Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung bei rechtlichen Zweifeln an der Steuerpflicht

 

Leitsatz (NV)

Keine Geschäftsführerhaftung, wenn die Rechtslage hinsichtlich der Steuerpflicht eines Vorgangs zweifelhaft gewesen ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 69; AO § 109

 

Tatbestand

Der Kläger war von Juli 1973 bis August 1974 Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer KG gewesen ist. Die KG unterhielt mehrere Gastwirtschaften. Sie ist, nachdem die Eröffnung des Konkursverfahrens wegen Fehlens einer die Verfahrenskosten deckenden Konkursmasse abgelehnt worden war, inzwischen im Handelsregister gelöscht worden.

Aufgrund des Ergebnisses einer bei der KG durchgeführten Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, die KG habe in ihren Gaststätten bestimmte Einbaumaßnahmen getätigt, die nach § 27 Abs. 15 i. V. m. § 30 des Umsatzsteuergesetzes i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1973 (StÄndG 1973) vom 26. Juni 1973 - BGBl I 1973, 676 (UStG 1973) - (i. V. m. § 1 der Neunten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes - 9. UStDV -, BGBl I 1973, 1961) der Selbstverbrauchsteuer unterlägen. Dementsprechend zog es die KG mit im August 1975 für die Jahre 1973 und 1974 erlassenen Jahressteuerbescheiden auch zur Selbstverbrauchsteuer heran (Mehrsteuer für 1973: 7 227,31 DM, für 1974: 3 115,11 DM). Da die sich hierbei ergebende Mehrsteuer von der KG nicht gezahlt wurde, erließ das FA unter Hinweis auf §§ 109, 103 i. V. m. § 118 AO gegen den Kläger als Geschäftsführer der GmbH am 11. Februar 1976 einen Haftungsbescheid, indem es ihn mit insgesamt 10 000 DM als Haftungsschuldner in Anspruch nahm.

In dem nach erfolglosem Einspruchsverfahren seitens des Klägers mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids angestrengten Klageverfahren hat das FG durch Vernehmung des Buchhalters der KG eine Beweisaufnahme zu der Frage durchgeführt, in welcher Weise bei der KG die für die Einbauten maßgeblichen Buchungen vorgenommen und die Umsatzsteuervoranmeldungen erstellt worden waren. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das FG die Klage abgewiesen.

Es hat ausgeführt, es hätte dem Kläger bekannt sein müssen, daß die in Frage stehenden Einbauten selbstverbrauchsteuerpflichtig gewesen seien und er hätte deshalb die Aufnahme der hierfür gezahlten Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten in die während seiner Geschäftsführertätigkeit abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen veranlassen müssen. Indem er dies unterlassen habe, habe er - unbeschadet etwaiger dem Buchhalter unterlaufener Buchungsfehler - zumindest fahrlässig und damit schuldhaft i. S. von § 109 AO gehandelt. Der Haftungsbescheid sei daher zu Recht erlassen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Aufhebung des Haftungsbescheids in Form der Einspruchsentscheidung.

Der Kläger haftet als Geschäftsführer der GmbH, die ihrerseits Geschäftsführer der KG gewesen ist, gemäß § 109 Abs. 1 AO nur insoweit persönlich für Steuerschulden der KG, als durch schuldhafte Verletzung der ihm nach §§ 105, 103 AO obliegenden Pflichten Steueransprüche verkürzt worden sind. Als Geschäftsführer war er u. a. verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Steuererklärungen der KG inhaltlich richtig und fristgerecht abgegeben und die Steuern aus den Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wurden. Die Feststellungen des FG tragen nicht den Vorwurf, der Kläger habe seine Pflicht, für die Anmeldung und Zahlung der Selbstverbrauchsteuer der KG aus den Jahren 1973 und 1974 zu sorgen, schuldhaft verletzt. Das Verschulden ist ein normatives Tatbestandsmerkmal, für dessen Vorliegen dem FA die Feststellungslast obliegt und dessen Beurteilung der Revision unterliegt (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Anm. 3c zu § 69 AO 1977). Das FG geht davon aus, der Kläger hätte wissen müssen, daß es sich bei den von der KG aufgrund von Bestellungen zwischen dem 9. Mai 1973 und dem 1. Dezember 1973 vorgenommenen Einbauten um selbständige, dem Anlagevermögen zugeführte körperliche Wirtschaftsgüter gehandelt habe, die gemäß § 30 UStG 1973 der Selbstverbrauchsteuer unterlagen und deren Anschaffungsoder Herstellungskosten gemäß § 30 Abs. 8 i. V. m. § 18 Abs. 2 UStG 1973 während seiner Geschäftsführertätigkeit in die Umsatzsteuervoranmeldungen der KG hätten aufgenommen werden müssen. Indem der Kläger die Angabe in den Voranmeldungen unterlassen habe, habe er schuldhaft gehandelt. Der erkennende Senat teilt diesen Standpunkt nicht. Denn in der Frage, ob und ggf. inwieweit bei Einbauten in Gebäude abnutzbare körperliche Wirtschaftsgüter i. S. des - durch das StÄndG 1973 (Art. 6 § 1 Nr. 11 Buchst. e), BGBl I 1973, 676, 686 nur vorübergehend (vom 9. Mai 1973 bis 30. November 1973) wiedereingeführten - § 30 Abs. 2 UStG gegeben waren, bestand jedenfalls in dem Zeitraum, in dem der Kläger als Geschäftsführer tätig war (also vom Juli 1973 bis 14. August 1974) in der steuerrechtlichen Praxis keine eindeutige Auffassung. Unklar war insbesondere, ob auch die Betriebsvorrichtungen nach dem Bewertungsrecht (§ 68 des Bewertungsgesetzes - BewG) - und um solche handelt es sich im Streitfall - als selbständige körperliche Wirtschaftsgüter i. S. des § 30 Abs. 2 UStG anzusehen und dementsprechend der Selbstverbrauchsteuer zu unterwerfen seien. Die Frage ist, abgesehen von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Oktober 1970 V R 49/70 (BFHE 100, 272, BStBl II 1971, 34), in dem sie - übrigens zu § 30 Abs. 2 UStG 1967 und nicht zu § 30 Abs. 2 UStG 1973 - nur am Rande - weil nicht tragend - angesprochen ist, rechtsgrundsätzlich erstmals mit dem Urteil des BFH vom 30. Mai 1974 V R 141/73 (BFHE 112, 536, BStBl II 1974, 621) in bejahendem Sinn entschieden worden. Dieses Urteil ist im BStBl in der Nummer 25 vom 8. Oktober 1974 veröffentlicht, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Kläger schon geraume Zeit nicht mehr als Geschäftsführer der GmbH tätig gewesen war. Auch die anderen von dem FG für seine Rechtsauffassung angegebenen Urteile und Verwaltungsanweisungen (Urteile des BFH vom 26. Februar 1975 I R 32/73, BFHE 115, 238, BStBl II 1975, 443, und des FG Münster vom 24. März 1976 V 1958-74 U, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1976, 473, sowie der Erlaß des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 20. Februar 1976 IV A 1 - S 7601 - 1/76, Der Betrieb - DB - 1976, 366) sind erst lange Zeit nach Abberufung des Klägers als Geschäftsführer ergangen bzw. erlassen worden. Aus dem vorgenannten Erlaß des BMF ergibt sich überdies, daß vorher, entgegen der Ansicht des FG, in bezug auf die Streitfrage der Selbstverbrauchsteuer - körperliches Wirtschaftsgut oder nicht? - keineswegs eine gesicherte Rechtsauffassung im Sinn der späteren Rechtsprechung bestand (vgl. auch die Anmerkung in DB 1976, 366). Es kann dem Kläger bei dieser Sachlage aber nicht als schuldhafte Pflichtverletzung (§§ 109, 103 AO) angelastet werden, daß er in den während seiner Geschäftsführertätigkeit abgegebenen Voranmeldungen die Angabe von Vorgängen unterlassen hat, deren Selbstverbrauchsteuerpflicht erst nach seiner Abberufung als GmbH-Geschäftsführer durch gesicherte Erkenntnisse von Rechtsprechung und Verwaltung vermittelt worden ist. Auch die Nichteinholung einer Auskunft, wie sie bei sich aufdrängenden Zweifelsfragen angezeigt erscheinen mag (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., Anm. 3c Abs. 4 zu § 69 AO 1977), ist nicht als Verschulden zu bewerten, weil nicht anzunehmen ist, daß der Kläger bei der aufgezeigten Sach- und Rechtslage von sachverständiger Seite eine die Selbstverbrauchsteuerpflicht zweifelsfrei bejahende Auskunft erhalten haben würde, insoweit also schon die Kausalität zwischen der Nichteinholung und der unterlassenen Angabe in den Voranmeldungen mindestens offen ist. Ist aber, wie dargetan, eine schuldhafte Handlungsweise des Klägers nicht feststellbar, so fehlt es an einer essentiellen Voraussetzung für die Inanspruchnahme nach §§ 109, 103 AO.

Das Urteil des FG, das zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Haftungsbescheid des FA vom 11. Februar 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 1976 ist - ersatzlos - aufzuheben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 189

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