Erstattungszinsen als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist, wenn in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten sind, die auf diese Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach einem besonderen Verfahren zu berechnen. Entschädigungen i. S. d. § 24 Nr. 1 EStG sind nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG außerordentliche Einkünfte. Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i. S. d. § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
Sachverhalt: Kläger begehrt Tarifbegünstigung für geballt zufließende Erstattungszinsen
Das Finanzamt (FA) erließ am 28.11.2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Diese beruhten auf einer tatsächlichen Verständigung, mit der ein insgesamt mehr als 8 Jahre andauernder Rechtsstreit, der aus einer Steuerfahndungsprüfung hervorgegangen war, im zweiten Rechtsgang vor dem FG abgeschlossen wurde. Mit den Bescheiden wurde die Umsatzsteuer um insgesamt 321.774 EUR herabgesetzt. Ferner wurden Erstattungszinsen i. H. v. insgesamt 203.022 EUR festgesetzt.
Der Kläger behandelte diese Beträge in seinem Jahresabschluss zum 31.12.2012 als gewinnerhöhend. Er begehrte bei seiner Einkommensteuerveranlagung die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die geballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen sowie auf die Erstattungszinsen. Dies begründete er im Wesentlichen mit dem kurz zuvor veröffentlichten Senatsurteil v. 25.2.2014, X R 10/12, BStBl II 2014, 668.
Das FA gewährte den ermäßigten Steuersatz nur in Bezug auf die Umsatzsteuererstattungen i. H. v. 321.774 EUR und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
Die sich nur noch auf die Tarifbegünstigung der Erstattungszinsen beziehende Klage hatte keinen Erfolg. Das FG verwies zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des BFH v. 12.11.2013, VIII R 36/10, BStBl II 2014, 168. Dort hatte der BFH entschieden, dass Erstattungszinsen keine außerordentlichen Einkünfte i. S. v. § 34 Abs. 1 und 2 EStG seien. Die Leistung von Erstattungszinsen erfülle nicht den Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen), da sie unabhängig davon erbracht würden, ob dem Steuerpflichtigen Einnahmen entgangen seien oder entgehen würden.
Entscheidung: BFH hebt Urteil des FG auf und gibt Klage statt
Der BFH hat entschieden, dass es sich nicht nur bei den aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen, sondern auch bei den darauf beruhenden Erstattungszinsen um ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten handelt.
Vergütungen als Vorteile von wirtschaftlichem Wert
Vergütungen seien nach der von der neueren Rechtsprechung verwendeten Definition alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erziele. Unter diese Begriffsbestimmung fielen auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die – wie im Streitfall – zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehörten. Denn es handele sich um Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt würden.
Die Vergütungen seien auch für eine „Tätigkeit“ bezogen worden. Allein der Umstand, dass der Steuerpflichtige eine bestimmte Handlung aufgrund einer ihn bindenden staatlichen Anordnung vornehme, schließe es nicht aus, diese Handlung als „Tätigkeit“ anzusehen, so dass der durch den Wortsinn dieses Begriffs gezogene Rahmen nicht überschritten sei. Dem Begriff der „Tätigkeit“ wohne keine Differenzierung danach inne, ob die Handlung des Steuerpflichtigen vollkommen freiwillig oder aufgrund eines von außen auf den Steuerpflichtigen wirkenden Einflusses vorgenommen werde. Entscheidend sei vielmehr das Handlungselement.
Die vorliegend in der Kapitalüberlassung liegende Tätigkeit sei auch mehrjährig. Hierfür sei nach der Legaldefinition des § 34 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG Voraussetzung, dass die Tätigkeit sich über mindestens 2 Veranlagungszeiträume erstrecke und einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasse. Im Streitfall habe der Zinslauf selbst für den jüngsten betroffenen Veranlagungszeitraum (Umsatzsteuer 2000) am 1.4.2002 begonnen und im Jahr 2012 geendet. Die Kapitalüberlassung erstreckte sich daher auf einen mehrjährigen Zeitraum.
Gewinnerhöhung durch Erstattungszinsen auch außerordentlich
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten seien nur dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte für den betreffenden Lebens‑, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch sei. Hierzu gehöre auch die typischerweise eintretende Progressionswirkung. Eine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Fallgruppe, in der eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine entsprechende Progressionswirkung typischerweise erwarten lasse, sei der infolge einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballte Zufluss einer solchen Vergütung.
Vorliegend seien dem Kläger nicht nur die Umsatzsteuererstattungen aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und zum selben Zeitpunkt gewinnerhöhend zu erfassen gewesen; dies gelte vielmehr ebenso für die durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese hätten die bereits durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelöste Progressionswirkung noch erheblich verstärkt.
Zur Progressionswirkung trage im vorliegenden Fall gerade die erhebliche Höhe der Zinsen im Vergleich zur Hauptschuld bei: Die Erstattungszinsen (203.022 EUR) beliefen sich auf 63,1 % der erstatteten Umsatzsteuer (321.774 EUR) beziehungsweise auf 38,7 % des zusammengeballt zu versteuernden Gesamtbetrags (524.796 EUR).
Vor allem aber fordere die rechtliche und tatsächliche Verknüpfung der streitgegenständlichen Erstattungszinsen mit den – unstreitig nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigten – Umsatzsteuererstattungen die Erstreckung der Wertung als „außerordentlich“ auch auf die Zinsen. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang auch, dass Zinsen eine steuerliche Nebenleistung darstellten. Der Zinsanspruch sei grundsätzlich vom Bestehen eines Steueranspruchs abhängig und daher akzessorisch. Er solle – vorbehaltlich gesetzlicher Sonderregelungen – grundsätzlich das steuerrechtliche Schicksal der Hauptschuld teilen.
Hinweis: Keine Sperrwirkung aufgrund § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG
Nach dieser Regelung kommen als außerordentliche Einkünfte Nutzungsvergütungen und Zinsen i. S. d. § 24 Nr. 3 EStG (d. h. nur solche für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke), soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden, in Betracht. Der VIII. Senat habe hieraus für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gefolgert, dass andere Zinsen als die in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten generell nicht von § 34 Abs. 2 EStG erfasst werden sollten.
Für Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehörten, könne aus § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG jedoch keine derart umfassende Sperrwirkung abgeleitet werden. Die Schaffung einer ausdrücklichen Begünstigung für bestimmte Nutzungsvergütungen und Zinsen aufgrund der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke durch das Steueränderungsgesetz 1965 v. 14.5.1965 habe ausschließlich zum Ziel gehabt, den Anwendungsbereich des § 34 EStG zu erweitern. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der anderen Nummern des § 34 Abs. 2 EStG sei hingegen nicht beabsichtigt gewesen.
Auch insoweit habe der VIII. Senat des BFH auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt, dass er an seiner im Urteil vom 12.11.2013, VIII R 36/10, BStBl II 2014 S. 168, geäußerten Rechtsauffassung, wonach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG eine Sperrwirkung in Bezug auf alle nicht in dieser Norm aufgeführten Zinsen entfalte, nicht weiter festhalte.
BFH, Urteil v. 30.8.2023, X R 2/22; veröffentlicht am 7.12.2023
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