Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung nach billigem Ermessen trotz Rücknahme des Verwaltungsakts

 

Leitsatz (NV)

1. Auch bei Erledigung des Rechtsstreits durch Rücknahme des angefochtenen Verwaltungsakts kann § 138 Abs. 1 FGO anwendbar sein.

2. Soweit auf Grund einer Weisung des BMF noch nicht bestandskräftig gewordene Abgabenbescheide wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln aller Art aufzuheben sind, ist - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Frage der Eingangsabgaben für eingeschmuggelte ,,harte" Drogen - keine geänderte Rechtslage geschaffen worden, die möglicherweise zur Anwendung von § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO geführt hätte.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Das Hauptzollamt (HZA) nahm den Kläger durch Bescheid vom 27. Mai 1980 als weiteren Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer für insgesamt 975 kg eingeschmuggeltes Haschisch in Anspruch, das der Kläger nach den Feststellungen in einem gegen ihn und andere Beteiligte ergangenen Strafurteil in Kenntnis der Tatumstände übernommen und vertrieben hatte. Seine nach erfolglos gebliebenem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit der Begründung ab, der Steuerbescheid sei entgegen der Ansicht des Klägers hinreichend bestimmt, denn der in dem Bescheid enthaltene Hinweis auf das Strafurteil mache deutlich, welcher Sachverhalt der Besteuerung zugrunde liege. Das HZA habe sich auf die Tatsachenfeststellungen im Strafurteil stützen dürfen. Diese Feststellungen machte sich auch das FG zu eigen; die dagegen gerichteten Einwendungen des Klägers hielt es nicht für durchgreifend.

Mit seiner Revision rügte der Kläger mangelnde Bestimmtheit des Steuerbescheids, der offenlasse, welche konkreten Handlungen der Besteuerung zugrunde lägen.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe wurde durch Beschluß des Senats abgelehnt.

Auf den Hinweis des Senats auf die in der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (VSF) N 1384 vom 4. April 1984 Nr. 86 veröffentlichte Dienstanweisung des Bundesministers der Finanzen (BMF) - keine Einfuhrumsatzsteuer für ungenehmigt eingeführte Betäubungsmittel - hob das HZA den Steuerbescheid mit Bescheid vom 26. April 1985 auf. Beide Parteien haben die Hauptsache für erledigt erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem die Hauptsache nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien erledigt ist, ist nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Diese sind, soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird, nach § 138 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Behörde aufzuerlegen. Es ist indessen anerkannt, daß ein Fall dieser Art nur vorliegt, wenn durch die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts dem mit der Klage erhobenen Einwand der Rechtswidrigkeit abgeholfen wird, und daß § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht anwendbar ist, soweit die Behörde den Verwaltungsakt aus Gründen ändert, die mit der vom Steuerpflichtigen erhobenen Anfechtungsklage nicht geltend gemacht werden konnten (Beschluß des Senats vom 3. Februar 1970 VII K 13/68, BFHE 98, 328, 330, BStBl II 1970, 328; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juli 1972 III B 49/71, BFHE 106, 416, 418, BStBl II 1972, 955, und vom 29. Juli 1976 VIII B 6/75, BFHE 120, 9, 11, BStBl II 1977, 119).

Im Streitfall beruht die Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids nicht darauf, daß das HZA den dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers stattgegeben hätte, sondern auf der im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 28. Februar 1984 Rs. 294/82 (EuGHE 1984, 1177, 1187) ergangenen Verwaltungsanweisung in VSF N 1384, die davon ausgeht, daß für unerlaubt eingeführte Betäubungsmittel keine Einfuhrumsatzsteuer entsteht (neuer Absatz 3 in VSF Z 8202), und die die Zollstellen anweist, noch nicht bestandskräftig gewordene Abgabenbescheide aufzuheben. In der Rechtssache 294/82 hatte der EuGH entschieden, die Gemeinschaftsvorschriften zur Harmonisierung der Mehrwertsteuer (Art. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 145/1 vom 13. Juni 1977; Art. 2 der Zweiten Richtlinie vom 11. April 1967, ABlEG 1967, 1303) seien dahin auszulegen, daß bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln keine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht. Das Urteil betrifft jedoch nur Betäubungsmittel, die - wie Heroin oder Morphin - ,,zwangsläufig einem vollständigen Einfuhr- und Verkehrsverbot in der Gemeinschaft unterliegen", außer wenn sie Gegenstand eines amtlich überwachten Vertriebs für medizinische und wissenschaftliche Zwecke sind. Es kann offenbleiben, ob - wenn es um einen solchen Fall ginge - im Ergebnis von einer geänderten Rechtslage auszugehen und ob auch dann darauf abzustellen wäre, daß die Abhilfe nicht unter Berücksichtigung der Einwendungen des Steuerpflichtigen erfolgt ist (bejahend Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 138 Anm. 15 = S. 468; anders - für Anwendung von § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO - BFH-Beschluß vom 24. September 1970 II R 101/69, BFHE 100, 293, 294, BStBl II 1971, 3; vgl. zum Streitstand auch Beschluß des Senats vom 31. August 1976 VII R 20/74, BFHE 119, 407, 409, BStBl II 1976, 686). Jedenfalls gelten die Grundsätze, die der EuGH zur Auslegung der Mehrwertsteuer-Richtlinien der Gemeinschaft entwickelt hat, nicht ohne weiteres für die unrechtmäßige Einfuhr von Betäubungsmitteln, die - wie Haschisch - nicht in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einem vollständigen Einfuhr- und Verkehrsverbot unterliegen. Soweit der BMF auch andere als in allen Mitgliedsstaaten strikt einfuhr- und verkehrsverbotene Betäubungsmittel in seine Weisung an die Zollstellen einbezogen hat, ist dadurch keine geänderte Rechtslage geschaffen worden, die möglicherweise zur Anwendung von § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO geführt hätte.

Die Kostenentscheidung ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen (§ 138 Abs. 1 FGO).

Es erscheint dem Senat angemessen, die Kosten dem Kläger aufzuerlegen, weil bei summarischer Beurteilung sein Rechtsmittel nicht zum Erfolg geführt hätte, wenn sich die Hauptsache nicht durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides - aus anderen als den vom Kläger gegen diesen vorgebrachten Gründen und nicht aufgrund einer im Ergebnis geänderten Rechtslage - erledigt hätte. Der Kläger ist als weiterer Abgabenschuldner für von ihm in Kenntnis der Umstände übernommenes eingeschmuggeltes Haschisch gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 i. V. m. § 57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes in Anspruch genommen worden. Gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkte standen einer solchen Inanspruchnahme nach Ansicht des Senats - auch unter Berücksichtigung der vorerwähnten EuGH-Entscheidung - nicht entgegen (vgl. das vor dieser Entscheidung ergangene, Haschisch-Einfuhren betreffende Urteil des Senats vom 23. März 1982 VII R 68/81, BFHE 135, 563, 564 f.). Mit der Revision gegen das klagabweisende Urteil des FG wäre der Kläger voraussichtlich nicht durchgedrungen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 45

BFH/NV 1986, 46

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