Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Inlaufsetzens der Rechtsmittelfrist im Falle einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung.

 

Normenkette

AO § 246 Abs. 3, § 237

 

Tatbestand

In der Einkommensteuererklärung des Beschwerdeführers (Bf.) für das Geschäftsjahr 1947/48 ist ein Antrag auf Gewährung der Steuerermäßigung gemäß § 7 der Dritten Verordnung zur Durchführung der Steuerüberleitung (Dritte StüDV) gestellt. Nach der von den Vorbehörden nicht bestrittenen Einlassung des Bf. ist der Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 1947/48 am 25. Februar 1950 zur Post gegeben worden. Mit Scheiben vom 30. März 1950 - am gleichen Tage beim Finanzamt eingegangen - legte der Vertreter des Steuerpflichtigen Einspruch ein mit dem Antrage auf Gewährung der Steuerermäßigung gemäß § 8 Dritte StüDV. Der Einspruch wurde wegen verspäteten Eingangs als unzulässig verworfen.

Im Berufungsverfahren wiederholte der Vertreter des Steuerpflichtigen seinen Antrag auf Gewährung der Ermäßigung nach § 8 Dritte StüDV mit der Begründung, die Ermäßigung der Abschlußzahlung sei nur eine kassentechnische Maßnahme und könne daher bis zum Ablauf der Verjährung beantragt werden.

Die Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Gestützt auf das Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs IV 13/50 vom 18. April 1950 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch I zu § 8 Dritte StüDV = Finanz-Rundschau 1950 S. 186, Rechtsspruch 157) hat das Finanzgericht ausgeführt, daß die Steuerermäßigungsbestimmung eine Tarifvorschrift sei, die bereits bei der Veranlagung und nicht erst im Erhebungsverfahren berücksichtigt werden müsse. Die Einspruchsfrist sei am 28. März 1950 abgelaufen. Dies sei auch dann der Fall, wenn die Rechtsmittelbelehrung des Finanzamts dahin gelautet habe, daß als Zustellungstag der dritte Tag nach der Aufgabe des Steuerbescheides zur Post gelte. An sich gelte nach der auch heute noch gültigen Postzustellungsverordnung vom 23. August 1943, da der Bf. im Bereich des Ortsbestellverkehrs des Finanzamts wohne, die Zustellung bereits am zweiten Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Der Mangel in der Rechtsmittelbelehrung habe jedoch nicht zur Folge gehabt, daß eine Rechtsmittelfrist überhaupt nicht in Lauf gesetzt wurde. Vielmehr habe sich durch diesen Mangel die sonst am 27. Februar 1952 abgelaufene Frist nur um einen Tag, nämlich bis zum 28. März verlängert. Der erst am 30. März eingelegte Einspruch sei daher verspätet.

Die Rechtsbeschwerde rügt, daß die Auffassung des Finanzgerichts gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes verstoße. Infolge der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung sei die Rechtsmittelfrist gemäß § 246 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht in Lauf gesetzt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Die Auffassung des Finanzgerichts, die Ermäßigungsvorschrift des § 8 StüDV sei eine im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigende Tarifvorschrift, ist nicht zu beanstanden. Der Bundesfinanzhof ist in dem Urteil IV 134/50 U vom 18. November 1950 (Bundessteuerblatt 1951 Teil III S. 7, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 602) der in dem Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs vom 18. April 1950 vertretenen Rechtsauffassung beigetreten.

Was die Frage der Rechtzeitigkeit des Einspruchs anbetrifft, so ist dem Finanzgericht insofern ein Fehler unterlaufen, als es nicht beachtet hat, daß der 26. Februar 1950 ein Sonntag war. Im Ergebnis ist der Vorentscheidung gleichwohl beizutreten.

Nach der Postzustellungsverordnung war die Rechtsmittelfrist am 28. März abgelaufen, nach der Rechtsmittelbelehrung dagegen erst am 29. März. In dem Urteil VI A 138/37 vom 26. Mai 1937 (Slg. Bd. 41 S. 265) hat der Reichsfinanzhof für den Fall der förmlichen Zustellung mit der unrichtigen Belehrung, daß die Frist mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post beginne, folgendes erklärt:

"Auch der § 246 Abs. 3 AO ist nach seiner Zweckbestimmung unter Berücksichtigung der Volksanschauung auszulegen. Dann kann aber nicht angenommen werden, daß die Rechtsmittelfrist überhaupt nicht in Lauf gesetzt worden wäre, sondern nur, daß in solchen Fällen auch bei Postzustellung die in der Zustellung liegende Bekanntgabe im Sinne der Rechtsmittelbelehrung maßgebend ist, d. h. die Bekanntgabe ist am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, die aus dem Poststempel zu ersehen ist, erfolgt.

Damit ist dem Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen auf der einen Seite voll Genüge geschehen, andererseits wird aber verhindert, daß ohne sachlichen Grund die Rechtsmittelfrist überhaupt nicht in Lauf gesetzt wird. Die Steuerpflichtigen würden sich selbst höchlichst wundern, wenn sie in solchem Falle noch nach Jahren das Rechtsmittel einlegen könnten, und würden einen sachlichen Grund hierfür nicht entdecken können."

Dieser Rechtsauffassung, die ihren Ausgangspunkt in den Urteilen des Reichsfinanzhofs II A 123/22 vom 12. Mai 1922 (Steuer und Wirtschaft - StuW - 1922 Nr. 720) sowie V A 396/23 vom 18. Januar 1924 (StuW 1924 Nr. 90) hat, tritt der erkennende Senat bei. Siehe auch Riewald, Reichsabgabenordnung, Bemerkung 3 Abs. 5 und 6 zu § 246 AO. Der in dem Urteil II A 361/31 vom 22. Dezember 1931 (Reichssteuerblatt 1932 S. 75) vertretenen abweichenden Auffassung vermag der Senat aus den Gründen der Entscheidung VI A 138/37 vom 26. Mai 1937 nicht zu folgen. Da der Bf. durch die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht verhindert worden war, rechtzeitig gegen den Steuerbescheid vorzugehen, ist der Lauf der Rechtsmittelfrist nicht gehemmt worden. Der Einspruch ist daher verspätet.

Gründe, die zur Gewährung von Nachsicht Anlaß geben konnten (ß 86 AO), sind weder geltend gemacht worden noch sonst erkennbar, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Steuerpflichtige durch einen Steuerfachmann vertreten war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407415

BStBl III 1952, 162

BFHE 1953, 415

BFHE 56, 415

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