Leitsatz (amtlich)

Ergeben sich auf Grund eines inzwischen ergangenen Einkommensteuerbescheides höhere Vorauszahlungen (§ 35 Abs. 2 Satz 1 EStG), so ist die Erhöhung zum nächsten Vorauszahlungszeitpunkt (§ 35 Abs. 1 EStG) ohne Einhaltung einer Frist zulässig. Etwa hierdurch auftretende Härten können durch Stundung (§ 127 AO) vermieden werden.

 

Normenkette

EStG § 35; AO § 127

 

Tatbestand

Die als Eheleute zusammenveranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatten im Streitjahr 1973 zunächst vierteljährliche Einkommensteuervorauszahlungen von 900 DM gemäß dem Einkommensteuerbescheid 1971 vom 24. Januar 1973 entsprechend der Steuerschuld nach Anrechnung der Lohnsteuerabzugsbeträge zu entrichten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erließ am 4. Dezember 1973 den Einkommensteuerbescheid 1972, in dem entsprechend der Einkommensteuerschuld nach Anrechnung der Lohnsteuerabzugsbeträge die vierteljährlichen Vorauszahlungen ab 10. März 1974 auf 1 520 DM für Einkommensteuer und auf 60 DM für Ergänzungsabgabe festgesetzt waren. Unter Aufgabe zur Post am gleichen Tage (4 Dezember 1973) erließ das FA ferner einen Vorauszahlungsbescheid für das IV. Kalendervierteljahr 1973 und erhöhte im Anschluß an das Veranlagungsergebnis 1972 die Vorauszahlung zum 10. Dezember 1973 auf 3 390 DM Einkommensteuer und 242 DM Ergänzungsabgabe. Die gegen diesen Vorauszahlungsbescheid eingelegte Beschwerde der Kläger, mit der sie ersatzlose Aufhebung des Bescheids wegen zu kurzfristiger Erhöhung der Vorauszahlung beantragt hatten, wies die OFD unter Hinweis auf die Schonfrist gemäß § 1 StSäumVO vom 15. August 1961 (BGBl I 1961, 1299, BStBl I 1961, 547) mit der Begründung zurück, eine gesetzliche Zahlungsfrist sei für die Anpassung der Vorauszahlungen eines laufenden Veranlagungszeitraums nicht vorgesehen.

Das Finanzgericht (FG) wies in seiner in den EFG 1974, 370, veröffentlichten Entscheidung vom 26. März 1974 VII 15/74 - E die Klage ab und führte aus, das FA sei gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG verpflichtet gewesen, die Vorauszahlung IV/1973 der verbleibenden Steuerschuld nach dem Einkommensteuerbescheid 1972 anzupassen. Das Erfordernis einer Zahlungsfrist von einem Monat finde weder in § 35 Abs. 2 Satz 1 noch in § 47 EStG, der Vorschrift über die Abschlußzahlungen, eine Stütze. Aus der seit 1967 geltenden Vorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 4 EStG, die nur bei Erhöhung der Vorauszahlungen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums eine einmonatige Zahlungsfrist vorsehe, ergebe sich, daß eine derartige Frist bei Erhöhung der Vorauszahlungen im laufenden Veranlagungszeitraum nicht gelten solle. Eine kurzfristige Änderung der letzten Vorauszahlung eines Jahres müsse den FÄ auch deswegen möglich sein, damit ungerechtfertigte Zahlungsvorteile des Steuerpflichtigen vermieden würden. Der Senat schließe sich der Ansicht Littmanns (Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl. 1972, zu § 35 EStG Rdnr. 8) und nicht derjenigen von Herrmann/Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl. 1973, § 35 EStG Anm. 14a) an.

Mit der Revision tragen die Kläger vor, ein Einkommensteuervorauszahlungsbescheid müsse einem Steuerpflichtigen mindestens zehn Tage vor dem gesetzlichen Zahlungstermin zugehen, um ihm Dispositionen und die Beschaffung der Geldmittel zu ermöglichen. Auch bei der Abführung von Lohnsteuer und Umsatzsteuer (Voranmeldungen) bestünde eine gesetzliche Zahlungsfrist von zehn Tagen, bei Einkommensteuerabschlußzahlungen sogar eine einmonatige Frist. Es ginge nicht um die Frage, ob sich aus § 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG irgendwelche Fristen ergäben; das sei nicht der Fall. Das FA müsse die Vorauszahlungen in angemessener Frist vor dem Vorauszahlungstermin erhöhen oder eine fünfte Vorauszahlung festsetzen, die allerdings - ohne daß darin ein ungerechtfertigter Zahlungsvorteil für den Steuerpflichtigen zu sehen wäre - erst Ende Januar bzw. Anfang Februar des folgenden Jahres einginge. Die Auffassung des FG führe zu einer Benachteiligung der fristgerecht ihre Steuererklärung abgebenden Steuerpflichtigen gegenüber den Nachlässigen, denen § 35 Abs. 2 Satz 4 EStG zugute kommen könne.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und den angefochtenen Vorauszahlungsbescheid des FA aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG bemessen sich die Vorauszahlungen grundsätzlich nach der Steuer, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 EStG) bei der letzten Veranlagung ergeben hat. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann das FA die Vorauszahlungen der Steuer anpassen, die sich für den laufenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß ein Fall des § 35 Abs. 2 Satz 1 und nicht des § 35 Abs. 2 Satz 2 EStG vorliegt. Die erstgenannte Vorschrift sieht - wie auch der Kläger anerkennt - für Vorauszahlungen weder eine Zahlungsfrist von einem Monat noch von zehn Tagen vor. Fällig sind die einzelnen Vorauszahlungen am jeweiligen Vorauszahlungstermin (§ 35 Abs. 1 EStG). Die einmonatige Zahlungsfrist in § 35 Abs. 2 Satz 4 EStG gilt jedenfalls nicht für die Fälle des § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG. Die gemäß § 47 Abs. 2 EStG für Abschlußzahlungen geltende Einmonatsfrist kann im Streitfall mangels gesetzlicher Regelung ebenfalls nicht angewendet werden. Soweit bei anderen Steuerarten (Lohnsteuer, Umsatzsteuer) gesetzlich Zahlungsfristen vorgesehen sind, können diese nicht auf die Einkommensteuervorauszahlungen übertragen werden. Da für diese Vorauszahlungen, die nach der Steuer zu bemessen sind, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge bei der letzten Veranlagung ergeben hat, irgendwelche Zahlungsfristen nicht eingeräumt sind, liegt wegen der kurzfristigen Anforderung eine Verletzung gesetzlicher Vorschriften durch den angefochtenen Bescheid nicht vor. Auch ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben - wie die Kläger offenbar meinen - nicht darin zu sehen, daß ihnen der Bescheid erst kurz vor Fälligkeit zugegangen ist. Lediglich nach dem 10. Dezember eines Jahres können die Vorauszahlungen nicht mehr zum 10. Dezember erhöht werden (Herrmann/Heuer, a. a. O.). Mag auch die kurzfristige Anforderung von Vorauszahlungsbeträgen im IV. Quartal eines Jahres, zumal wenn gleichzeitig Abschlußzahlungen fällig werden, zu Finanzierungsschwierigkeiten führen (vgl. Brumund in DStR 1968, 69), so hält sie sich doch im Rahmen gesetzlicher Vorschriften und führt wegen der Möglichkeiten einer Stundung nicht zu unzumutbaren Anforderungen durch den Steuergläubiger. Wo wesentliche Erhöhungen der Vorauszahlungen auf Grund eines inzwischen ergangenen Steuerbescheides kurz vor einem Vorauszahlungstermin vorgenommen wurden, kann und muß unter Umständen im Wege der Stundung (§ 127 Abs. 1 AO) geholfen werden. Die kurzfristige Erhöhung der Vorauszahlungen im letzten Vierteljahr ist im übrigen für einen von einem Steuerfachmann beratenen Steuerpflichtigen keine ganz unerwartete Überraschung, da sich auf Grund der Angaben in der Steuererklärung eine Änderung der Vorauszahlungsbeträge vorhersehen läßt, mag auch dem Steuerpflichtigen der Zeitpunkt der Veranlagung durch das FA nicht bekannt sein. Die Heraufsetzung des letzten Vorauszahlungsbetrages im Streitjahr ist auch keine unzulässige rückwirkende Erhöhung der Vorauszahlungen der vorangegangenen drei Quartale, sondern eine gesetzlich vorgesehene Vorauszahlungsanpassung an eine bereits veranlagte Steuer (vgl. das rechtskräftige Urteil des FG Düsseldorf vom 27. Januar 1965 IX 56/64 E, EFG 1965, 384). Das Festsetzen einer sogenannten fünften Vorauszahlung gemäß § 35 Abs. 2 Sätze 3 und 4 EStG kommt, da die Vorauszahlungen nach § 35 Abs. 2 Satz 1 wegen des am 4. Dezember 1973 erlassenen Einkommensteuerbescheides 1972 noch vor dem 10. Dezember 1973 automatisch erhöht werden mußten, nicht in Betracht. Insoweit ist - entgegen der Ansicht der Kläger - auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels verletzt.

Die Entwicklung der die Einkommensteuervorauszahlungen betreffenden gesetzlichen Regelungen bestätigt das hier gewonnene Ergebnis. § 35 Abs. 2 EStG enthielt vor Einfügung der Sätze 3 und 4 durch § 26 Nr. 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl I 1967, 582, BStBl I 1967, 266) keine Fristen, insbesondere keine Einmonatsfrist wie bei den Abschlußzahlungen (§ 47 Abs. 2 EStG) und der sogenannten fünften Vorauszahlung nach dem EStG 1967. Die durch § 35 Abs. 2 Satz 4 EStG 1967 eingeführte Einmonatsfrist gilt "in diesem Fall", d. h. nach dem Wortlaut der Vorschrift nur im Fall der fünften Vorauszahlung. Aus der Fassung des Gesetzes läßt sich eine Frist für alle Fälle des § 35 Abs. 2 EStG daher nicht ableiten. Dem als unbefriedigend empfundenen Ergebnis dieser gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber erst durch Art. 1 Nr. 53 des Gesetzes zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung vom 5. August 1974 (Einkommensteuerreformgesetz - EStRG -, BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) Rechnung getragen, indem er in § 37 Abs. 4 EStG n. F. bestimmt hat, daß bei einer nachträglichen Erhöhung der Vorauszahlungen die letzte Vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum anzupassen und daß der Erhöhungsbetrag (erst) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vorauszahlungsbescheids zu entrichten ist. Da diese Regelung jedoch erst ab dem Veranlagungszeitraum 1975 gilt (§ 52 Abs. 1 EStG in der Fassung des EStRG), kommt mangels einer entsprechenden Regelung für die Streitjahre die Gewährung einer derartigen Frist nicht in Betracht. Etwa hierdurch auftretende Härten können - worauf bereits hingewiesen wurde - nur durch Stundung gemäß § 127 AO vermieden werden.

 

Fundstellen

BStBl II 1975, 15

BFHE 1975, 373

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