Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsauslegung als Tatsachenfeststellung

 

Leitsatz (NV)

Die Auslegung eines Vertrags obliegt dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz, soweit es um die Feststellung des Willens der Vertragsparteien geht. Der Bundesfinanzhof kann jedoch als Revisionsgericht ein Finanzgerichtsurteil daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und die Erfahrungssätze zutreffend angewendet worden sind.

 

Normenkette

FGO § 118 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1972 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie bezogen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und aus einem gewerblichen Schweinemastbetrieb.

Am 3. Januar 1972 wurde zwischen den Eltern des Klägers, die früher Inhaber des landwirtschaftlichen Betriebs waren, und den beiden Klägern einerseits und der X-AG andererseits ein schriftlicher Vertrag zur Regulierung künftiger Bergschäden geschlossen. Aufgrund dieser Vereinbarung erhielt der Kläger im ersten Halbjahr 1972 Zahlungen von . . . DM, die er dem landwirtschaftlichen Betrieb - Wirtschaftsjahr 1971/1972 - zuordnete und bei den Veranlagungen zur Einkommensteuer 1971 und 1972 anteilsmäßig mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) versteuerte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete die Zahlungen nach einer Betriebsprüfung dem Gewerbebetrieb der Kläger zu und erfaßte neben anderen Einkommenserhöhungen in dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1972 den Nettobetrag (nach Abzug der Umsatzsteuer) bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb ohne Gewährung des ermäßigten Steuersatzes. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hinsichtlich des ermäßigten Steuersatzes statt und wies sie im übrigen ab. Es entschied, daß die Voraussetzungen des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 EStG in Verbindung mit § 24 Nr. 1 EStG erfüllt seien, weil die X-AG die Entschädigung als Ersatz für entgehende Einnahmen bei der Schweinemästerei gezahlt habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und verfahrensrechtlicher Vorschriften.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Allerdings kann die Revision keinen Erfolg haben, soweit das FA eine Versteuerung der Entschädigung nach dem ermäßigten Tarif gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 EStG in Verbindung mit § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ablehnt. Das FG hat seine Entscheidung, daß die Entschädigung der X-AG für entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) gezahlt worden und deshalb tarifbegünstigt zu versteuern sei, wie folgt begründet: Die X-AG habe ihrer Ersatzpflicht für konkret entstehende Bergschäden zuvorkommen wollen. Bergschäden an den betrieblichen Einrichtungen der Schweinemästerei hätten die Ertragsgrundlagen beeinträchtigen und somit die wirtschaftliche Lage der Kläger objektiv verschlechtern können. Nach Nr. 5 Satz 2 des Vertrags vom 3. Januar 1972 hätte diese drohende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage durch Zahlung der strittigen . . . DM abgegolten werden sollen. Damit sei die Entschädigung - im Gegensatz zur Ansicht des FA - unmittelbar durch den drohenden Verlust von Einnahmen bedingt. Dieser Zusammenhang sei auch nicht dadurch beseitigt worden, daß die Bergschädenvereinbarung einleitend davon spreche, die Kläger hätten in die Lage versetzt werden sollen, die Mästerei aus der Hauptzerrzone des Bergbaugebietes herauszuverlagern (Nr. 1 des Vertrags), und daß außerdem die Planung für neue Gebäude mit der X-AG hätte abgestimmt werden sollen (Nr. 4 des Vertrags). Denn die Betriebsverlagerung selbst sei nach dem Vertrag weder ausdrücklich noch sinngemäß vereinbart worden. Die Kläger hätten zwar die Verlagerung ursprünglich beabsichtigt, diese Absicht aber später endgültig aufgegeben.

An diese Würdigung ist der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden. Die Auslegung eines Vertrags obliegt, soweit es um die Feststellung des Willens der Vertragsparteien geht, dem FG als Tatsacheninstanz (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH - vom 6. Februar 1985 I R 80/81, BFHE 143, 426, BStBl II 1985, 420; ebenso die ständige Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte, z. B. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. März 1961 III ZR 6/60, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961, 1355; Urteil vom 9. Mai 1979 VIII ZR 134/78, NJW 1979, 2615; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 27. Mai 1981 8 C 6/81, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1982, 77; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 24. November 1976 1 RA 151/75, BSGE 43, 37). Der BFH kann jedoch als Revisionsgericht das Urteil des FG daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (BFH in BFHE 143, 426, BStBl II 1985, 420). Der abweichenden Auffassung des FA, daß der Vertragswille der Beteiligten generell Rechtsanwendung sei und uneingeschränkt vom BFH überprüft werden könne, kann nicht zugestimmt werden; diese Ansicht findet auch in dem vom FA zitierten BFH-Urteil vom 5. Mai 1976 I R 166/74 (BFHE 119, 478, BStBl II 1976, 717) keine Stütze; denn der BFH führt in diesem Urteil aus, daß Gegenstand der revisionsrechtlich nicht nachprüfbaren Feststellungen des FG der ermittelte Inhalt des Vertrags sei.

Das FG hat im Streitfall aus den Vertragsbestimmungen gefolgert, daß die Vertragsparteien mit der Entschädigung drohende Einnahmeverluste hätten ausgleichen wollen. Es hat dabei weder gegen die gesetzlichen Auslegungsvorschriften noch gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen.

2. Soweit jedoch das FA geltend macht, daß das FG die Entschädigung der X-AG bei der Einkommensermittlung in zu geringer Höhe angesetzt habe, ist die Revision begründet. Das FA trägt insoweit zutreffend vor, daß es darauf schon im Klageverfahren durch Schriftsatz vom 9. Juni 1981 hingewiesen habe. Damit hat das FG einen wesentlichen Teil des Gesamtergebnisses der Verhandlung in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Der darin liegende Verstoß gegen die Grundsätze des § 96 FGO stellt einen Verfahrensmangel im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO dar, den das FA mit seinem Sachvortrag auch ausdrücklich gerügt hat.

Das FG-Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben. Da der Senat die zur Entscheidung der Streitsache erforderlichen Tatsachen nach § 118 Abs. 2 FGO nicht selbst ermitteln kann, war die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 185

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