Rz. 1

Bilanztheorien befassen sich mit den Grundsatzfragen der Ausgestaltung des (finanziellen) Jahresabschlusses. Sie geben zum einen mögliche Erklärungsansätze über den Sinn und Zweck des Jahresabschlusses, zum anderen legen sie dar, wie die spezifischen Bilanznormen im Sinne einer zweckadäquaten Bilanzierung auszugestalten sind. Dies erfolgt i. d. R. de lege lata, d. h. unabhängig vom geltenden Bilanzrecht. Zu bedenken ist, dass neben der finanziellen Abbildung bereits seit vielen Jahren auch andere Abbildungen, wie etwa Sozial- und/oder Umweltbilanzen, diskutiert werden. Durch die verabschiedete Nachhaltigkeitsbilanzierung[1] sowie der Trend zur integrierten Berichterstattung,[2] die bislang primär auf den Lagebericht zielt, wie etwa die dort verankerte Nichtfinanzielle Erklärung nach den §§ 289b ff. HGB[3], werden zunehmend auch neue Anforderungen an die finanzielle Abbildung in diese Richtung gestellt.

 

Rz. 2

Daher erscheint das Thema "Bilanztheorien" auch nur auf den ersten Blick von geringer aktueller Relevanz zu sein. Bei Gesetzesnovellen, der Angleichung an internationale Bilanzierungsstandards sowie der Integration von sog. Nachhaltigkeitsaspekten geht es jedoch häufig um grundlegende Gedanken, die bereits im Rahmen der bilanztheoretischen Diskussion ausgiebig durchdacht wurden. Schneider mahnt, dass mangelndes geschichtliches Interesse leicht zu unnötigen wissenschaftlichen Umwegen führen kann.[4]

Daher üben die Bilanztheorien einen erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung, Rechtsfortbildung und Rechtsanwendung aus. Dies nicht nur wegen der bilanztheoretischen Vorprägung der beteiligten Fachkreise, der wissenschaftlichen Normenkritik und der Beratung bei der Gesetzesvorbereitung, sondern insbesondere dann, wenn die gesetzlichen Zwecksetzungen der Bilanz im Rechtssinne den Aufgabenstellungen der betriebswirtschaftlichen Bilanz entsprechen und sich Auslegungsmöglichkeiten unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. der „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“[5]) ergeben oder bei der prinzipienorientierten Ausgestaltung des Gesetzes Lücken zu schließen sind.

 

Rz. 3

Die Begriffe Bilanztheorien, Jahresabschlusstheorien und Bilanzauffassungen werden synonym verwandt. Sinnvoller wäre es, von Jahresabschlussauffassungen zu sprechen, da Bilanztheorien zum einen nicht nur auf die Erörterung der Bilanz beschränkt sind und zum anderen die Bezeichnung Theorie unzutreffend ist. Es geht eher um Konstrukte von Abbildungsmodellen, die insbesondere aufgrund der Unmöglichkeit der objektiven Abbildung von ganzen Unternehmen und der bei Ansatz- und Bewertungsentscheidungen daher immer zu treffenden subjektiven Werturteilen nie den Anspruch auf das einzig richtige Vorgehen beanspruchen können. Zudem ist die Sinnhaftigkeit derartiger Abbildungsmodelle immer auch abhängig vom konkreten Rechenzweck, über den ebenfalls intensiv (subjektiv beeinflusst) diskutiert werden kann. Aus diesem Grund können die Auffassungen auch auf abstrakten, realitätsungebundenen Annahmen beruhen (idealtheoretische, „reine“ Bilanzkonzepte) oder auf dem tatsächlichen rechtlichen Rahmen bzw. dem empirisch feststellbaren Verhalten der Bilanzierenden und Bilanzadressaten (realtheoretische, „angewandte“ Bilanzkonzepte). Die im Schrifttum vorherrschende Bezeichnung Bilanztheorie soll dennoch hier Verwendung finden.

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