Rz. 55

Die im Einzelnen differenzierten Lösungsvorschläge zur Auslegung und Anwendung des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG lassen sich in etwa wie folgt charakterisieren:

Einigkeit besteht darin, dass Lebensführungskosten, die im Grundsatz jeden Stpfl. treffen, wie Aufwendungen für Ernährung, Kleidung, Wohnung, Freizeit, Hobby, nach der geltenden Systematik steuerlich – bereits nach § 12 Nr. 1 S. 1 EStG – nicht berücksichtigt werden können (Rz. 80: "Repräsentationsaufwendungen").

Nach der h. M. im Schrifttum, der sich nunmehr der Große Senat des BFH[1] angeschlossen hat, enthält § 12 Nr. 1 S. 2 EStG kein prinzipielles oder allgemeines Aufteilungsverbot und auch keine Aussage über Beweisführung oder Schätzung, sondern lediglich ein Abzugsverbot für Lebensführungsaufwendungen, die auch zur Förderung des Betriebs oder Berufs geeignet erscheinen.[2]§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG verbietet danach primär den Abzug der eigentlichen "Repräsentationsaufwendungen", d. h. die Aufwendungen für gesellschaftliche Veranstaltungen, für Feiern oder den Unterhalt eines kostspieligen Hauses (Rz. 21). Die Vorschrift soll dementsprechend nicht jegliche Mischfälle betreffen, sondern nur den Fall, dass der Stpfl. im Zusammenhang mit seiner exponierten wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung etwas für die Lebensführung ausgibt und diese Ausgabe – nebenbei – zugleich auch den Beruf fördert.[3] Damit beschreibt die Vorschrift letztlich – i. S. eines exemplarischen Teils für das Gesamtsystem – Aufwendungen, bei denen berufliche und private Veranlassungsbeiträge so ineinandergreifen, dass eine Trennung nicht möglich ist.[4] Somit fallen nicht nur Ausgaben zur Befriedigung des Renommierbedürfnisses und Aufwendungen mit Repräsentationscharakter unter § 12 Nr. 1 S. 2 EStG. Auch Lebensführungskosten mit beiläufigem beruflichen Bezug, die auch nach der Änderung der Rspr. durch den Großen Senat 1/06[5] nicht aufteilbar sind oder wegen ihrer Zugehörigkeit zu den unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung nicht abziehbar sind, gehören dazu (Rz. 49). Die insoweit bestehende konstitutive Bedeutung des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG ergibt sich auch vor dem Hintergrund, dass der erwerbsbezogene Anteil gemischter Aufwendungen abziehbar bleibt.

 

Rz. 55a

§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG qualifiziert in typisierender Weise eigentlich gemischte Aufwendungen in ausschließlichen Lebensführungsaufwand um, wenn diese vorrangig durch die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Stpfl. bedingt sind und nur nebenbei zur Förderung der Berufstätigkeit erfolgen. Dies ist möglich, wenn

  • der berufliche (betriebliche) Anteil an der Veranlassung der Aufwendungen von rechnerisch untergeordneter Bedeutung ist oder
  • bei wertender Betrachtung gegenüber den grundlegenden Belangen der Lebensführung nicht ins Gewicht fällt, oder
  • der berufliche (betriebliche) Veranlassungsbeitrag rechnerisch nicht ermittelbar ist und damit allenfalls einer (zu) sehr typisierenden, nicht an objektivierbaren Maßstäben ausgerichteten Schätzung zugänglich wäre.
[2] Söhn, in Söhn, Die Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, 13, 49.
[3] Arndt, in Kirchhof/Söhn, EStG, § 12 EStG Rz. A 81, B 15; Tipke, StuW 1979, 193, 203, 204; Littmann, DStR 1971, 179; Ernst/Young, BB 2004, 1024.
[4] Pezzer, DStR 2010, 93ff.

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