Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienleistungsausgleich

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 20.07.2000; Aktenzeichen VI R 58/99)

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 29. Mai 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01. Juli 1997 wird aufgehoben und der Klägerin Kindergeld für ihre Tochter A. bewilligt.

2. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

4. Die Kostenentscheidung ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Gründe

Die Klägerin hat eine 1966 geborene Tochter A…, die zu 100 % schwerbehindert ist. Der Schwerbehindertenausweis der Tochter der Klägerin trägt die Merkzeichen G, H und RF.

Die Tochter der Klägerin ist an den Werktagen außer sonnabends stationär in der Landesklinik L… untergebracht. An den Wochenenden wird sie von der Klägerin betreut. Sie verbringt diese Zeit in der 72 qm großen Wohnung der Klägerin, in der für sie ein ca. 20 qm großes Zimmer bereitsteht. Die Klägerin versorgt ihre Tochter in dieser Zeit mit Essen und Kleidung, wobei der Tochter aufgrund epileptischer Anfälle, die mit der Beschädigung von Kleidungsstücken einhergehen, ein gegenüber einem nicht behinderten Menschen erhöhter Bedarf an Kleidungsstücken entsteht.

Für die Tochter der Klägerin wird der Landesklinik L… Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß § 39, 40 BSHG gewährt. Die Tochter der Klägerin selbst erhält ein monatliches Taschengeld von DM 179,39 ausgezahlt.

Mit dem angefochtenen Kindergeldbescheid hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter der Klägerin mit Wirkung zum 01. Januar 1997 auf. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

Die Klägerin hat Klage erhoben und beantragt sinngemäß,

den Kindergeldbescheid vom 29. Mai 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 1997 aufzuheben und ihr ab Januar 1997 Kindergeld für ihre Tochter A… zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Tochter der Klägerin durch die Leistung der Eingliederungshilfe für Behinderte imstande sei, sich selbst zu unterhalten.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Kindergeldbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat auch für die Zeit seit Januar 1997 Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter.

Kindergeld wird gemäß §§ 62 Abs. 1, 63 i.V.m. 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 für ein Kind, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ohne Begrenzung hinsichtlich des Alters des Kindes gezahlt.

Die Tochter der Klägerin ist körperlich, geistig oder seelisch behindert. Ein Kind wird als behindert angesehen, wenn es gemäß §§ 1, 2 SchwbG schwerbehindert oder Schwerbehinderten gleichgestellt ist (Kanzler in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 32 EStG Anm. 116). Das ist der Fall, wenn der Grad der Behinderung mindestens 30 % beträgt. Die Behinderung der Tochter der Klägerin beträgt 100 %.

Die Tochter der Klägerin ist auch außerstande, sich selbst zu unterhalten. Ein Kind ist außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit des Kindes entgegensteht oder das Kind über hinreichende Einkünfte und Bezüge nicht verfügt(BFH vom 14. Juni 1996 III R 13/94, BStBl. II 1997, 173, 174; Kanzler aaO., Anm. 118).

Die Tochter der Klägerin verfügt nicht über hinreichende Einkünfte oder Bezüge, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Aus ihrer Erwerbstätigkeit erzielt sie DM 176,39 im Monat. Dieser Betrag ist nicht geeignet, ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Auch die Leistungen nach den §§ 39 ff. BSHG für die Tochter der Klägerin führen nicht dazu, daß diese gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG imstande wäre, sich selbst zu unterhalten. Die Eingliederungshilfe für Behinderte zählt nicht zu den zu berücksichtigenden Bezügen (FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 12.02. 1998 5 K 1827/97 Kg, EFG 1998, 887; a.A. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Oktober 1997 5 V 21/97, EFG 1998, 113; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteile vom 3. Dezember 1997 II 985/97, EFG 1998, 495 und II 969/97, EFG 1998, 1211).

Die Eingliederungshilfe für Behinderte umfaßt gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 BSHG auch den Lebensunterhalt, wenn sie, wie hier, in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung gewährt wird. Sie ersetzt dann insoweit die Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Hilfe zum Lebensunterhalt zählt nicht zu den im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigenden Bezügen (ebenso i.Erg. FG Bremen vom 25. März 1997 4 96 156 K 1, EFG 1997, 766, 767; Niedersächsisches FG vom 15. April 1997 VI 587/96 Ki, EFG 1997, 1213, 1214). Sie ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG demjenigen zu gewähren, der s...

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