Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung für Steuerschulden aufgrund Betriebsübernahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine die Erwerberhaftung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO auslösende Unternehmensübereignung verlangt den Übergang einer lebenden organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die einem Unternehmenszweck dienen oder zumindest dessen wesentliche Betriebsgrundlagen ausmachen, so dass der Erwerber den jeweiligen Unternehmensgegenstand ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen und damit seine wirtschaftliche Kraft nutzen kann.

2. Die haftungsweise Inanspruchnahme ist dann nicht ermessensgerecht, wenn bereits beim Erlass des Haftungsbescheides bzw. spätestens bei Ergehen der Einspruchsentscheidung als dem Zeitpunkt der abschließenden Ausübung des Haftungsermessens feststeht, dass kein übernommenes Vermögen, in das vollstreckt werden kann, vorhanden ist.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1, § 75 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.05.2013; Aktenzeichen VII R 36/12)

BFH (Urteil vom 14.05.2013; Aktenzeichen VII R 36/12)

BFH (Aktenzeichen VII B 169/11)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht wegen einer Betriebsübernahme gemäß § 75 der Abgabenordnung (AO) in Haftung genommen hat.

Die Klägerin unterhält seit dem 1.1.2008 in A ein Unternehmen für Abwasserdienstleistungen. Zur Ausführung dieser Tätigkeiten nutzte die Klägerin einen im gebrauchten Zustand erworbenen Spülbohrwagen mit einem dazu gehörenden Anhänger, im gebrauchten Zustand erworbene Werkzeuge sowie ein Notebook.

Nach den Angaben in der Gewinnermittlung der Klägerin legte diese im Jahr 2008 Wirtschaftsgüter mit einem Wert von 1.500 EUR in ihr Unternehmen ein. Diese entfielen in Höhe von 1.300 EUR auf einen gebrauchten Spülbohrwagen sowie in Höhe von 200 EUR auf geringwertige Wirtschaftsgüter (Notebook und Werkzeuge).

Der Ehemann der Klägerin unterhielt in der Zeit vom 06.07.1998 bis zum 31.12.2007 ebenfalls ein Unternehmen für Abwasserdienstleistungen. Der für dieses Unternehmen zum 31.12.2007 erstellte Jahresabschluss wies die folgenden Anlagegüter aus:

Betriebs- und Geschäftsausstattung

1.028 EUR

LKW (Spülbohrwagen)

1 EUR

sonstige Transportmittel (Anhänger)

1 EUR

Betriebsausstattung, Büroeinrichtung, Werkzeuge

11 EUR

Summe

1.041 EUR

Der Ehemann ermittelte zum 31.12.2007 folgenden Aufgabegewinn:

Summe Anlagevermögen

1.041 EUR

„abzüglich Aufgabeerlös”

1.500 EUR

Aufgabegewinn

459 EUR

Aus dem Unternehmen des Ehemanns resultieren Umsatzsteuerschulden (ohne Säumnis- und Verspätungszuschläge) in Höhe von insgesamt 8.184,13 EUR. Diese entfallen in Höhe von 233,80 EUR auf Umsatzsteuerschulden des Jahres 2006 und in Höhe des Restbetrags auf Umsatzsteuerschulden der Vorauszahlungszeiträume April bis Dezember 2007. Wegen der Aufgliederung der rückständigen Steuerschulden im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.01.2010 wurde die Klägerin dahingehend informiert, dass beabsichtigt sei, sie wegen der bestehenden Umsatzsteuerrückstände ihres Ehemanns nach § 75 AO in Haftung zu nehmen. Die danach vom Ehemann angebotene Tilgung der Rückstände blieb aus. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Ehemann blieben ohne Erfolg.

Das Finanzamt (FA) erließ daraufhin gegen die Klägerin den Haftungsbescheid vom 12.4.2010, den es auf die Vorschriften der §§ 191 und 75 AO stützte. Mit diesem Haftungsbescheid nahm das FA die Klägerin für die rückständigen Umsatzsteuerschulden ihres Ehemannes in Anspruch. Dabei begrenzte das FA die Haftung auf 1.500 EUR.

Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, es würden Finanzierungsmöglichkeiten gesucht, um die Rückstände des Ehemannes tilgen zu können. Zwischen ihr und ihrem Ehemann habe keine Betriebsübernahme im Ganzen stattgefunden. Die Grundlagen des Unternehmens des Ehemannes seien von ihr nicht übernommen worden. Sowohl sie selbst als auch ihr Ehemann hätten die Möglichkeit, ein Unternehmen für Abwasserdienstleistungen zu betreiben.

Das Einspruchsverfahren war nicht erfolgreich. In der abweisenden Einspruchsentscheidung führte der Beklagte u. a. aus, werde ein Unternehmen im Ganzen übereignet, so hafte der Erwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründe. Voraussetzung sei, dass die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden seien und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet würden (§ 75 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Haftung beschränke sich dabei auf den Bestand des übernommenen Vermögens (§ 75 Abs. 1 Satz 2 AO).

Als Unternehmen in diesem Sinne sei eine organisatorische Zusammenfassung von Mitteln oder dauernden Maßnahmen anzusehen, die der selbständigen Ausübung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit dienten (vgl. BFH-Urteil vom 07.11.2002, VII R 11/01, BStBl II, 2003, 226). Voraussetzung der Haftung nach § 75 AO sei dabei u.a., dass das Unternehmen im Ganzen übereignet werde. Darunte...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge