Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit die Grundsteuer von den Finanzämtern festgesetzt und erhoben wird (z. B. in Berlin), ist der Rechtsmittelzug nach der Reichsabgabenordnung und gegebenenfalls das Rechtsbeschwerdeverfahren an den Bundesfinanzhof (ß 52 Abs. 4 Satz 1 AO) gegeben.

Ein Grundsteuerbetrag, der, obwohl nicht entrichtet (durch Zahlung, Aufrechnung, Verrechnung), erlassen worden ist, kann nicht erstattet werden.

 

Normenkette

AO § 52 Abs. 4, § 131 Abs. 1 S. 1, § 150

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist Eigentümerin eines Mietwohngrundstückes in Berlin-Lichterfelde. Zum 1. Januar 1946 war für dieses Grundstück der Einheitswert auf 35.100 RM und der Grundsteuermeßbetrag auf 351 RM festgesetzt worden. Demgemäß setzte das Finanzamt nach einem Hebesatz von 300 v. H. die Grundsteuer für die beiden Rechnungsjahre 1950 und 1951 je auf 1.053 DM fest. Die Zahlungspflicht wurde wie folgt erledigt:

Grundsteuersoll 1950 ------------------------------- 1.053 DM bezahlt ------------------------------- 579,11 DM wegen Ertragsminderung erlassen (Verfügung vom 3. Juli 1951) ---------- 255,16 DM aus Billigkeitsgründen erlassen (Ver= fügung vom 13. März 1953) ------------- 218,73 DM -- 1.053 DM Grundsteuersoll 1951 ------------------------------- 1.053 DM bezahlt ------------------------------- 830,- DM aus Billigkeitsgründen erlassen (Ver= fügung vom 13. März 1953) ------------- 223,- DM --- 1.053 DM.Am 28. Juni 1951 hatte die Bfin. auch beantragt, den Einheitswert des Grundstücks fortzuschreiben. Diese Fortschreibung führte schließlich für den 1. Januar 1950 zu einer Herabsetzung des Einheitswertes von 35.100 DM auf 30.300 DM und des Grundsteuermeßbetrags von 351 DM auf 303 DM. Anschließend wurde in entsprechender Weise das Grundsteuerjahressoll für 1950 und 1951 je von 1.053 DM auf 909 DM herabgesetzt. Unter Hinweis auf diese rückwirkende Herabsetzung der Grundsteuer berichtigte das Finanzamt mit Verfügung vom 23. Juli 1953 die Erlaßbescheide vom 13. März 1953 und widerrief den Erlaß von je 144 DM Grundsteuer für 1950 und 1951. Es blieben somit aus Billigkeitsgründen erlassen:

für 1950 74,73 DM statt bisher 218,73 DM und für 1951 79,- DM statt bisher 223,- DM.Die Bfin. beantragte Erstattung von 288 DM Grundsteuer (je 144 DM für 1950 und 1951). Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Die Entscheidung der Vorinstanz beruht im wesentlichen auf folgenden Erwägungen: Nach § 151 der Reichsabgabenordnung (AO) sei im Falle der Berichtigung einer Steuerfestsetzung durch Aufhebung, Rücknahme oder änderung eines früher erlassenen Bescheids dasjenige zurückzuzahlen, was zu Unrecht gezahlt sei. Ein Erstattungsanspruch sei also nur dann gegeben, wenn die Steuerzahlungsschuld unter den gezahlten Betrag herabgesetzt worden sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor. Das berichtigte Steuersoll für die Rechnungsjahr 1950 und 1951 betrage je 909 DM. Die Bfin. habe nicht mehr, sondern weniger geleistet als sie geschuldet habe. Es dürften, sofern es sich nicht um Erstattung von Steuern aus Billigkeitsgründen handle, nur Beträge erstattet werden, die zuviel gezahlt worden seien, nicht aber Steuern, die ein Finanzamt erlassen habe. Die Bfin. könne daher ihren auf Rechtsgründe gestützten Erstattungsanspruch auch dann nicht mit Erfolg geltend machen, wenn der ihr gewährte Erlaß in dem ursprünglichen Umfang formell weiterbestünde. Materiell sei der Erlaß, soweit er zusammen mit dem gezahlten Betrag die Steuerschuld übersteige, nicht existent. Der Streit, ob das Finanzamt berechtigt gewesen sei, den Erlaßbescheid vom 13. März 1953 einzuschränken, sei für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch der Bfin. ohne Bedeutung.

Demgegenüber wird von der Bfin. in der Rechtsbeschwerde (Rb.) vor allem vorgebracht, das Finanzamt hätte die bedingungs- und vorbehaltlos erteilten Erlaßbescheide nicht widerrufen dürfen, da ihm bekannt gewesen sei, daß die Bfin. große Kriegsverluste erlitten und kein Einkommen mehr gehabt habe und außerdem eine kranke Tochter, die selbst ihr Vermögen und ihre Gesundheit verloren habe, unterhalten müsse. Auch habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, daß sie (die Bfin.) Gegenforderungen aus überzahlter Vermögensteuer usw. gegenüber dem Finanzamt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

I. - Der erkennende Senat hat zunächst geprüft, ob er überhaupt zur Entscheidung über solche Streitigkeiten zuständig ist, die sich auf die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer im Lande Berlin beziehen. Nach § 52 Abs. 4 Satz 1 AO bzw. § 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 ist der Bundesfinanzhof für die Realsteuern als oberster Gerichtshof "insoweit" zuständig, "als die Steuern von Finanzämtern oder Oberfinanzdirektionen verwaltet werden". In der Regel obliegt den Finanzämtern bei den Realsteuern nur die Festsetzung und Zerlegung der Steuermeßbeträge (vgl. § 18 Ziff. 1, § 212 a AO). Die Festsetzung der Steuer selbst sowie deren Erhebung und Beitreibung liegen zumeist in der Hand der Gemeinden. Im Gegensatz zur früher einheitlichen, die Grundsteuer-Erhebung betreffenden Zuständigkeitsregelung (ß 18 Ziff. 2, § 212 b AO) ist durch Art. 108 Abs. 3 letzter Satz des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) die Möglichkeit unterschiedlicher Regelungen in den verschiedenen Ländern eröffnet worden. Soweit gemeindliche Verwaltung der Grundsteuer in Betracht kommt, ist nach § 52 Abs. 4 Satz 1 AO der Bundesfinanzhof nicht zuständig. Der Rechtsmittelzug geht an die allgemeinen Verwaltungsgerichte. Zweifelhaft könnte nur sein, ob für den Rechtsmittelzug in den Fällen, in denen ausnahmsweise - wie in Berlin - die Finanzämter (im Sinne der Organisationsform der früheren Reichsfinanzverwaltung) zugleich mit grundsätzlichen Aufgaben der Gemeindesteuerämter betraut sind, zwischen beiden Funktionen unterschieden werden, d. h. hier der Begriff des Finanzamts auf die erstgenannte Funktion (ß 18 Ziff. 1 AO) beschränkt bleiben soll, um auf diese Weise in allen Fällen eine gleichartige gerichtliche Zuständigkeitsabgrenzung nach sachlichen Gesichtspunkten zu erreichen. Der IV. Senat hat unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte im Urteil IV 11/54 U vom 28. Februar 1957 (Slg. Bd. 65 S. 489, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 III S. 421), das sich auf die Gewerbesteuer bezieht, entschieden, daß unter Finanzamt im Sinne des § 52 Abs. 4 Satz 1 AO die Dienststellen der früheren Reichsfinanzverwaltung, der jetzigen Landesfinanzverwaltungen (- behörden) im Sinne der §§ 2, 21 des Gesetzes über die Finanzverwaltung, § 3 Abs. 1 und 2 AO in der Fassung des Gesetzes vom 11. Juli 1953 zu verstehen sind. Soweit also das Finanzamt als solches tätig wird, geht auch der Rechtsmittelzug gegebenenfalls an die Steuergerichte, und ist der Bundesfinanzhof als Rechtsbeschwerdeinstanz bei Realsteuern zuständig. Der erkennende Senat schließt sich für die Grundsteuer dieser Entscheidung an. Vg. auch § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 1).

II. - Es ist anerkannten Rechtes, daß die Verfügung des Erlasses einer Steuer den Steueranspruch zum Erlöschen bringt. Wird eine Steuer erlassen, so braucht sie nicht mehr gezahlt zu werden; war sie schon gezahlt, so ist sie zu erstatten. Der Reichsfinanzhof hat im Urteil III A 161/32 vom 1. September 1932 (Reichssteuerblatt 1932 S. 988) entschieden, daß nur solche Steuern erstattet werden können, die zuvor der betreffenden Steuerklasse zugeflossen sind, daß jedoch nach § 131 AO erlassene Steuern nicht "entrichtet" seien. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Wäre im vorliegenden Fall die ganze Jahresgrundsteuer aus Billigkeitsgründen erlassen worden, so müßte der Bfin. - wäre ihre Auffassung richtig - nach der Herabsetzung der Jahresgrundsteuer von 1.053 DM auf 909 DM der Unterschiedsbetrag erstattet werden. Die Gemeinde bekäme dann nicht nur keine Grundsteuer, sondern müßte noch einen Betrag daraufzahlen. So können die maßgebenden Vorschriften nicht verstanden werden. Hieraus ergibt sich vielmehr, daß erlassene Steuerbeträge nicht als "entrichtet" im Sinne der §§ 150 ff. AO gelten können.

Im Streitfall liegt die Sache insofern anders, als nicht die ganze Jahresgrundsteuer, sondern nur ein Teil von ihr nach § 131 AO erlassen worden ist. Es darf aber nicht übersehen werden, daß im Zeitpunkt des Erlasses der Grundsteuer (Verfügung vom 13. März 1953) ein Teil der Steuerschuld schon erloschen war. Der in der Verfügung vom 13. März 1953 ausgesprochene Erlaß aus Billigkeitsgründen konnte sich sachlich nur auf die an diesem Tag noch bestehenden Jahresrestbeträge (218,73 DM für 1950 und 223 DM für 1951) beziehen. Nach den oben erwähnten Grundsätzen können diese erlassenen Beträge nicht als "entrichtet" gelten. Ein Grundsteuerbetrag, der nicht entrichtet worden ist (durch Zahlung, Aufrechnung, Verrechnung), kann aber nicht erstattet werden.

Der Verfügung des Finanzamts vom 23. Juli 1953, mit der die Erlaßverfügung vom 13. März 1953 eingeschränkt worden ist, kommt nur formelle Bedeutung zu. Das Finanzamt hätte sich mit einer entsprechenden innerdienstlichen Anweisung an die Finanzkasse begnügen und den Erstattungsantrag der Bfin. abwarten können.

Die von der Bfin. vorgetragenen Umstände (Kriegsverluste usw.) können bei der hier zu treffenden Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Ebensowenig kann im Streitfall, bei dem es sich um die Grundsteuer handelt, auf andere Steuern der Bfin. (Vermögensteuer usw.) eingegangen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 307 AO.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 184

BFHE 1958, 475

BFHE 66, 475

StRK, AO:52 R 5

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