Rz. 71

Vermögensgegenstände und Schulden sind nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. Dabei ist nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB vorsichtig zu bewerten; namentlich sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlusstag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind. Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie zum Abschlussstichtag bereits realisiert sind. Danach enthält die Vorschrift – neben dem Grundsatz der Einzelbewertung (s. Rz. 41) – den Grundsatz der Bewertung nach den Verhältnissen am Abschlussstichtag. Abschlussstichtag ist der Schluss des betreffenden Geschäftsjahrs (§ 242 HGB). Die am Bilanzstichtag vorliegenden Verhältnisse entsprechend dem subjektiven Erkenntnisstand eines sorgfältigen Kaufmanns sind bei fristgerechter Bilanzaufstellung nicht nur für den Ansatz der Wirtschaftsgüter, sondern auch für deren Bewertung maßgeblich – subjektive Richtigkeit –.[1]

 

Rz. 72

Daraus folgt, dass Wertminderungen sowie Tatsachen und Ereignisse unbeachtlich sind, die sich nicht auf die Verhältnisse am maßgebenden Bilanzstichtag beziehen und die erst in der Zeit zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz aufgetreten sind.[2] Hierzu zählen z. B. ein obsiegendes rechtskräftiges Urteil, ein Vergleich über eine Forderung[3], eine Vertragsänderung[4], eine Wandlung und ein Rechtsmittelverzicht. Derartige nach dem Bilanzstichtag eingetretene Tatsachen lassen keinen Schluss auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag zu, stellen vielmehr rechtsbegründende Tatsachen dar, die die Verhältnisse des Folgejahres betreffen. Sie bleiben daher unberücksichtigt.[5]

 

Rz. 73

Hingegen können Tatsachen zum Abschlussstichtag berücksichtigt werden, die bereits vor dem Bilanzstichtag eingetreten, aber erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Bilanzaufstellung bekannt geworden sind.[6] Dies lässt sich bereits aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB entnehmen. Danach sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste zu berücksichtigen, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind.[7] Fällt beispielsweise ein Schuldner nach dem Bilanzstichtag, aber vor Bilanzaufstellung in Konkurs, so lässt sich vermuten, dass die Forderung schon am Bilanzstichtag zweifelhaft war.[8] Der EuGH (v. 7.1.2003, Rs. C-306/99, (BIAO, BFH/NV 2003, 65) hat eine nach dem Bilanzstichtag erfolgte Kreditrückzahlung nicht als Tatsache angesehen, die sich auf das fragliche Geschäftsjahr bezieht; sie soll daher keine rückwirkende Neubewertung einer sich auf diesen Kredit beziehenden Rückstellung erfordern. Demgegenüber hat der BFH[9] den Wegfall eines Risikos durch Rückzahlung als wertaufhellend angesehen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wandlung vor dem Bilanzstichtag reicht nicht aus, um eine nach dem Bilanzstichtag sodann erklärte Wandlung als wertaufhellende Tatsache zu beurteilen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Vertragsparteien bereits vor dem Bilanzstichtag über die Wandlung verhandelt hatten (BFH v. 28.3.2000, VIII R 77/96, BFH/NV 2000, 1156). Wertaufhellende Tatsachen können bis zur fristgerechten Bilanzaufstellung berücksichtigt werden[10]. Dadurch wird der Zeitraum begrenzt, innerhalb dessen noch nachträglich bekannt gewordene wertaufhellende Tatsachen berücksichtigt werden können.

 

Rz. 74

Der BGH[11] hat beispielsweise im Anschluss an die Rspr. des EuGH[12] den Gewinnverwendungsbeschluss einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft als wertaufhellende Tatsache beurteilt, die einen Rückschluss auf die schon am Bilanzstichtag bestehende Ausschüttungsabsicht des Mehrheitsgesellschafters zulässt, und aufgrund dessen eine Pflicht zur phasengleichen Aktivierung des Gewinnanspruchs bei der Muttergesellschaft bejaht, wenn

  • die Muttergesellschaft alle Anteile an der Tochtergesellschaft hält,
  • sich die Geschäftsjahre der beiden Gesellschaften decken und
  • der Jahresabschluss der Tochtergesellschaft vor dem der Muttergesellschaft festgestellt wird.
 

Rz. 75

Der BFH[13] hat die phasengleiche Bilanzierung eines Dividendenanspruchs abgelehnt. Ein solcher Anspruch ist grundsätzlich erst zeitversetzt in dem Wirtschaftsjahr zu aktivieren, in dem er aufgrund des Gewinnverwendungsbeschlusses der Kapitalgesellschaft zivilrechtlich als Wirtschaftsgut entstanden ist. Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn die Kapitalgesellschaft bereits am Bilanzstichtag unwiderruflich zur Ausschüttung entschlossen gewesen ist.[14]

 

Rz. 76

Der BFH[15] hat eine Pflicht einer Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung zur phasengleichen Bilanzierung von Gewinnansprüchen jedenfalls dann verneint, wenn in der Satzung der Betriebsgesellschaft bei Stimmengleichheit eine Gewinnthesaurierung vorgesehen ist und der Jahresabschluss der ausschüttenden Betriebsgesellschaft nach dem der Besitz...

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