Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsstreits aus Gründen, die mit der erhobenen Anfechtungsklage nicht geltend gemacht werden konnten

 

Leitsatz (NV)

§ 138 Abs. 2 FGO ist nicht anwendbar, wenn das FA den Verwaltungsakt aus Gründen ändert, die mit der vom Steuerpflichtigen erhobenen Anfechtungsklage nicht geltend gemacht werden konnten.

 

Normenkette

FGO § 138

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt) gewährte der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) 1965 nach der Erstattungsverordnung Getreide und Reis vom 24. November 1964 (BGBl I 1964, 917, Bundeszollblatt - BZBl - 1965, 2) Erstattungen für die Ausfuhr von Sorghumflocken in Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr von Sorghum (180 kg Sorghum für die Ausfuhr von 100 kg Flocken). Mit Bescheid vom 8. Dezember 1966 widerrief die EVSt die Erstattungen (Einfuhrgenehmigungen) in vollem Umfang. Mit Bescheid vom 18. August 1972 änderte sie den Widerrufsbescheid; sie gewährte für die Ausfuhren eine Erstattung nach dem Umrechnungssatz von 100:102 und erhielt den Erstattungswiderruf nur noch für die Differenzmenge aufrecht. Die Klage der Klägerin hatte im Ergebnis keinen Erfolg; das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 10. Dezember 1985 im zweiten Rechtsgang wurde rechtskräftig, nachdem die Klägerin ihre dagegen eingelegte Revision im Juni 1986 zurückgenommen hatte.

In diesem Zusammenhang gewährte die EVSt der Klägerin mit Einfuhrgenehmigung Nr. 8095 und 8392 vom 16. und 29. November 1965 Erstattung in der Form der abschöpfungsfreien Einfuhr von höchstens 257 931 bzw. 490 086 kg Sorghum. Am. 24. November, 29. November und 2. Dezember 1965 bildete das Zollamt (ZA) E auf Antrag der Klägerin durch Ablichtung der Urschrift der Einfuhrgenehmigungen Nr. 8095 bzw. 8392 zwei Teil-Einfuhrgenehmigungen über 100 000 kg bzw. eine Teil-Einfuhrgenehmigung über 400 000 kg und schrieb diese Mengen jeweils auf der Urschrift ab.

Am 30. November 1965 schrieb das ZA E auf Antrag der Klägerin auf der Urschrift der Einfuhrgenehmigung Nr. 8095 eine Menge von 57 931 kg aus der Partie ab, die die Klägerin am selben Tag zum freien Verkehr hatte abfertigen lassen (Bescheid . . ./1864). Am 14. Dezember 1965 schrieb das ZA H auf Antrag der Klägerin auf der Urschrift der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 eine Menge von 90 086 kg aus einer Partie ab, die das ZA am 14. Dezember 1965 zum freien Verkehr abgefertigt hatte (Bescheid . . ./160). Das ZA M schrieb am 30. November 1965 auf Antrag der Klägerin auf der Teil-Einfuhrgenehmigung vom 29. November 1965 aus der Einfuhrgenehmigung Nr. 8095 eine Menge von 99 885 kg einer Partie ab, die das ZA auf Antrag der Klägerin zum freien Verkehr abgefertigt hatte (Bescheid . . ./539). Am 9., 10. und 13. Dezember 1965 beantragte die Klägerin beim ZA R, elf Partien von eingeführtem Sorghum in einer Gesamtmenge von 130 952 kg zum freien Verkehr abzufertigen und auf der Teil-Einfuhrgenehmigung vom 2. Dezember 1965 aus der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 abzuschreiben. Das ZA fertigte die Waren am 13. Dezember 1965 zum freien Verkehr ab und schrieb die Mengen am selben Tage auf der bis dahin noch nicht in Anspruch genommenen Teil-Einfuhrgenehmigung ab (Bescheide . . ./6855 bis 7048).

Am 29. und 30. November 1965 beantragte die Klägerin beim ZA G - das dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA -) untersteht -, acht Partien von Sorghum mit einer Gesamtmenge von 100 000 kg zum freien Verkehr abzufertigen. Das ZA folgte den Anträgen, schrieb die Mengen auf der bis dahin noch nicht in Anspruch genommenen Teil-Einfuhrgenehmigung vom 24. November 1965 aus der Einfuhrgenehmigung Nr. 8095 ab und setzte mit acht Bescheiden . . ./5714 bis 5820 lediglich 345,01 DM Umsatzausgleichsteuer und keine Abschöpfung fest. Am 15. und 16. Dezember 1965 beantragte die Klägerin beim ZA G, weitere 19 Partien Sorghum in einer Gesamtmenge von 269 037 kg zum freien Verkehr abzufertigen. Das ZA folgte auch diesen Anträgen, schrieb die Mengen auf der Teil-Einfuhrgenehmigung vom 2. Dezember 1965 aus der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 ab und setzte mit 19 Bescheiden . . ./7334 bis 7509 lediglich 928,16 DM Umsatzausgleichsteuer und keine Abschöpfung fest.

Nach dem vollen Widerruf der Erstattung durch die EVSt mit Bescheid vom 8. Dezember 1966 setzte das ZA mit ,,Sammelberichtigungsbescheid" vom 15. Dezember 1966 für die Einfuhren . . ./5714 bis 5820 und . . ./7334 bis 7509 Abschöpfungen und (anteilige) Umsatzausgleichsteuer fest und forderte den Unterschiedsbetrag in Höhe von insgesamt 68 718,37 DM nach. Nachdem die EVSt die Abschöpfungsfreiheit mit Bescheid vom 18. August 1972 teilweise wiederhergestellt hatte, änderte das ZA G mit Bescheid vom 27. November 1972 den Bescheid vom 15. Dezember 1966 und forderte nur mehr 33 676,74 DM nach (Ermäßigung um 35 041,63 DM).

Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1966 Einspruch ein, über den das HZA erst nach Einlegung der Klage entschied. Am 27. Juli 1967 erhob die Klägerin Klage nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit dem Antrag, den Bescheid vom 15. Dezember 1966 aufzuheben. Nach Ergehen des Änderungsbescheides vom 27. November 1972 beantragte die Klägerin, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt, als sie klaglos gestellt worden sei, und beantragte, den Bescheid vom 15. Dezember 1966 in der Fassung des Bescheids vom 27. November 1972 insoweit aufzuheben, als darin Eingangsabgaben in Höhe von 33 676,74 DM festgesetzt bzw. aufrechterhalten worden seien. Auch das HZA erklärte hinsichtlich des Ermäßigungsbetrags in Höhe von 35 041,63 DM durch den Änderungsbescheid vom 27. November 1972 die Hauptsache für erledigt.

Das FG hob mit Urteil vom 24. April 1975 IV 1428/67 Z den Nachforderungsbescheid vom 27. November 1972 in Höhe eines Nachforderungsbetrags von insgesamt 18 743,08 DM (= 18 466,09 DM Abschöpfungen und 276,99 DM Einfuhrumsatzsteuer) auf und wies die Klage im übrigen (14 712,99 DM Abschöpfungen und 220,67 DM Umsatzausgleichsteuer = 14 933,66 DM) ab. Seine Begründung entspricht im wesentlichen der Begründung seines Urteils vom 26. März 1975 IV 1424/67 Z (Az. des BFH: VII R 76/75 (BFH/NV 1986, 189). Danach seien die Einfuhren . . ./5714, 5774, 5775, 5784, 5785, 7334 und 7339 in vollem Umfang, die Einfuhr . . ./5798 mit einer Teilmenge von 513 kg abschöpfungsfrei und frei von anteiliger Einfuhrumsatzsteuer, während für alle übrigen Partien Abschöpfung (einschließlich anteiliger Einfuhrumsatzsteuer) zu Recht nachgefordert worden sei. Seine Kostenentscheidung begründete das FG u.a. damit, daß die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auch insoweit zu tragen habe, als sich die Hauptsache erledigt habe; das ergebe sich aus § 138 Abs. 1 FGO, da die Klage ursprünglich unbegründet und erst aufgrund des Änderungsbescheids der EVSt vom 18. August 1972 teilweise begründet gewesen sei; auf einen derartigen Fall sei § 138 Abs. 2 FGO nicht anzuwenden.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision ein, soweit das FG die Klage abgewiesen und ihr die Kosten zu 65 % auferlegt hatte. Die Klägerin beantragte, die Vorentscheidung insoweit abzuändern, daß die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits das HZA zu tragen hat, und die Sache an das FG zurückzuverweisen, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Schreiben vom 9. Mai 1986 nahm die Klägerin ihre Revision zurück mit der Begründung, sie sei durch das Urteil des FG vom 10. Dezember 1985 gegenstandslos geworden.

Auch das HZA legte (selbständige) Revision gegen die Vorentscheidung mit dem Antrag ein, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit durch sie der Änderungsbescheid vom 27. November 1972 geändert worden sei, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Seine Begründung entspricht im wesentlichen der Begründung, mit der das HZA D die Revision im Verfahren VII R 76/75 (BFH/NV 1987, 189) begründet hat.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung führt sie im wesentlichen das gleiche wie im Verfahren VII R 76/75 aus.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie der Klage stattgegeben hat, und zur Abweisung der Klage auch insoweit. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe seines Urteils von heute im Verfahren VII R 76/75 (BFH/ NV 1987, 189) dessen Beteiligte die Klägerin und das HZA D sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 2, § 138 Abs. 1 FGO).

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revision (mit einem Streitwert von 14 933 DM) zu tragen, weil sie das Rechtsmittel zurückgenommen hat (§ 136 Abs. 2 FGO). Sie hat ferner die Kosten der Revision des HZA zu tragen (Streitwert 18 743 DM), da sie insoweit unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO). Ferner fallen ihr, da ihre Klage, soweit sie sich nicht erledigt hat, insgesamt erfolglos geblieben ist, insoweit auch die Kosten der Vorinstanz zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

Auch soweit sich der Rechtsstreit in der Hauptsache durch übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten erledigt hat, hat die Klägerin die Kosten nach § 138 Abs. 1 FGO zu tragen, wie das FG zu Recht entschieden hat. Zwar hat das HZA durch den Bescheid vom 27. November 1972 den ursprünglich angefochtenen Berichtigungsbescheid vom 15. Dezember 1966 zugunsten der Klägerin geändert und deren Klageantrag entsprechend teilweise stattgegeben, womit - dem Wortlaut nach - die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 FGO erfüllt sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist diese Vorschrift jedoch einschränkend auszulegen. Sie stellt keine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß bei der Kostenentscheidung vom mutmaßlichen Ausgang des Rechtsstreits im Falle seiner Nichterledigung auszugehen ist. Infolgedessen ist § 138 Abs. 2 FGO nicht anwendbar, soweit die Behörde den Verwaltungsakt aus Gründen ändert, die mit der vom Steuerpflichtigen erhobenen Anfechtungsklage nicht geltend gemacht werden konnten (vgl. die Rechtsprechungsübersicht im BFH-Beschluß vom 14. Mai 1985 VII R 35/82, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs 1986, 45). Das ist der Fall, wenn z. B. ein Folgebescheid lediglich deshalb aufgehoben oder geändert wird, weil der ihm zugrunde liegende Grundlagenbescheid aufgehoben oder geändert wurde (BFH-Beschluß vom 13. September 1968 VI B 101/67, BFHE 93, 298, BStBl II 1968, 780). Ebenso verhält es sich, wenn z. B. ein Verwaltungsakt infolge des nachträglichen Wegfalls oder der nachträglichen Änderung eines für ihn maßgeblichen Merkmales (insbesondere in den Fällen des § 4 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) geändert wird (Beschluß des Senats vom 3. Februar 1970 VII K 13/68, BFHE 98, 328, BStBl II 1970, 328).

Ein den beiden letztgenannten Fällen ähnlicher Sachverhalt ist hier gegeben. Zwar steht der angefochtene Abschöpfungsbescheid zum Widerrufs- bzw. Wiederherstellungsbescheid des EVSt nicht im gleichen Verhältnis wie ein Folgebescheid zum Grundlagenbescheid. Für die Kostenentscheidung nach § 138 FGO ergibt sich jedoch kein relevanter Unterschied zu den in den genannten Urteilen entschiedenen Fällen. Die Zollstellen können Abschöpfungsfreiheit nur gewähren, wenn ein entsprechender Erstattungsbescheid der EVSt vorliegt. Dieser Erstattungsbescheid ist für die Zollstellen verbindlich. Liegt er im Einzelfall nicht vor oder hat ihn die EVSt rückwirkend widerrufen, so sind sie gehalten, die Abschöpfungen zu erheben oder nachzuerheben, weil ein Merkmal i. S. des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG weggelassen ist. Ebenso sind sie verpflichtet, Abschöpfungsbescheide zu ändern, falls die EVSt einen Wiederherstellungsbescheid wie jenen vom 18. August 1972 gegenüber der Klägerin für eine bestimmte Abfertigung erlassen hat. Das HZA hat also mit Bescheid vom 27. November 1972 den Nachforderungsbescheid vom 15. Dezember 1966 nicht aus Gründen geändert, die die Klägerin mit der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 15. Dezember 1966 in der Fassung des Bescheids vom 27. November 1972 geltend gemacht hat. Insoweit hat die Klägerin ihre Rechte in einem anderen Rechtsstreit gewahrt.

Über die Kosten des in der Vorinstanz erledigten Teils des Rechtsstreits ist daher nach § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden. Danach ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes bis zur Erledigung des Rechtsstreits zu entscheiden. Es ist billig, die Kosten insoweit der Klägerin aufzuerlegen. Denn ohne das erledigende Ereignis, den Wiederherstellungsbescheid des EVSt vom 18. August 1972, hätte die Klägerin mit ihrer Anfechtungsklage keinen Erfolg haben können, da das HZA wegen seiner Bindung an die Erstattungsgewährung der EVSt ohne eine solche Wiederherstellung des Erstattungsbescheids durch die EVSt von der Abschöpfungserhebung nicht hätte absehen dürfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414673

BFH/NV 1987, 192

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