Revision eines DBA erstmalig dem Belegenheitsstaat ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an solchen Grundstücks-/Immobiliengesellschaften zugewiesen wird, kommt es – auch ohne Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht – zur Besteuerung einer fiktiven Veräußerung dieser Anteile nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG i. V. m. § 17 EStG, wenn dadurch ein zuvor ausschließliches Besteuerungsrecht Deutschlands beschränkt bzw. ausgeschlossen oder ein zuvor beschränktes Besteuerungsrecht Deutschlands gänzlich ausgeschlossen wird.

[3]

Die passive Entstrickung im Falle des Neuabschlusses bzw. der Änderung eines DBA wird hingegen im Schrifttum abgelehnt.

[4]

Denn es handele sich um eine fremdbestimmte Steuerwirkung, auf die der Steuerpflichtige weder einen Einfluss hat, noch sind die Rechtsfolgen von einer aktiven Handlung des Steuerpflichtigen abhängig, sondern vom Staat verursacht.[5]

Problematisch ist die Festlegung des maßgebenden Jahres für die Festsetzung der Steuer gem. § 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG i. V. m. § 17 EStG. Ausgehend vom Grundtatbestand des § 5 AStG müsste die Besteuerung wegen der Revision des DBA unmittelbar vor oder mit dem Inkkrafttreten der Neufassung gelten. Andererseits ist zu diesem Zeitpunkt (i. d. R. 31.12. des letzten Anwendungsjahres) für das "Alt-DBA" die die Besteuerung auslösende Norm des neuen DBA noch nicht anwendbar. Die Finanzverwaltung nimmt daher die Erfassung in dem VZ vor, in dem das (neue) Doppelbesteuerungsabkommen erstmals anwendbar ist.

[6]

Die nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG festzusetzende Einkommensteuer ist aber bei EU-/EWR-Sachverhalten nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG i.  d.  F. des Zollkodex-Anpassungsgesetzes 2015 zinslos zu stunden.

In umgekehrten Fällen der Investitionen von Steuerausländern in deutsche Grundstückskapitalgesellschaften kommt es zur Steuerverstrickung.[7]

 
Praxis-Beispiel

Spanische Immobilienkapitalgesellschaften

Das Revisionsabkommen Spanien 2011 weist erstmalig auch Spanien ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften zu, wenn das Aktivvermögen dieser Kapitalgesellschaft zu mindestens 50 % unmittelbar oder mittelbar aus in Spanien gelegenem unbeweglichen Vermögen (= Grundstücks-/Immobiliengesellschaft) besteht (Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien 2011). Die Doppelbesteuerung wird in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien 2011 durch Anrechnung der spanischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer vermieden (Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Nr. ii DBA Spanien 2011). Das Revisionsabkommen Spanien ist nach Art. 30 Abs. 2 DBA Spanien 2011 am 18.10.2012 in Kraft getreten und erstmals ab dem 1.1.2013 (= VZ 2013) anzuwenden.

Lösung:

Bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person, die in Deutschland insgesamt mindestens zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Anwendbarkeit des DBA Spanien 2011 zum 1.1.2013 unmittelbar oder mittelbar i. H. v. mindestens 1 % an einer spanischen Grundstücks-/Immobiliengesellschaft beteiligt war, führt die Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands durch Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien 2011 zu einer fiktiven Veräußerung dieser Anteile zum 1.1.2013 (§ 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG i. V. m. § 17 EStG).

Die Festsetzung der Steuer gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG i. V. m. § 17 EStG erfolgt damit im VZ 2013.

Die nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG festzusetzende Einkommensteuer ist nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG zinslos zu stunden.

Länderkatalog:

Vergleichbare passive Entstrickungen ents...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge