Entscheidungsstichwort (Thema)

Konkurrierender Kindergeldanspruch: Wegzug nach Belgien während der Elternzeit – Erwerbstätigkeit der Kindesmutter in den Niederlanden

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der Anspruch auf Kindergeld entfällt nicht dadurch, dass der Berechtigte im Anschluss an eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland nach Belgien verzogen ist und Elternzeit zur Erziehung seiner Tochter genommen hat, weil er auch während dieser Zeit in der deutschen Arbeitslosen- und Rentenversicherung versichert bleibt.
  2. Dass der Berechtigte die Merkmale des § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht erfüllt, ist angesichts des Vorrangs der VO (EWG) Nr. 1408/71 gegenüber den inländischen Vorschriften unerheblich.
  3. Im Falle der Anspruchskonkurrenz für ein und dasselbe Kind aufgrund von Ansprüchen beider Elternteile wegen der Zugehörigkeit zu den Sozialversicherungssystemen zweier Mitgliedstaaten (hier: Erwerbstätigkeit der Kindesmutter in den Niederlanden) ist das Kindergeld von dem Mitgliedstaat zu zahlen, der den höheren Leistungsbetrag vorsieht.
  4. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, der den inländischen Kindergeldanspruch für den Fall ausschließt, dass ein Kindergeldanspruch für das Kind im Ausland besteht, wird durch die vorrangige Regelung in Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 verdrängt.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 1 Buchst. a Ziff. i, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 13 Abs. 2 Buchst. a; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 73; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 75 Abs. 1 S. 1; DVO (EWG) Nr. 574/72 Art. 10 Abs. 3; SGB III § 26 Abs. 2a S. 1 Nr. 1, S. 3; SGB IV § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2

 

Streitjahr(e)

2008

 

Tatbestand

Strittig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld für seine 2004 und 2006 geborenen Kinder aufgrund deutscher Rechtsvorschriften hat.

Der Kläger, der bis Ende August 2008 bei einer deutschen AG beschäftigt war (Kindergeldakte – KG-Akte – Bl. 66), bezog bis einschließlich Oktober 2007 Kindergeld für seine minderjährigen Töchter (KG-Akte Bl. 24 f.). Am 7. November 2007 teilte er der seinerzeit zuständigen Familienkasse mit, dass er am 15. September 2007 mit seinen Kindern und der Kindesmutter, nach Belgien verzogen sei. Die Kindesmutter sei seit dem 5. Juli 2007 in den Niederlanden erwerbstätig (KG-Akte Bl. 12). Die Familienkasse stellte daraufhin die Zahlung des Kindergeldes mit Wirkung ab November 2007 ein.

Mit Schreiben vom 22. Januar 2008 forderte sie den Kläger u. a. auf, die Höhe der möglichen Familienleistungen in Belgien und in den Niederlanden ab Juli 2007 und die Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland nachzuweisen. Die niederländische Sozialversicherungsbehörde (Sociale Verzekeringsbank) teilte zu dieser Aufforderung mit, dass der Kläger Erziehungsurlaub genommen habe. Da dieser sich an eine Beschäftigung anschließe, sei der Zeitraum des Erziehungsurlaubs wie eine Lohnersatzleistung zu behandeln, die wiederum der Ausübung einer Berufstätigkeit gleichstehe. Es bestehe daher in Deutschland nach Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (DVO [EWG] Nr. 574/72) i. V. m. Nr. 2 Buchstabe b Ziffer iii des Beschlusses Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 7. April 2006 (2006/442/EG, ABl. EU Nr. L 175/83) ein Anspruch auf Kindergeld. Die deutsche Familienkasse könne lediglich eine Erstattung in Höhe der Hälfte des in den Niederlanden bestehenden Anspruchs auf Kindergeld für die Kinder des Klägers durch den niederländischen Träger der Familienleistungen verlangen (KG-Akte Bl. 15). Der Kläger selbst teilte am 3. März 2008 unter Vorlage einer Bescheinigung der AG vom 19. Juni 2007, in dem diese dem Antrag auf Elternzeit vom 4. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008 zustimmte, mit, dass er nach wie vor dort beschäftigt sei und keinerlei Lohn oder Lohnersatzleistung beziehe (KG-Akte Bl. 20 f.).

Nach Abgabe der Sache durch die Familienkasse an die Beklagte bat diese den Kläger u. a. um einen Nachweis, dass er während der Elternzeit in mindestens einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert sei. Die Beklagte ging dabei in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass sich die Frage, ob ein Anspruchsvorrang in Deutschland oder in den Niederlanden bestehe, danach entscheide, ob der Kläger in Deutschland sozialversichert sei (KG-Akte Bl. 29 f.). Der Kläger teilte dazu unter Vorlage einer Meldebescheinigung zur Sozialversicherung für das Jahr 2006 mit, dass die AG noch eine Bescheinigung übermitteln werde. Seine Beschäftigung dort werde wegen Verlängerung der Elternzeit voraussichtlich weiter ruhen (KG-Akte Bl. 31 f.). Die AG bescheinigte dem Kläger in einem Nachweis vom 9. Mai 2008, dass er in einem Versicherungspflichtverhält...

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