Rz. 81

Der Stetigkeitsgrundsatz betrifft nur die Anwendung von Bewertungsmethoden, nicht jedoch die Inanspruchnahme von Individualspielräumen.[1] Will man also die bilanzpolitische Flexibilität erhöhen, so muss man den Bereich, in dem Bewertungsmethoden zum Zuge kommen, zugunsten der Ausnutzung von Individualspielräumen einschränken. Somit ist der Umfang der methodengebundenen Bewertung soweit wie möglich zu begrenzen und umgekehrt der Umfang der methodenfreien Bewertung korrespondierend auszuweiten.

 

Rz. 82

Daraus wird deutlich, dass der Grundsatz der Methodenbestimmtheit des Wertansatzes[2] zu relativieren ist, d. h. nicht uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen darf. Der Grundsatz kann nur für einen Teil der zu bewertenden Vermögens- und Schuldposten verpflichtend sein. Dies schließt aber nicht aus, dass der durch die Individualspielräume gegebene Bereich der methodenfreien Bewertung freiwillig eingeengt wird, vor allem aus Zweckmäßigkeitsgründen. So wird es sich z. B. empfehlen, bei der Bewertung nicht voll gängiger Vorräte Pauschalabschläge, die nach bestimmten Kriterien abgestuft sind, vorzunehmen, weil eine Einzelbewertung dieser Vorräte einen unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand erfordern würde. Auch Einzelrisiken bei Forderungen und im Bereich der Garantieverpflichtungen oder bei schwebenden Geschäften können durch pauschale Bewertungen erfasst werden. Durch eine solche Vorgehensweise werden Normierungen geschaffen. Es entstehen Bewertungsmethoden. Aus Individualspielräumen sind Verfahrensspielräume geworden.

 

Rz. 83

Die Ausweitung der methodengebundenen Bewertung durch Einschränkung der Möglichkeiten zur Ausnutzung von Individualspielräumen erschwert die Bilanzpolitik, denn der Stetigkeitsgrundsatz betrifft auch Änderungen der Parameter für pauschale Verfahren. Das sei am Beispiel der Garantierückstellung verdeutlicht.

 
Praxis-Beispiel

Der im Zeitablauf konstante Jahresumsatz eines Industrieunternehmens betrage TEUR 20 000.

Garantiefrist: 1 Jahr. Durchschnittlicher jährlicher Garantieaufwand in der Vergangenheit: TEUR 400. Zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung im März seien neben diversen kleineren Fällen 2 größere Einzelgarantiefälle mit einem geschätzten Aufwand von TEUR 60 und TEUR 40 bekannt. Für den Ansatz der Rückstellung gibt es 2 Möglichkeiten:

  1. Es wird nur eine Pauschalrückstellung von 1 % des Jahresumsatzes = TEUR 200 gebildet. (Dabei wird unterstellt, dass sich der Garantieaufwand gleichmäßig auf die Garantiefrist verteilt; somit entspricht hier die Rückstellung der Hälfte des jährlichen Garantieaufwands.)
  2. Für alle Einzelgarantierisiken von jeweils mehr als TEUR 10 werden Einzelrückstellungen gebildet; im vorliegenden Fall also insgesamt TEUR 100. Die übrigen Risiken werden durch eine Pauschalrückstellung von 0,5 % des Jahresumsatzes = TEUR 100 abgedeckt.

Soll die Garantieleistung aus bilanzpolitischen Gründen um TEUR 40 auf TEUR 160 vermindert werden, so würde das im Fall a) eine Reduzierung des Prozentsatzes auf 0,8 % bedeuten. Für diese Methodenänderung müsste eine Begründung gefunden werden, damit ein Ausnahmefall i. S. d. § 252 Abs. 2 HGB angenommen werden kann. Ist im Folgejahr die Interessenlage entgegengesetzt, so müsste die Erhöhung des Prozentsatzes auf z. B. wiederum 1 % ebenfalls begründet werden. Hat sich hinsichtlich der Qualität der Produkte und hinsichtlich des jährlichen Garantieaufwands nichts Wesentliches geändert, werden solche gegenläufigen Begründungen schwerfallen.

Im Fall b) kann man diesen Schwierigkeiten meistens ausweichen. Vielfach ist bei Bilanzerstellung der Unsicherheitsgrad der Einzelrisiken so groß, dass für eine mehr optimistischere oder eine mehr pessimistischere Schätzung der voraussichtlichen Aufwendungen eine nicht unerhebliche Bandbreite besteht. So kann es im vorliegenden Beispiel ohne weiteres möglich sein, die Einzelrisiken mit TEUR 35 (statt TEUR 60) und mit TEUR 25 (statt TEUR 40) zu schätzen. Da es sich um Einzelfälle handelt, braucht man aus der Art der Schätzung keine Präjudizierung für die Zukunft zu befürchten. Der Prozentsatz für die Pauschalrückstellung bleibt unverändert.

 

Rz. 84

Das Beispiel unter Rz. 83 zeigt, dass es schwieriger ist, die pauschale Garantierückstellung zu ändern als die Rückstellung für Einzel-Garantierisiken. Änderungen der Pauschalrückstellung sind zudem grundsätzlich als Methodenänderung berichtspflichtig (§ 284 Abs. 2 Nr. 2 HGB), sodass die Ausweitung der methodengebundenen Bewertung zu Lasten der Individualspielräume (d. h. hier die Bildung von Pauschalrückstellungen anstelle von Einzelrückstellungen) zugleich eine Verschiebung von den für Externe unmittelbar nicht erkennbaren bilanzpolitischen Maßnahmen hin zu den erkennbaren Maßnahmen zur Folge hat.

Allerdings kann die Wirkung der methodengebundenen Bewertung jedoch auch dadurch begrenzt werden, wenn die Methoden bzw. die diesen zugrundeliegenden Parameter in zeitlich kürzeren Abständen regelmäßig überprüft werden, z. B. eine in einem 2 oder 3-jährigen Zyklus erfolgende Überprü...

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