Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung für Umsatz- und Lohnsteuer

 

Leitsatz (NV)

Hat das FA im Umsatzsteuer-Haftungsfall (§§ 69, 34 AO 1977) den Geschäftsführer einer Gesellschaft zwecks Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote zur Vorlage einschlägiger Unterlagen (Verbindlichkeiten der Gesellschaft und hierauf erbrachte Zahlungen) aufgefordert und setzt es mangels deren Beibringung die Haftungssumme mit dem vollen Steuerrückstand fest, so liegt kein Verfahrensfehler nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO vor.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war seit April 1977 Kommanditistin einer GmbH & Co. KG sowie alleinige Geschäftsführerin der Komplementär GmbH. Auf Antrag vom 14. Januar 1980 wurde am 17. Januar 1980 über das Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet, jedoch am 21. März 1980 mangels Masse wieder eingestellt. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses der GmbH wurde wegen Fehlens einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Nach Konkurseröffnung (17. Januar 1980) veranlaßte das FA eine Umsatzsteuersonderprüfung, aus der sich Nachzahlungen bei der Lohn-, Lohnkirchensteuer sowie der Umsatzsteuer ergaben. Am 1. September 1982 erließ das FA gegen die Klägerin als ehemalige Geschäftsführerin der GmbH einen Haftungsbescheid für Umsatzsteuer der Jahre 1977 bis 1979 nebst Säumniszuschlägen in Höhe von 110 959,60 DM und am 27. März 1984 einen Haftungsbescheid für Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 15 702,37 DM.

Nachdem das FA die gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche im wesentlichen zurückgewiesen und die Klägerin beim FG Klage mit dem Ziel der Aufhebung der Haftungsbescheide erhoben hatte, erließ das FA während des Klageverfahrens am 4. April 1985 jeweils berichtigte Haftungsbescheide (§ 130 Abs. 1 AO 1977), und zwar

für Umsatzsteuer 1978, Juni 1979 und Dezember 1979 in

Höhe von insgesamt 77 709,86 DM

und Lohn- und Lohnkirchensteuer November und Dezember 1979

sowie Säumniszuschlägen 9 296,37 DM.

Die Klägerin hat diese berichtigten Haftungsbescheide zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§ 68 FGO).

Das FG hat die berichtigten Haftungsbescheide aufgehoben und die Neuberechnung der Haftungsbeträge bei der Lohnsteuer dem FA mit der Maßgabe übertragen, die abzuführenden Steuerbeträge nach der Teilsumme der verfügbaren und ausgezahlten Nettolöhne zu berechnen (Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - VGFGEntlG -). Es führte aus:

Zwar sei die Haftung der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin wegen der durch die nicht ordnungsgemäße Abführung der Steuerbeträge gegebenen grobfahrlässigen Pflichtverletzung dem Grunde nach gegeben (§§ 69, 34 AO 1977). Die Haftung sei jedoch sowohl für die Umsatzsteuer wie die Lohnsteuer (Lohnkirchensteuer) und die Säumniszuschläge der Höhe nach - also in den Haftungssummen - unzutreffend festgesetzt.

Bei der Umsatzsteuer und den Säumniszuschlägen bestehe die Haftung der Klägerin angesichts der jedenfalls seit Juni 1989 unzureichenden Liquidität der KG nur in dem Umfang, in dem die KG das FA gegenüber ihren anderen Gläubigern benachteiligt habe (Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer, Hinweis auf das Urteil des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Für den Umfang einer etwaigen Benachteiligung des FA im Vergleich zu anderen Gläubigern trage das FA die objektive Beweislast. Das FA hätte daher mittels einer zeitraumbezogenen Berechnung überschlägig feststellen müssen, ob die Steuerrückstände in etwa dem gleichen Verhältnis getilgt worden seien, wie die anderen Zahlungsverpflichtungen der KG.

Trotz dieser Beweislastverteilung habe das FA nicht die notwendigen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten, der Steuerschulden sowie der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657). In diesem Zusammenhang erweise sich auch nicht eine Anfrage des FA vom 1. März 1983 als ausreichend, ob Forderungen anderer Gläubiger bevorzugt worden seien. Vielmehr habe dem FA eine Ermittlungspflicht oblegen, der es nicht nachgekommen sei. Dabei sei zwar die Klägerin verpflichtet gewesen, die in ihren Wissensbereich fallenden Angaben zu machen (BFH-Urteil in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, 778 f.). Jedoch entbinde dies das FA nicht von seiner grundsätzlichen Verpflichtung, die für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid erforderlichen Tatsachen selbst zu ermitteln.

Dies zu tun, habe das FA jedoch unterlassen. Da der Umsatzsteuer-Haftungsbescheid daher mit einem Verfahrensmangel behaftet sei, dessen Behebung eine weitere - erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde - Aufklärung notwendig mache, sei er - ohne Entscheidung in der Sache selbst - gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufzuheben.

Bei der Lohn- (Lohnkirchen-)Steuer hafte die Klägerin lediglich für die Beträge, die bei Auszahlung der um die abzuführende Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer gekürzten Nettolöhne angefallen wären. Die Haftung beschränke sich auf die Steuerbeträge, die dann von der verfügbaren Nettolohnsumme einzubehalten und abzuführen gewesen wären (Hinweis auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 23. November 1983 III 230/76 L, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 378). Denn bei rechtmäßigem Verhalten hätte die Klägerin statt der ausgezahlten Löhne lediglich um die Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer gekürzte Beträge auszahlen dürfen. Nur hinsichtlich dieser - geminderten - Beträge als Teilsumme der verfügbaren Mittel sei eine Steuerverkürzung eingetreten. Denn unabhängig vom System des Lohnsteuerabzugsverfahren beschränke die Abgabenordnung nach dem Wortlaut des § 69 Satz 1 AO 1977 die Haftung auf die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die schuldhaft nicht (rechtzeitig) festgesetzt oder erfüllt worden seien. Eine derartige pflichtwidrige Steuerverkürzung liege jedoch nur vor wegen der auf die von den Nettolohnbezügen nicht einbehaltenen Steuerbeträge.

Mit der Revision rügt das FA hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer unrichtige Anwendung von § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO sowie fehlerhafte Beurteilung der Haftungssumme bei der Lohn- (Lohnkirchen-) Steuer.

Der vom FG angenommene Verfahrensfehler im Sinne von § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO liege nicht vor, weil das FA zu einer weiteren als der bereits durchgeführten Sachverhaltsaufklärung nicht verpflichtet gewesen sei. Eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung sei dem FA darüber hinaus auch nicht zuzumuten gewesen. Zwar setze die rechtmäßige Inanspruchnahme als Haftender voraus, daß die Klägerin in der Lage gewesen sei, die Steuerschulden aus den von ihr verwalteten Mitteln der KG zu entrichten. Das FA habe jedoch keine Veranlassung zu der Annahme gehabt, daß die vor Konkurseröffnung der Klägerin zur Verfügung stehenden Geldbeträge nicht ausreichten, um die fälligen Lieferanten- und Steuerschulden zu begleichen. Es habe aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse gerade umgekehrt zu der Schlußfolgerung kommen müssen, in dem hier interessierenden und allein entscheidenden Zeitraum vor Konkurseröffnung hätten der KG durchaus ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestanden. Wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin bei der Aufklärung des Sachverhalts in bezug auf die Mittelverwendung habe das FA unterstellen müssen, die zur Tilgung der Umsatzsteuer erforderlichen Mittel hätten der KG zu den entscheidenden Fälligkeitszeitpunkten in voller Höhe durchaus zur Verfügung gestanden, sie seien aber für andere Zwecke abgezweigt worden.

Hinsichtlich der Haftung für Lohn- (Lohnkirchen-)Steuer habe das FG die Haftungssumme zu Unrecht auf die Beträge beschränkt, die bei Auszahlung der um die abzuführende Lohn- (Lohnkirchen-)Steuer gekürzten Nettolöhne angefallen wären. Der Geschäftsführer einer KG hafte selbst dann für die gesamte, von der KG anzumeldende bzw. einzubehaltende, aber nicht abgeführte Lohnsteuer, wenn die Mittel der KG nur für die Auszahlung der Nettolöhne ausreichten. Der Grund hierfür liege im System des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Die abzuführende Steuer sei ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Arbeitslohns.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Für die Umsatzsteuer und die Säumniszuschläge hat das FG seine Entscheidung auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO gestützt. Die Überprüfung dieser Entscheidung ist dem Senat jedoch mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht möglich. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein materiell-rechtlicher Mangel, den das Revisionsgericht ohne Rüge zu beachten hat (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 27).

Nach Auffassung des FG hat das FA einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dadurch begangen, daß es wegen der Frage, ob die Klägerin das FA und ihre übrigen Gläubiger in etwa der gleichen Weise befriedigt hat, keine weiteren Ermittlungen anstellte. Das FG ist also davon ausgegangen, daß das FA gegen seine amtliche Ermittlungspflicht verstoßen hat (§ 88 Abs. 1 AO 1977). Dieser Untersuchungsgrundsatz wird ergänzt durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 90 Abs. 1 AO 1977). Der Umfang beider Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (§ 88 Abs. 1 Satz 3, § 90 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Zwischen der Intensität der Mitwirkung des Beteiligten und der Untersuchungspflicht der Finanzbehörde besteht eine Wechselwirkung (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 90 AO 1977 Tz. 40). Das FG hat diesen Zusammenhang verkannt oder - falls es ihn erkannt haben sollte - es jedenfalls an einer ausreichenden Begründung für seine Entscheidung fehlen lassen (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO).

Im Streitfall hat sich das FA um die Aufklärung des Sachverhalts bemüht. Es hat die Klägerin mit Schreiben vom 1. März 1983 - unter Hinweis auf die Maßgeblichkeit der in etwa gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung für den Umfang der Haftung bei der Umsatzsteuer - um die Beschaffung einschlägiger Unterlagen für die Berechnung der anteiligen Umsatzsteuerquote ersucht. Mit Schreiben vom 23. Februar 1984, auf das in der Einspruchsentscheidung Bezug genommen ist, hat das FA die Nichterledigung dieses Ersuchens durch die Klägerin ausdrücklich erwähnt. Die Klägerin hat jedoch bis zum Erlaß der - erst am 3. September 1984 ergangenen - Einspruchsentscheidung offenbar keine entsprechenden Unterlagen beigebracht. Bei dieser Sachlage erscheint dem erkennenden Senat die Folgerung des FG, das FA hätte Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten einschließlich der Steuerschulden und der im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen anstellen müssen, nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Das gilt um so mehr, als das FG offenbar nicht der Frage nachgegangen ist, welche weiteren Möglichkeiten sich dem FA zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote noch angeboten hätten. Der vorliegende Fall liegt insofern anders als der im Urteil des Senats vom 2. Oktober 1986 VII R 190/82 (BFH / NV 1987, 223, 225) entschiedene; dort hatte das FA das Problem der anteiligen Gläubigerbefriedigung zwar erkannt, es aber seinerseits nicht weiterverfolgt, also nichts unternommen, um Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten, der Steuerschulden und der insgesamt erbrachten Zahlungen zu treffen.

2. Auch die Überprüfung der Vorentscheidung hinsichtlich des Haftungsbescheides zur Lohn- und Lohnkirchensteuer ist dem Senat mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht möglich. Es fehlen Feststellungen dazu, daß außer den - ausgezahlten - Nettolöhnen der KG keine weiteren Zahlungsmittel mehr zur Verfügung gestanden hatten und deshalb eine Haftungsbeschränkung bei der Lohnsteuer in Betracht kam (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859). Überdies läßt der Tenor der Vorentscheidung nicht eindeutig erkennen, ob der Haftungsbescheid zur Lohnsteuer vollständig oder nur teilweise aufgehoben werden sollte.

3. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist wegen Fehlens ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht spruchreif. Sie ist daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416674

BFH/NV 1990, 351

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