Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für behindertes Kind. Ursächlichkeit der Behinderung für fehlende Erwerbsfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Kind ist wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn aufgrund der schulischen und beruflichen Entwicklung des Kindes auszuschließen ist, dass andere Ursachen und nicht die Behinderung ursächlich dafür waren, dass es auf Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnte, auch wenn eine GdB von „nur 50” ohne weitere Merkmale festgestellt worden ist. Verfügt das Kind über keine eigenen Einkünfte und Bezüge, ist ein Kindergeldanspruch gegeben.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 2, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9.4.2013 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 16.6.2015 verpflichtet, Kindergeld für den Sohn R für den Zeitraum Oktober 2010 bis November 2012 festzusetzen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist der Kindergeldanspruch der Klägerin für ihren Sohn R für den Zeitraum Oktober 2010 bis November 2012.

Die Klägerin erhielt für ihren Sohn R, geboren am 22.1.1991, nach Vollendung seines 18. Lebensjahres aufgrund des Kindergeldbescheids vom 24.11.2008 ab 1.2.2009 Kindergeld wegen einer Schul- oder Berufsausbildung. Da die Berufsausbildung nach den vorgelegten Unterlagen am 31.8.2009 endete, stellte die Klägerin am 30.7.2009 einen Antrag zur Weitergewährung von Kindergeld. Die Klägerin legt eine Anmeldung für das Berufsvorbereitungsjahr 2009/10 an der … Berufsschule, einer privaten Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung mit dem Förderschwerpunkt Lernen, vor. Aus der Anmeldung geht hervor, dass R die Hauptschule nach der fünften Klasse verlassen hat. R hat den Besuch dieser Schule jedoch nicht angetreten, laut Bestätigung der Schumacherei B hat er vom 1.11.2008 bis 31.8.2009 ein Betriebspraktikum zur Wiedereingliederung ins Berufsleben absolviert. Nach einer von der Agentur für Arbeit am 22.10.2009 ausgestellten Bescheinigung war R seit 25.9.2008 bei der Berufsberatung als ausbildungsplatzsuchend registriert und nahm an Maßnahmen mit dem Ziel der Herstellung der Ausbildungsreife teil. Nach einer Bescheinigung des Sozialpädagogen K wurde R von ihm seit September 2008 auf Kosten des Jugendamts München sozialpädagogisch betreut. R hatte vom 1.11.2008 bis 31.8.2009 an einer Einstiegsqualifizierungsmaßnahme der … Agentur für Arbeit teilgenommen. Während dieser Zeit wurde geprüft, ob die Reha-Abteilung für ihn zuständig sei. Die entsprechende Abklärung habe sich bis Oktober hingezogen, seit dem 24. Oktober sei R zu einer Überprüfung im Berufsbildungswerk … Eine entsprechende Bescheinigung des Berufsbildungswerks … vom 2.11.2009 wurde vorgelegt. Nach einer von Herrn K am 1.7.2010 der Beklagten erteilten telefonischen Auskunft ist R Epileptiker. Aufgrund dieser Erkrankung sei er sozial abgerutscht und habe die Hauptschule nur bis zur sechsten Klasse besucht. Eine Berufsausbildung sei mit dieser Schulausbildung nicht möglich. R habe mehrmals versucht, eine Praktikumsstelle mit dem Ziel einer Berufsausbildung zu finden. Dies sei jedoch mit dem nicht vorhandenen Schulabschluss nicht möglich gewesen. Er habe sich nach Pfingsten für ein Berufsvorbereitungsjahr angemeldet und sei dort angenommen worden.

Mit Bescheid vom 8.2.2011 wurde die Kindergeldfestsetzung ab 1.1.2010 aufgehoben, da die kindergeldrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht nachgewiesen worden seien. Auf Einspruch wurde mit Änderungsbescheid vom 13.11.2012 Kindergeld für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis 30.9.2010 festgesetzt. Mit Schreiben vom 7.12.2012 teilte die Beklagte der Klägerin hinsichtlich des Kindergeldes ab Oktober 2010 mit, dass aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht festgestellt werden könne, dass R aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Es wurde eine Untersuchung des Kindes durch den ärztlichen/psychologischen Dienst der Agentur für Arbeit vorgeschlagen. In der Folge wandte sich die Beklagte an die Rehastelle der Agentur für Arbeit und bat sie, die Untersuchung einzuleiten und eine gutachtliche Stellungnahme abzugeben. Da die Klägerin nicht die erforderlichen Unterlagen vorlegte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9.4.2013 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Oktober 2010 bis Dezember 2012 ab. Dagegen erhob die Klägerin Einspruch. R sei aufgrund einer epileptischen Erkrankung behindert und nicht in der Lage, seine Existenz alleine und kontinuierlich zu sichern. Er habe immer wieder ein Anfall und benötige ärztliche Behandlung. Nichtsdestotrotz bemühe er sich um eine Ausbildu...

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