Rz. 94

Beherrschungsidentität ist auch dann anzunehmen (vom Fall der faktischen Beherrschung abgesehen; vgl. Rz. 134ff.), wenn zwar die Beteiligten nicht alle sowohl am Besitz- als auch am Betriebsunternehmen beteiligt sind, aber die an beiden Unternehmen beteiligten Personen (Doppel-Gesellschafter) an beiden Gesellschaften jeweils zusammen über mehr als 50 % der Stimmrechte verfügen (einfache Mehrheit)[1] und in der Besitzgesellschaft – in der Rechtsform der Bruchteilsgemeinschaft, GbR, OHG sowie KG – für die gewöhnliche Geschäftstätigkeit (Rz. 95) das Mehrheitsprinzip[2] greift.[3] Exakt 50 % der Stimmrechte (Patt-Situation) gewährleisten hingegen keine Beherrschungsidentität (vgl. hierzu auch Rz. 94a).[4]

Das gilt selbst dann, wenn der mit 50 % beteiligte Gesellschafter zugleich (alleiniger) Geschäftsführer ist und somit auch die laufenden Geschäfte des täglichen Lebens beherrschen kann (Rz. 95).[5]

Damit gilt folgendes: In Fällen fehlender Mehrheit der Stimmrechte, kann eine personelle Verflechtung auch nicht durch die Geschäftsführungsbefugnis begründet werden. Dies gilt auch, wenn ein Minderheitsgesellschafter alleiniger Geschäftsführer ist und ihm diese Position aufgrund eines gesellschaftsvertraglichen qualifizierten Mehrheitserfordernisses nicht entzogen werden kann. Zu beachten ist jedoch, dass sich eine Einstimmigkeitsabrede bzw. das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit in der Betriebs-GmbH nicht in jedem Fall eignen, um eine Betriebsaufspaltung zu vermeiden (Rz. 105).

 

Rz. 94a

In Ausnahmefällen berücksichtigt das alleinige Abstellen auf die Stimmenmehrheit nach den Grundsätzen der Personengruppentheorie nicht ausreichend die Situation, dass zugleich Geschäftsführungsbefugnisse im Besitz- und/oder Betriebsunternehmen nicht oder nicht ausschließlich den Mehrheitsgesellschaftern zustehen; in diesem Fall ist (ausnahmsweise) im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Regelungen zur Geschäftsführung der Annahme einer Beherrschungsidentität und damit einer personellen Verflechtung entgegenstehen. Der BFH[6] hatte in einem solchen Fall entschieden, dass keine personelle Verflechtung gegeben sei, wenn ein Nur-Minderheitsgesellschafter einer Besitz-GbR allein geschäftsführungs- und vertretungsbefugt ist.[7] Der Umfang der Stimmrechte richtet sich primär nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen und nur bei Fehlen derartiger Vereinbarungen nach den gesetzlichen Bestimmungen. Für die Annahme der Beherrschungsidentität ist es nicht notwendig, dass ein Gesellschafter, der aufgrund des Gesellschaftsrechts in der Lage ist, in beiden Gesellschaften seinen Willen durchzusetzen, von seinem Recht auch Gebrauch macht; vielmehr ist es ausreichend, wenn er hierzu die Möglichkeit hat (Rz. 81).

Mit Urteil v. 14.4.2021[8] hat der BFH das Urteil v. 28.5.2020[9], faktisch kassiert und klargestellt, dass es ohne Stimmenmehrheit keine Durchsetzung des einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen und somit auch keine personelle Verflechtung geben kann Bestätigung der bisherigen Rspr., wonach eine Beteiligung von exakt 50 % der Stimmen nicht ausreichend ist, um eine Beherrschungsidentität anzunehmen (Rz. 94). Auch grenzt der BFH die Bedeutung der Geschäftsführungsbefugnis dahingehend deutlich ab, dass es auf diese im Einzelfall erst ankommen kann, wenn eine Stimmrechtsmehrheit vorliegt. Damit ist die Möglichkeit unter Berufung auf die BFH-Enscheidung v. 28.5.2020[10], für Zwecke der steuerlichen Abwehrberatung in Fällen, in denen allein auf Grundlage der Stimmrechte, z. B. bei exakt 50 % (Rz. 94), keine Beherrschungsidentität gegeben ist, auch insofern die Grundlage entzogen, als auch unter Berücksichtigung der Geschäftsführungsbefugnis bei Gesamtwürdigung aller Umstände, nicht von einer personellen Verflechtung ausgegangen werden kann; umgekehrt ist damit aber auch (glücklicherweise) die Möglichkeit der Ausweitung des Anwendungsbereichs der personellen Verflechtung auf die Fälle der Patt-Situation (50:50) die Grundlage – zum Leidwesen der Finanzverwaltung – entzogen.

Noch mit Urteil v. 28.5.2020[11], hat der BFH festgestellt, dass bei der Frage nach der Beherrschung nicht nur die Beteiligungsverhältnisse, sondern auch die Geschäftsführungsbefugnis zu beachten seien. Dem Fall lag eine Betriebsaufspaltung mit einer Betriebs-GmbH sowie einer Besitz-GbR, an welcher auch ein Nur-Besitzgesellschafter (Rz. 107ff.) beteiligt war, zugrunde. Nach Ansicht des BFH sei von einer personellen Verflechtung auch dann auszugehen, wenn eine Person oder Personengruppe zwar nicht nach den Beteiligungsverhältnissen, aber nach ihren Befugnissen zur Geschäftsführung bei der Besitz- wie auch der Betriebsgesellschaft in Bezug auf die, die sachliche Verflechtung begründenden Wirtschaftsgüter ihren Willen durchsetzen könne.

Beherrschungsidentität läge in diesem Zusammenhang vor, wenn einer Person oder Personengruppe die alleinige Geschäftsführungsbefugnis für die laufende Verwaltung einschließlich der Nutz...

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