Leitsatz

1. Über eine Klage darf regelmäßig erst dann zur Sache selbst entschieden werden, wenn geklärt ist, dass alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen. Anderenfalls ist durch Prozessurteil zu entscheiden.

2. Der selbstständigen Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuerbescheids steht die Rechtskraft der Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid entgegen.

 

Normenkette

§ 40 Abs. 1 FGO , § 41 Abs. 1 FGO , § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO , § 54 Abs. 2 FGO , § 56 FGO , § 65 Abs. 2 FGO , § 110 FGO

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Behandlung von Unsicherheitszuschlägen und von überhöhten Zinszahlungen als vGA. Die hiernach geänderten Steuerbescheide des FA wurden erst verspätet mittels Einsprüchen angefochten. Dem Antrag der Klägerin, ihr wegen Erkrankung ihres Gesellschafter-Geschäftsführers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, entsprach das FA in seiner Einspruchsentscheidung nicht. Es verwarf die Einsprüche als unzulässig.

Dagegen erhob die Klägerin Klage beim FG, mit der sie zunächst unbeziffert und unbegründet beantragte, die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern. Durch richterliche Verfügung wurde ihr daraufhin eine Ausschlussfrist gem. § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Bezeichnung des Klagegegenstands "innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung" gesetzt. Die Zustellung erfolgte am Donnerstag, dem 29.6. 2000. Am Freitag, dem 28.7.2000, ging beim FG ein Schriftsatz der Klägerin ein, wonach das FA ihr hinsichtlich der versäumten Einspruchsfristen Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen. Außerdem seien die Schätzungen willkürlich überhöht und zögen die Nichtigkeit der Bescheide nach sich.

Es erging anschließend ein Gerichtsbescheid, durch den das FG die Klage wegen Versäumens der Ausschlussfrist als unzulässig abwies. Mit ihrem Antrag auf mündliche Verhandlung wandte sich die Klägerin gegen die Berechnung der Frist durch das FG und begehrte überdies auch insoweit, ihre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Darüber sei eine "umgehende Zwischenentscheidung" durch beschwerdefähigen Beschluss zu treffen. Im Fall der Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung und der Abweisung der Klage als unzulässig kündigte sie Erhebung einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide gem. § 41 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO an.

Das FG ließ nach Durchführung der mündlichen Verhandlung, in der die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragte, in seinem Urteil die Frage nach den Folgen, welche sich aus der Versäumnis der Ausschlussfrist gem. § 65 FGO ergeben könnten, dahinstehen. Die Klage bleibe "jedenfalls" deshalb ohne Erfolg, weil sie unbegründet sei. Dies gelte sowohl für die "mit dem Aufhebungsantrag erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage" als auch für die "mit dem Änderungsantrag erhobene Anfechtungsklage". Zum einen fehle es an Nichtigkeitsgründen, zum anderen habe das FA die Einsprüche zu Recht als unzulässig verworfen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie Verfahrensfehler rügt.

 

Entscheidung

Der BFH ließt die Revision zu, hob die Vorentscheidung gem. § 116 Abs. 6 FGO auf und verwies die Sache an das FG zurück. Wegen der Gründe im Einzelnen genügt es, den geneigten Leser auf die Wiedergabe in den Praxishinweisen zu verweisen.

 

Hinweis

Sollten Sie forensisch tätig sein und gelegentlich vor dem FG auftreten, dann kann diesem Beschluss durchaus greifbare praktische Relevanz zukommen:

1. Oftmals machen es die Gerichte sich nämlich "einfach" und sie lassen die Frage danach, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, dahinstehen. Stattdessen werden unmittelbar Fragen der Begründetheit geprüft. Der BFH stellt klar, dass dieses Vorgehen grundsätzlich nicht hingenommen werden kann. (Etwaige) Ausnahmen: (1) Die Klage ist offensichtlich unbegründet oder (2) keinem Beteiligten kann aus der Abweisung der Klage als "jedenfalls unbegründet" ein Rechtsnachteil erwachsen. Beide Ausnahmefälle lagen im Beschlussfall nicht vor.

2. Erste Ausnahme: Offensichtliche Unbegründetheit. Hier stand zunächst die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Vordergrund, und zwar im Hinblick auf die versäumte Ausschlussfrist zur Bestimmung des Klagegegenstands gem. § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO. Diese Frist war versäumt worden, weil der Finanzrichter eine etwas "perfide" Frist gesetzt hatte, nämlich "innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung" der Fristverfügung. Vier Wochen sind nun – das ist eine Binsenweisheit – nicht ein Monat, und prompt war der Steuerberater der "Heimtücke" dieser Fristsetzung erlegen: Er war dem Ausschlussbegehren des FG erst am letzten Tag der Monatsfrist nachgekommen – und damit um einen Tag zu spät.

Der BFH stellt klar, dass eine solche Fristsetzung zwar ungewöhnlich, aber nicht ermessensfehlerhaft sei; die Frist lasse sich bei einigem Nachdenken kalendarisch ermitteln. Sie tun also gut daran, insbesondere Ausschlussfristsetzungen genau zu studieren! Gleichwohl: Angesichts einer solchen Kons...

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