Rz. 29

Umstritten ist auch, zu welcher Rechtsfolge das Eingreifen des § 12 Nr. 1 EStG führt, ob damit bereits begrifflich keine Betriebsausgaben oder Werbungskosten vorliegen, oder ob der Werbungskosten- oder Betriebsausgabencharakter zwar zu bejahen ist, die Aufwendungen aber gleichwohl – vergleichbar mit § 4 Abs. 5, § 9 Abs. 5 EStG – nicht abziehbar sind. Im Wesentlichen handelt es sich um eine rechtstheoretische Frage. Bedeutung kann der Frage im Rahmen des § 9a EStG zukommen. Handelt es sich beim Eingreifen von § 12 Nr. 1 EStG tatsächlich um Werbungskosten, die lediglich nicht abziehbar sind, wären diese bei der Prüfung, ob der Pauschbetrag überschritten ist, ggf. zu berücksichtigen.

 

Rz. 30

Nach einer Meinung erfüllen Aufwendungen, die unter § 12 Nr. 1 EStG fallen, bereits begrifflich nicht die Voraussetzungen von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten.[1] Ihre Berücksichtigung im Stadium der Einkunftsermittlung widerspreche dem Grundsatz der Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähigkeit. Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten einerseits und Ausgaben für die Lebensführung andererseits schließen sich danach aus.

 

Rz. 31

Nach der gesetzlichen Definition handelt es sich indes im Anwendungsbereich des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG (nicht des Satzes 1) um Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten, denen, obwohl sie betrieblich/beruflich veranlasst sind, lediglich die Abziehbarkeit genommen ist. Innerhalb der Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten ist zwischen abziehbaren und nicht abziehbaren Aufwendungen zu unterscheiden.[2] Die BFH-Rspr. ist nicht eindeutig. Einerseits liegen Entscheidungen vor, in denen der BFH ausführt, durch die Lebensführung mitveranlasste Ausgaben seien keine Betriebsausgaben.[3] Andererseits liegen auch Urteile vor, die in die andere Richtung zu tendieren scheinen.[4] Insgesamt vertritt der BFH die Meinung, es fehle bereits am Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostencharakter. Anderenfalls wären die Beiträge zu einer Risikolebensversicherung nicht dem Sonderausgabenabzug zugänglich, da Sonderausgaben begrifflich nur dann bestehen, wenn weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten vorliegen.[5] Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da § 12 Nr. 1–5 EStG i. d. R. lediglich eine klarstellende Bedeutung aufweisen (Rz. 84). § 12 Nr. 1 EStG bringt z. B. zum Ausdruck, dass Lebensführungskosten, die unabhängig von einer bestimmten Einkunftsart entstehen, nicht als Erwerbsaufwendungen abziehbar (keine Werbungskosten oder Betriebsausgaben) sind. Z. B. dienen Kosten der Ernährung, der Wohnung[6] oder der Gesunderhaltung mittelbar auch dem Beruf (Betrieb); sie sind dennoch keine Werbungskosten (Betriebsausgaben), weil sie auch unabhängig von dem Beruf (Betrieb) entstanden wären. Dasselbe gilt für Aufwendungen für Kleidung. § 12 Nr. 5 EStG in der bis zum Vz 2014 geltenden Fassung beinhaltet (Rz. 6c) eine ähnliche Funktion wie der systematisch gleichrangige § 12 Nr. 1 EStG. § 12 Nr. 5 EStG begrenzte den Werbungskostenabzug in keinem größeren Umfang als etwa § 12 Nr. 1 S. 2 EStG, der zwar privat veranlasste Kosten als einkommensteuerrechtlich unerheblich belässt, aber deren beruflich veranlassten Teil nicht vom Werbungskostenabzug ausnimmt, so etwa die dem beruflichen Teil zuzuordnenden Reise-, Pkw- oder Telefonkosten.[7]§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG qualifiziert allerdings zusätzlich in typisierender Weise den eigentlich gemischten, also teilweise abziehbaren, Aufwand in ausschließlichen Lebensführungsaufwand um, wenn dieser vorrangig durch die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Stpfl. bedingt ist und nur am Rande (beiläufig) zur Förderung der Berufstätigkeit erfolgt. In diesem Umfang hat § 12 Nr. 1 S. 2 konstitutive Bedeutung; aus (anteiligen) Erwerbsaufwendungen werden durch § 12 Nr. 1 S. 2 EStG Lebensführungsaufwendungen (Rz. 22 und Rz. 55).

[1] Söhn, in Söhn, Die Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, 13, 50; Claßen, in Lademann, EStG, § 12 EStG Rz. 12.
[2] Wassermeyer, StuW 1981, 245, 246, StuW 1982, 352, 364; Arndt, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 12 EStG Rz. A 29.
[6] Auch, wenn wegen der Vermietung der eigenen Wohnung eine andere Wohnung angemietet wird, vgl. BFH v. 11.2.2014, IX R 24/13, BFH/NV 2014, 1197.

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