Wird ein unanfechtbarer Steuerbescheid geändert, ist er nach § 351 Abs. 1 AO nur insoweit angreifbar, als die Änderung reicht, letztlich also nur bei Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen. Wird ein unanfechtbarer Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert, ist der Änderungsbescheid grundsätzlich überhaupt nicht mehr anfechtbar. Ein entsprechender Rechtsbehelf ist unzulässig.[1]

Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die mit der formellen Unanfechtbarkeit der ursprünglichen Steuerfestsetzung eingetretene Bindungswirkung zu schützen. In Bestandskraft erwachsen jedoch nur die in einem Bescheid festgesetzten Beträge, nicht dagegen die Besteuerungsgrundlagen, aus denen sich die Beträge ergeben.[2] Die Anfechtbarkeit eines geänderten Bescheids wird daher nur der Höhe, nicht dem Grunde nach eingeschränkt. Demnach müssen im Einspruchsverfahren gegen geänderte Steuerbescheide auch Umstände berücksichtigt werden, deren Beachtung bei der ursprünglichen, bestandskräftigen Steuerfestsetzung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Dies bedeutet, dass auch bei Einsprüchen gegen Änderungsbescheide eine Vollüberprüfung stattzufinden hat. Dabei können bisher nicht geltend gemachte Tatsachen oder Rechtsfehler vorgebracht werden, Wahlrechte erstmals oder anderweitig ausgeübt sowie nicht fristgebundene versäumte Anträge nachgeholt werden. Nur darf dabei nach dem Rechtsgedanken des § 177 AO der früher bestandskräftig festgesetzte Betrag nicht unterschritten werden, es sei denn, dass eine eigenständige Änderungsvorschrift dies zulässt.[3] Stand die ursprüngliche Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung kann eine Änderungsfestsetzung in vollem Umfang angefochten werden, da noch keine Bestandskraft eingetreten ist.

 
Praxis-Beispiel

Bindung an den Anfechtungsrahmen

Gegen einen Steuerpflichtigen ergeht ein Änderungsbescheid aufgrund neuer Tatsachen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, der die bisher bestandskräftig festgesetzte Steuer von 15.000 EUR auf 16.000 EUR erhöht. Mit seinem Einspruch wendet sich der Steuerpflichtige nicht gegen die Berücksichtigung der neuen Tatsachen zu seinen Ungunsten, sondern begehrt nunmehr die Anerkennung von Werbungskosten aus doppelter Haushaltsführung von 5.000 EUR, die ihm das Finanzamt im ursprünglichen Bescheid aus rechtlichen Gründen versagt, wogegen er sich aber nicht gewehrt hatte. Das Finanzamt teilt jetzt seine Auffassung.

Die Werbungskosten können im Rahmen des Einspruchsverfahrens bis zu einer steuerlichen Auswirkung von 1.000 EUR, also bis zur ursprünglich festgesetzten Steuer von 15.000 EUR als Untergrenze berücksichtigt werden.

 
Praxis-Beispiel

Keine Bindung an den Anfechtungsrahmen

Ein bestandskräftiger Steuerbescheid wird zuungunsten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Der Steuerpflichtige ist damit nicht einverstanden und legt Einspruch ein. Dabei trägt er auch erstmals neue Tatsachen i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, für die ihn kein grobes Verschulden trifft.

Eine Bindung an den Anfechtungsrahmen besteht hier nicht, da eine eigenständige Änderungsvorschrift greift. Die neue Tatsache zugunsten des Steuerpflichtigen ist unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Einspruch im anderen Punkt Erfolg hat und ob der ursprünglich festgesetzte Betrag unterschritten wird.

§ 351 Abs. 1 AO ist auch bei der Ausübung steuerlicher Wahlrechte (z. B. beim Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG) von Bedeutung. Zwar können solche Rechte grundsätzlich – in den Grenzen der Festsetzungsfrist – frei und unbeschränkt ausgeübt werden. Dies gilt jedoch nur solange, als der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Folglich kann ein steuerliches Wahlrecht auch nach Ergehen eines Änderungsbescheids erstmals bzw. anderweitig ausgeübt werden. Hierbei setzt allerdings der durch § 351 Abs. 1 AO gesteckte Änderungs- bzw. Anfechtungsrahmen eine betragsmäßige Grenze.[4]

Die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO findet keine Anwendung auf die Ausübung des Veranlagungswahlrechts von Ehegatten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dieses kann demnach im Zusammenhang mit der Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids unabhängig davon erneut ausgeübt werden, inwieweit die Bestandskraft durchbrochen wird.[5]

Eine Überschreitung des Änderungsrahmens im Wege der Verböserung ist nur eingeschränkt zulässig.[6]

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