Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Behandlung einer unternehmerisch abgerechneten Tätigkeit als lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis: Ermessenausübung bei der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Steuerschuldner und/oder des Arbeitgebers als Haftungsschuldner für die Lohnsteuernachforderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Hat der Steuerpflichtige gegenüber einer GmbH eine unternehmerische Tätigkeit unter Ausweisung von Umsatzsteuer abgerechnet, geht das Finanzamt jedoch nachträglich von einer lohnsteuerpflichtigen Tätigkeit als Arbeitnehmer der GmbH aus und haftet die GmbH als Arbeitgeberin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die nicht einbehaltene Lohnsteuer, so muss das Betriebsstättenfinanzamt bei der Entscheidung nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG, welchen der beiden Gesamtschuldner (Arbeitnehmer als Steuerschuldner der Lohnsteuer, Arbeitgeber als Haftungsschuldner) es für die Lohnsteuernachforderung in Anspruch nehmen will, pflichtgemäß Ermessen ausüben.

2. In einem ersten Schritt ist das Entschließungsermessen auszuüben. Auf der Grundlage einer hinreichenden Ermittlung des die Haftungs- und Steuerschuld begründenden Tatbestandes ist über die Inanspruchnahme zu entscheiden. In einem zweiten Schritt ist zu entscheiden, ob der Arbeitnehmer als der materiell-rechtliche Steuerschuldner oder der Arbeitgeber als Haftungsschuldner oder gegebenenfalls beide in Anspruch genommen werden sollen. Bei der Ausübung des Auswahlermessens sind Zweckmäßigkeits- und Billigkeitserwägungen anzustellen. Fehlt es bis maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an der erforderlichen Ermessensentscheidung des Finanzamts, liegt ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs vor.

3. Demgegenüber ist das Wohnsitzfinanzamt nicht gehindert, im Lohnsteuer-Abzugsverfahren nicht berücksichtigten Arbeitslohn in die individuelle Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers einzubeziehen und ihn auf diese Weise in Anspruch zu nehmen. Die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch einen Einkommensteuerbescheid ist keine Ermessensentscheidung. Sofern von den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit keine Lohnsteuer einbehalten worden ist, ist der Arbeitnehmer nach § 25 EStG zu veranlagen.

 

Normenkette

EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Sätze 1-2, 4, § 38 Abs. 2 S. 1, § 25; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; AO § 5; FGO § 102

 

Tenor

Die Vollziehung des Nachforderungsbescheides vom 4. November 2019 wird ohne Sicherheitsleistung bis einen Monat nach Zustellung der Rechtsbehelfsentscheidung ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf … EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist ein Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und Nebenabgaben.

Der Antragsteller hat seinen Wohnsitz im Landkreis …. Er erzielte in den Jahren 2003 bis 2006 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er meldete sein Gewerbe am 14. Juni 2006 ab.

Der Antragsteller war ab dem 23. August 2006 für die H GmbH, …, seit Mai 2008 als … GmbH (nachfolgend: GmbH) firmierend, tätig.

Er erhielt für seine Tätigkeit in den Streitjahren folgende Zahlungen (in EUR):

2010

2011

2012

2013

2014

2015

Der Antragsteller erteilte für seine Tätigkeit der GmbH Rechnungen unter Ausweisung von Umsatzsteuer.

Von diesen Zahlungen wurde durch die GmbH Lohnsteuer weder einbehalten noch abgeführt. Der Antragsteller meldete die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an und führte sie nicht ab.

Der Antragsteller gab ab dem Jahr 2005 keine Einkommensteuererklärungen ab. Für die Jahre 2006 bis 2009 ergingen Einkommensteuerbescheide nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Dabei wurde Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesetzt.

Dem Antragsteller wurde mit Schreiben vom 24. September 2018 die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben.

Auf Grund der Prüfungsanordnung vom 21. September 2018 wurde bei dem Antragsteller eine Außenprüfung betreffend Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer 2006 bis 2015 durchgeführt, die mit dem Prüfungsbericht vom 26. September 2019 abgeschlossen wurde. Nach Auffassung der Prüferin war der Antragsteller im Prüfungszeitraum nicht unternehmerisch, sondern als Arbeitnehmer für die GmbH tätig. Sie ermittelte auf Grund der Zahlungen an den Antragsteller folgende Steuerbeträge (in EUR):

Einkommensteuer

Solidaritätszuschlag

Kirchensteuer rk.

2010

2011

2012

2013

2014

2015

gesamt

Für die Jahre 2006 bis 2009 ergingen geänderte Einkommensteuerbescheide durch das Wohnsitzfinanzamt des Antragstellers.

Mit Bescheid über die Festsetzung von nachzufordernder Lohnsteuer und Kirchensteuer sowie von nachzuforderndem Solidaritätszuschlag für die Jahre 2010 bis 2015 vom 4. November 2019 wurden gegen den Antragsteller folgende Nachforderungsbeträge festgesetzt (in EUR):

Lohnsteuer

Solidaritätszuschlag

Kirchensteuer rk.

Gesamt

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Arbeitgeber die Steuerabzugsbeträge nicht vorschriftsmäßig einbehalten habe (§ 42d Abs. 3 ...

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