Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweigerung des Vorsteuerabzugs beim Grundstückserwerb; nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedecktes Urteil

 

Leitsatz (NV)

1. Ist die vom FG angenommene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt, so weist das angefochtene Urteil einen materiell-rechtlichen Rechtsfehler auf.

2. Die Unternehmereigenschaft setzt die Ausführung von Leistungen gegen Entgelt i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 voraus; hierfür kommt es u. a. auf die tatsächliche Durchführung vereinbarter Leistungen an.

3. Verzichtet ein Grundstücksveräußerer auf die entsprechende Steuerfreiheit, so ist der Vorsteuerabzug des Erwerbers grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich.

4. Ein die Anwendung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 hinderndes Scheingeschäft liegt nicht vor, wenn Veräußerer und Erwerber das Rechtsgeschäft, so wie es durchgeführt wurde, gewollt haben.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 41-42; FGO § 118; UStG 1980 § 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, Nr. 12 Buchst. a, §§ 9, 15 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrt vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) die Anerkennung von Vorsteuer aufgrund eines Grundstückserwerbs im Jahre 1987 (Streitjahr).

Der Kläger war Kommanditist der X KG (KG). Persönlich haftende Gesellschafterin war die Ehefrau des Klägers.

Die KG geriet in Zahlungsschwierigkeiten und war seit Ende 1986 illiquide. Anträge auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurden am 3. April und 14. Juli 1987 mangels Masse abgelehnt.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12./22. Januar 1987 kaufte der Kläger von der KG ihren Grundbesitz mit Gebäuden und Betriebsvorrichtungen. Als Kaufpreis war die Übernahme der in Abteilung III des Grundbuchs eingetragenen Verbindlichkeiten vereinbart, höchstens jedoch bis zu einem Betrage von 620 000 DM einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer.

Der Bruttokaufpreis wurde sodann in einer dem FA mit Schriftsatz vom 13. März 1987 vorgelegten undatierten Rechnung der KG auf 550 000 DM (= Nettokaufpreis: 482 456,14 DM + 14 v. H. Umsatzsteuer: 67 543,86 DM) festgesetzt und später in einer mit Schriftsatz vom 12. Mai 1987 dem FA eingereichten detaillierten undatierten Rechnung der KG mit 588 590 DM (= Gesamtnettokaufpreis: 516 307 DM + 14 v. H. Umsatzsteuer: 72 283 DM) beziffert.

Den erworbenen Grundbesitz nebst Gebäuden und Betriebsvorrichtungen verpachtete der Kläger mit Vertrag vom 26. Februar 1987 ab 1. März 1987 zu einem monatlichen Pachtzins von 2000 DM zuzüglich Umsatzsteuer an die Y GmbH & Co. KG (GmbH & Co. KG), deren persönlich haftende Gesellschafterin die Y GmbH (GmbH) war. Alleiniger Geschäftsführer der GmbH war der Kläger. Die Gesellschaftsanteile der GmbH wurden in Höhe von 49 000 DM vom Kläger und in Höhe von 1000 DM von der Ehefrau des Klägers gehalten.

Kommanditisten der GmbH & Co. KG, deren Gesellschaftskapital 20 000 DM betrug, waren mit je 10 000 DM der Kläger und ein Dritter. Die Pachtzahlungen an den Kläger wurden nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) 1987 von der GmbH & Co. KG lediglich in den Monaten Juni, Juli und August in der vereinbarten Weise erbracht.

In seiner Umsatzsteuererklärung 1987 machte der Kläger, der mit Schreiben vom 2. Februar 1987 gegenüber dem FA gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 verzichtet hatte, die auf den Erwerb des Betriebsgeländes und der Betriebsvorrichtungen entfallende Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 73 062,45 DM als Vorsteuer geltend. Hiervon berücksichtigte das FA lediglich die auf den Erwerb von Betriebsvorrichtungen entfallende Vorsteuer in Höhe von 21 226,43 DM sowie während des -- späteren (s. unten) -- Klageverfahrens weitere 4245,28 DM. Die auf den Grundstücks erwerb entfallende Umsatzsteuer ließ das FA dagegen mit der Begründung nicht zum Abzug zu, die Option stelle ein Scheingeschäft i. S. des § 41 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Allen am Grundstücksverkauf Beteiligten sei bekannt gewesen, daß die KG die Umsatzsteuer nicht würde entrichten können. Mithin habe der vom Gesetz gewollte normale Ablauf (Steuerzahlungspflicht des Veräußerers -- Vorsteuerabzug des Erwerbers) nicht eintreten können.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger den seinem Begehren teilweise abhelfenden geänderten Umsatzsteuerbescheid 1987 vom 30. Mai 1989 (s. oben) gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Die Klage wurde vom FG -- in seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1989, 657 abgedruckten Urteil -- mit folgender Begründung abgewiesen:

Es fehle an der Voraussetzung für den begehrten Vorsteuerabzug, daß der Kläger das erworbene Grundstück zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze hätte verwenden müssen. Der Verzicht des Klägers auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 gehe ins Leere, da der Kläger ernstlich durchgeführte entgeltliche Verpachtungsleistungen nicht erbracht habe. Als Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär- GmbH und Kommanditist der GmbH & Co. KG sei der Kläger beherrschender Gesellschafter letzterer gewesen, so daß das Pachtverhältnis umsatzsteuerlich nur hätte anerkannt werden können, wenn das Grundstück der GmbH & Co. KG in gleicher Weise zur Verfügung gestellt worden wäre wie bei einem Pachtverhältnis mit Fremden (Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. Juni 1986 IV R 53/82, BFHE 147, 139, BStBl II1986, 798, und vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250). Hieran fehle es im vorliegenden Fall.

Abgesehen von den Monaten Juni bis August 1987, seien die Pachtzahlungen nicht in der vereinbarten Weise geleistet worden, sondern hätten angeblich durch nicht gesondert vereinbarte Verrechnungen und Teilzahlungen stattgefunden. Fremde Dritte würden auf pünktliche Zahlung der Pacht und im Falle fehlender Liquidität auf eine klare Regelung über die Tilgung der Pachtrückstände bestanden haben.

Selbst wenn man hierüber hinwegsähe und das Pachtverhältnis umsatzsteuerlich anerkenne, würde die Klage keinen Erfolg haben. Denn der Kläger und die KG hätten durch bewußtes und gewolltes Zusammenwirken in Kenntnis des Umstandes, daß die KG die Umsatzsteuer nicht würde entrichten können, die Grundstücksveräußerung steuerpflichtig ausgestaltet und hätten somit rechtsmißbräuchlich i. S. von § 42 AO 1977 gehandelt.

Der Kläger habe ferner nicht davon ausgehen können, daß seine Ehefrau als persönlich haftende Gesellschafterin der KG die entsprechenden Mittel aufzubringen vermöchte. Denn sie habe in seiner Anwesenheit vor dem Konkursgericht bekundet, keine persönliche Habe zu besitzen.

Wirtschaftliche Gründe, derentwegen ein Verzicht der KG auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 UStG 1980 hätte sinnvoll sein können, seien weder vorgetragen worden noch aus den Akten ersichtlich. Die KG habe zwar einen um die Umsatzsteuer erhöhten Kaufpreis erzielt, andererseits aber einen Umsatzsteueranspruch des Fiskus entstehen lassen. Für sie, die ohnehin nicht in der Lage gewesen sei, ihre Schulden zu tilgen, sei es ohne Belang gewesen, welche der entstehenden Verbindlichkeiten beglichen würden. Neue Verbindlichkeiten hätte sie nur aus wirtschaftlichen Gründen entstehen lassen dürfen und nicht zu dem Zweck, dem Kläger als ihrem Gesellschafter einen Vorteil zu Lasten des Steuergläubigers zu verschaffen.

Mit der -- vom FG zugelassenen -- Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen sowie sinngemäß -- wie in der Vorinstanz --, die Umsatzsteuer 1987 um weitere 37 687,13 DM herabzusetzen. Der Kläger rügt Verletzung des § 15 UStG 1980 und macht geltend, es treffe nicht zu, daß er keine ernstlich durchgeführten Verpachtungsleistungen erbracht habe. Der Umstand, daß aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten der GmbH & Co. KG einige Pachtzahlungen verspätet geleistet worden seien, halte einem Fremdvergleich stand. Die Aussage des FG, daß sporadische Pachtzahlungen und Verrechnungen stattgefunden hätten, entspreche nicht dem wirklichen Geschehensablauf, wie sich aus seinem, des Klägers, Schriftsatz vom 25. Mai 1989 ergebe. Die vom FG herangezogenen BFH-Urteile in BFHE 147, 139, BStBl II 1986, 798, und in BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250 seien nicht geeignet, die Vorentscheidung zu tragen. Einschlägig sei eher der BFH-Beschluß vom 16. Oktober 1986 V B 3/86 (BFHE 147, 487, BStBl II 1987, 30). Schließlich werde bestritten, daß im vorliegenden Fall ein Umgehungs- oder Scheingeschäft vorliege.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des Klägers wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Keine der beiden vom FG angeführten Begründungen ist imstande, die Vorentscheidung zu tragen. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Mangels hinreichender Feststellungen ist es dem Senat nicht möglich durchzuerkennen.

1. Soweit das FG die Klage mit der Begründung abgewiesen hat, dem Kläger sei der geltend gemachte weitere Vorsteuerabzug zu verweigern, weil der Kläger gegenüber der GmbH & Co. KG keine ernstlich durchgeführten, entgeltlichen Verpachtungsleistungen erbracht habe, weist das angefochtene Urteil den materiell-rechtlichen Fehler auf, daß die vom FG angenommene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Anm. 37 i. V. m. § 115 Anm. 27 m. w. N.).

Bei seinen Erwägungen ist das FG zwar zutreffend davon ausgegangen, daß gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 nur ein Unternehmer den Vorsteuerabzug geltend machen kann. Die Unternehmereigenschaft setzt die Ausführung von Leistungen gegen Entgelt i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 voraus (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1991 V R 116/86, unter II. 1. a, BFHE 166, 195, BStBl II 1992, 269). Hierfür kommt es u. a. auf die tatsächliche Durchführung der vereinbarten Leistungen an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250, unter 1., und vom 22. Juni 1989 V R 37/84, unter 1. a, BFHE 158, 144, BStBl II 1989, 913).

Der Verneinung einer tatsächlichen Durchführung hat das FG in der angefochtenen Entscheidung außer der Annahme, daß der Kläger bei der GmbH & Co. KG beherrschender Gesellschafter gewesen sei, nur folgende Ausführungen zugrunde gelegt: Die Pachtzahlungen seien in der vereinbarten Weise lediglich im Juni bis August 1987 erbracht worden. Die Zahlungen im übrigen "sollen angeblich" durch nicht vereinbarte Verrechnungen und Teilzahlungen gemäß dem Schriftsatz des Klägers vom 25. Mai 1989 efolgt sein. Fremde Dritte hätten auf einer pünktlichen Pachtzahlung und für den Fall, daß die Pachtzahlungen nicht hätten geleistet werden können, zumindest auf einer klaren Regelung bestanden, in welcher Weise die Pachtrückstände getilgt werden sollten. Sporadische Pachtzahlungen und Verrechnungen in zum Teil geringen Kleinbeträgen würde ein Verpächter bei der Verpachtung an einen Fremden nicht hingenommen haben.

Hierdurch ist nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein vereinbartes Pachtverhältnis mangels tatsächlicher Durchführung umsatzsteuerrechtlich nicht anzuerkennen ist. Der Subsumtion des FG liegt lediglich die Feststellung zugrunde, daß -- von den Monaten Juni bis August 1987 abgesehen -- die einzelnen Zahlungen des Pachtzinses nicht in der vereinbarten Weise geleistet worden seien.

Die Vorentscheidung enthält keine ausdrücklichen Feststellungen dazu, in welcher Hinsicht die tatsächlichen Zahlungen von den entsprechenden Vereinbarungen abweichen. Diesbezügliche Feststellungen sind auch nicht in der Form einer Bezugnahme getroffen worden.

Das FG hat zwar im Rahmen seiner Erwägungen den Schriftsatz des Klägers vom 25. Mai 1989 erwähnt, in dem Einzelheiten der Zahlungen des Pachtzinses angeführt sind. Das FG ist aber auf den Inhalt des Schriftsatzes mit den Worten eingegangen, "die Zahlungen im übrigen sollen angeblich durch nicht gesondert vereinbarte Verrechnungen und Teilzahlungen ... erfolgt sein". Angesichts dessen bleibt undeutlich, ob und inwieweit das FG die Angaben des Klägers in seine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehensablauf hat aufnehmen wollen.

2. Soweit das FG die Klageabweisung zusätzlich damit begründet hat, daß bei einer umsatzsteuerlichen Anerkennung des Pachtverhältnisses hinsichtlich der Option für die Steuerpflicht ein Rechtsmißbrauch i. S. des § 42 AO 1977 vorliege, weist das angefochtene Urteil den materiell-recht lichen Fehler einer unzutreffenden Auslegung und Anwendung der Vorschrift auf.

Nach § 42 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Verzichtet der Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung, ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich. Vielmehr soll der Verzicht dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (vgl. BFH- Urteil vom 6. Juni 1991 V R 70/89, unter 3. a, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 18. Juni 1993 V R 6/91, unter II. 2. c, BFHE 172, 172, BStBl II 1993, 854, und vom 24. Februar 1994 V R 80/92, unter II. 1. b, BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487).

Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber allerdings für den Fall bejaht, daß der Erwerber den vereinbarten Kaufpreis einschließlich der Umsatzsteuer dem Grundstückslieferer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen notleidenden Gegenforderungen verrechnet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, unter II. 1. b, m. w. N.). Für die Annahme, daß ein derartiger Sachverhalt vorläge, bieten die Feststellungen des FG keinen Anhalt.

3. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO), etwa im Hinblick auf die vom FA geltend gemachte Vorschrift des § 41 AO 1977. Insoweit nimmt der Senat auf seine Urteile in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 (unter 2.), und in BFHE 172, 172, BStBl II 1993, 854 (unter II. 2. b) Bezug.

4. Der Senat ist nicht imstande durchzuerkennen, da das FG keine zureichenden Feststellungen dazu getroffen hat, ob wirklich ein umsatzsteuerlich anzuerkennendes Pachtverhältnis fehlt, wie das FG angenommen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420107

BFH/NV 1995, 746

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