Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Ergänzungsbescheides als erstmaliger Gewinnfeststellungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Ein ausdrücklich als Ergänzungsbescheid (§ 179 Abs. 3 AO 1977) bezeichneter Bescheid kann sich aufgrund seines Gesamtinhaltes als erstmaliger gesonderter und einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid darstellen.

2. Zur Wirksamkeit der Bekanntgabe eines Feststellungsbescheides, wenn nicht alle Feststellungsbeteiligten erwähnt sind.

 

Normenkette

AO 1977 § 171 Abs. 4, § 179 Abs. 1-3, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 181 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, §§ 183, 68, 74

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) durch einen Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) noch einen Veräußerungsgewinn hat feststellen können.

Die Revisionsbeklagte zu 1. ist die Ehefrau und Alleinerbin des ursprünglichen Klägers und Revisionsbeklagten, des zwischenzeitlich verstorbenen A (Kläger zu 1.). Dieser war mit einer Einlage von . . . DM Kommanditist der Z-GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG), und zwar als Treuhänder für eine aus drei Personen bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der . . .-Erben GbR (nachfolgend: GbR), an der er selbst als Gesellschafter zu einem Drittel beteiligt war. Daneben war als weiterer Kommanditist der Kläger des Revisionsverfahrens IV R 130/88, der Revisionsbeklagte zu 2. (Kläger zu 2.), beteiligt. Beide waren zugleich auch Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Sie schieden im Laufe des Jahres 1979 mit Wirkung zum 1. Januar 1979 aus den beiden Gesellschaften aus und wurden als Geschäftsführer abberufen. An ihrer Stelle traten als Kommanditisten der Kaufmann B, der die Einlage treuhänderisch für die X-GmbH hielt, und diese GmbH selbst. Für den Kläger zu 1. ergab sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM und für den Kläger zu 2. ein Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM. In der eingereichten Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte 1979 der KG waren diese Veräußerungsgewinne nicht enthalten.

Im Anschluß an eine Außenprüfung u. a. betreffend die Gewinnfeststellung der Jahre 1977 bis 1979 erließ das FA am 8. Oktober 1981 einen gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid 1979. Es stellte den Verlust der KG aus Gewerbebetrieb in Höhe von . . . DM fest und verteilte ihn auf die Komplementär-GmbH und die X-GmbH. Die Veräußerungsgewinne der Kläger waren dabei nicht erfaßt worden. Der Feststellungsbescheid war an den Kläger zu 1. adressiert und trug den Zusatz ,,für Firma Z-GmbH & Co. KG".

Am 22. Mai 1986 gab das FA mit besonderem Anschreiben dem Kläger zu 2. den Gewinnfeststellungsbescheid 1979 vom 8. Oktober 1981 bekannt und erließ gleichzeitig gegen beide Kläger auf § 179 Abs. 3 AO 1977 gestützte Ergänzungsbescheide, in denen es die Veräußerungsgewinne feststellte und zugleich die Feststellungen betreffend die KG und die beiden GmbH wiederholte. Auf die Einsprüche der Kläger hin hob es die beiden Ergänzungsbescheide vom 22. Mai 1986 durch Bescheide vom 16. Juli 1986 wieder auf und erließ mit gleichem Datum neue auf § 179 Abs. 3 AO 1977 gestützte Ergänzungsbescheide zum Feststellungsbescheid 1979 vom 8. Oktober 1981. Darin wurden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb einschließlich der beiden Veräußerungsgewinne wie angegeben festgestellt. Diese Bescheide wurden den Klägern bekanntgegeben, jedoch nicht der KG und der X-GmbH - beide inzwischen vermögenslos -.

Die Einsprüche der Kläger blieben erfolglos.

Mit gesonderten Klagen machten beide geltend:

Der Feststellungsbescheid 1979 vom 8. Oktober 1981 sei allen Gesellschaftern gegenüber wirksam bekanntgegeben worden, mit Ausnahme allerdings der bereits aus der KG ausgeschiedenen Kläger. Dieser Feststellungsbescheid sei unanfechtbar geworden. Die Ablaufhemmung für die Festsetzungsfrist aufgrund der Betriebsprüfung sei gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 am 31. Dezember 1981 entfallen. Eine Änderung der Festsetzung sei gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nach dem 31. Dezember 1985 nicht mehr möglich gewesen.

Demgegenüber berief sich das FA darauf, daß es dem Kläger zu 1. den Feststellungsbescheid 1979 am 8. Oktober 1981 übersandt und damit bereits teilwirksam bekanntgegeben habe.

Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen statt und hob die Ergänzungsbescheide auf, weil ihnen kein wirksamer Feststellungsbescheid zugrunde liege; dieser sei der KG nämlich nicht wirksam bekanntgegeben worden.

Mit den vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen macht das FA die Verletzung von Bundesrecht geltend.

Das FA beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.Die Revisionsbeklagten zu 1. und 2. beantragen, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Da in beiden Revisionen jeweils die Wirksamkeit derselben Bescheide streitig ist, verbindet sie der Senat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung.

Die Revisionen sind begründet; die angefochtenen Urteile werden aufgehoben und die Sachen an das FG zu anderweitigen Verhandlungen und Entscheidungen zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Im Streitfall ist ausschlaggebend, ob der Feststellungsbescheid vom 8. Oktober 1981 der KG wirksam bekanntgegeben worden ist.

1. Ist der Feststellungsbescheid 1979 vom 8. Oktober 1981 gegenüber der KG wirksam bekanntgegeben worden, dann kann die - im Jahr 1981 vom FA unterlassene - Feststellung der Veräußerungsgewinne des Klägers zu 1. sowie der GbR und des Klägers zu 2. nicht mehr im Rahmen eines Ergänzungsbescheides (§ 179 Abs. 3 AO 1977) nachgeholt werden. Denn ein Ergänzungsbescheid kann nur dazu dienen, einen lückenhaften Feststellungsbescheid zu vervollständigen, nicht hingegen dazu, einen wegen Nichtbeachtung eines Veräußerungsgewinns fehlerhaften Feststellungsbescheid zu berichtigen. Der Senat nimmt insoweit auf sein Urteil vom 4. August 1988 IV R 78/86 (BFH / NV 1989, 281) Bezug.

2. Ist dagegen der Feststellungsbescheid 1979 vom 8. Oktober 1981 gegenüber der KG nicht wirksam geworden, dann kommt es darauf an, ob die mit den beiden Klagen angefochtenen - als Ergänzungsbescheid gem. § 179 Abs. 3 AO 1977 bezeichnete - Bescheide vom 16. Juli 1986 noch vor Ablauf der für die gesonderte Feststellung geltenden Feststellungsfrist (§ 181 Abs. 1 i. V. m. § 171 Abs. 4 und § 181 Abs. 4 AO 1977, jeweils in der bis zum 31. Dezember 1986 gültigen Fassung; Art. 25 des Steuerbereinigungsgesetzes - StBerG - 1986, BGBl I, 2436, BStBl I 735, 758) ergangen sind.

Zu Recht macht das FA für diesen Fall geltend, der ausdrücklich als Ergänzungsbescheid gemäß § 179 Abs. 3 AO 1977 bezeichnete Bescheid stelle dann den erstmals ergangenen Feststellungsbescheid 1979 dar.

a) Füllt - wie im Regelfall - der Ergänzungsbescheid nur eine Lücke des vorausgegangenen Feststellungsbescheides aus, so kann er infolge seiner inhaltlichen Unvollständigkeit bei Unwirksamkeit des Feststellungsbescheides keinen Bestand haben. Anders ist es dagegen, wenn - wie im Streitfall - der als Ergänzungsbescheid bezeichnete und auf § 179 Abs. 3 AO 1977 gestützte Bescheid sich aufgrund seines Gesamtinhaltes in Wahrheit als erstmalig ergangener, gesonderter und einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid i. S. von § 179 Abs. 1 und 2, § 180 AO 1977 darstellt. Die unrichtige Bezeichnung ist dann unschädlich. Auch ein Feststellungsbescheid ist wie alle Steuerbescheide auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Nicht ausschlaggebend ist, was die Behörde mit dem Verwaltungsakt bewirken wollte und wie sie ihn bezeichnet hat; entscheidend ist vielmehr, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen den Regelungsinhalt des Verwaltungsakts unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97 , BStBl II 1982, 34, und Urteile vom 13. März 1986 IV R 208/84, BFH / NV 1987, 627, und vom 11. November 1987 X R 54/82, BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307). Dabei sind die beigefügten Anlagen und ggf. auch ein in Bezug genommener Erstbescheid zur Auslegung des Bescheides mit heranzuziehen (BFH-Urteile vom 8. April 1986 VIII R 343/82, BFH / NV 1986, 647, 649 unter 1. b, und vom 28. März 1973 I R 100/71, BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544).

b) Der angefochtene Bescheid vom 16. Juli 1986 erfüllt die Anforderungen an einen Feststellungsbescheid i. S. von § 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977. Er regelt, worauf das FA zu Recht hinweist, eindeutig und klar alles, was notwendiger Inhalt einer gesonderten und einheitlichen Feststellung i. S. von § 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist. Die erforderlichen Angaben über die Adressaten sowie die Art und Höhe der Einkünfte der Beteiligten lassen sich hinreichend bestimmt und vollständig (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1983 VIII R 90/81, BFHE 140, 526, BStBl II 1984, 474 unter II.) aus dem eigentlichen Verfügungsteil sowie den beigefügten Anlagen entnehmen. Im eigentlichen Verfügungsteil führt der Bescheid die gesamten Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit ./. . . . DM und auch die Veräußerungsgewinne der GbR und des Klägers zu 2. auf. Aus den beigefügten Anlagen sind ferner sämtliche Feststellungsbeteiligte nebst ihrem Anteil am Gewinn und Verlust ersichtlich. Als Bekanntgabeempfänger sind die Kläger angegeben. Diese haben die Bescheide auch erhalten. Ob dieser Bescheid auch den beiden GmbH`s wirksam bekanntgegeben worden ist, ist für dessen Wirksamkeit gegenüber den Klägern zu 1. und 2. unerheblich (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. November 1987 II R 227/84, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410).

c) Entgegen der Ansicht der Kläger ist es unschädlich, daß in dem neu ergangenen, als Ergänzungsbescheid bezeichneten Feststellungsbescheid vom 16. Juli 1986 der Kläger zu 1. als Adressat bezeichnet worden ist, obwohl der Veräußerungsgewinn (in Höhe von . . . DM) der GbR zugerechnet, aber noch nicht auf die einzelnen an der GbR beteiligten Personen aufgeteilt wird. Denn das FA hat den Bescheid an den, bereits aus der KG ausgeschiedenen Kläger ausdrücklich ,,als Treuhänder und Zustellungsvertreter für . . .-Erben GbR" gerichtet. Daß er selbst bei den Feststellungsbeteiligten nicht mehr eigens als Gesellschafter aufgeführt worden ist, berührt die Bekanntgabe an ihn als Zustellungsvertreter der Treugeber nicht; das FA kann die ihn und die übrigen Mitglieder der GbR betreffende Feststellung gemäß § 179 Abs. 3 AO 1977 noch nachholen. Das FA hätte die Feststellung des Gewinns der KG und der Verteilung der Einkünfte auf deren Gesellschafter einerseits sowie die Feststellung für Treugeber andererseits miteinander verbinden können. Wenn die Aufteilung der Einkünfte auf die einzelnen Treugeber noch fehlt, so ist das FA nach der Rechtsprechung des BFH nicht daran gehindert, dies in einem weiteren Ergänzungsbescheid gemäß § 179 Abs. 3 AO 1977 noch vorzunehmen (BFH-Urteil vom 13. März 1986 IV R 204/84, BFHE 146, 340, BStBl II 1986, 584, unter 2., und Urteile vom 13. März 1986 IV R 208/84, BFH / NV 1987, 627, und vom 21. April 1988 IV R 47/85, BFHE 153, 545, 554, unter 3).

d) Ist danach der als Ergänzungsbescheid bezeichnete Bescheid vom 16. Juli 1986 als wirksamer Feststellungsbescheid anzusehen, so kommt es weiter auf die vom FG - aus seiner Sicht zu Recht - offengelassene Frage an, ob im Jahr 1986 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 171 Abs. 4 AO 1977 a. F. läuft die Feststellungsfrist für die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung nicht ab, bevor die aufgrund einer Außenprüfung zu erlassenden Feststellungsbescheide unanfechtbar geworden sind (BFH-Urteil vom 4. April 1989 VIII R 265/84, BFHE 156, 371, BStBl II 1989, 593). Auch nach Ablauf dieser Frist kann die gesonderte Feststellung noch insoweit erfolgen, als die Festsetzungsfrist für die Folgebescheide noch nicht abgelaufen ist (§ 181 Abs. 4 AO 1977 a. F.). Das FG wird ggf. dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

3. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Bescheid vom 8. Oktober 1981 betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte ,,für Firma Z-GmbH & Co. KG", wirksam bekanntgegeben worden ist. Das FG hat dies zwar verneint. Das FG hat indes nicht festgestellt, ob der neue Geschäftsführer der Komplementärin, der Kaufmann B, den vom FA an den Kläger zu 1. als Empfangsbevollmächtigten adressierten, jedoch an den Sitz der KG abgesandten Bescheid tatsächlich entgegengenommen und auch wirklich erhalten hat oder etwa deshalb nicht in seinen Besitz gekommen ist, weil der Bescheid unmittelbar dem Kläger zu 1. an dessen Wohnadresse zugegangen war.

Wäre letzteres geschehen, hätte der Feststellungsbescheid keine Wirksamkeit erlangt.

Wie sich aus dem Verfügungsteil der Aktenausfertigung des Feststellungsbescheides vom 8. Oktober 1981 ergibt, hat das FA den Bescheid an den Kläger als den vermeintlichen Empfangsbevollmächtigten (§ 183 AO 1977) adressiert. Der Kläger zu 1. war indessen in der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte weder gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 als gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter bestellt worden noch war er zur Vertretung der KG oder der aufgeführten beiden GmbH`s bzw. zur Verwaltung des Feststellungsbescheides berechtigt (§ 181 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

Auch die im Mai 1986 nachgeholte Bekanntgabe des Feststellungsbescheides vom 8. Oktober 1981 an den Kläger zu 2. führt nicht zur Wirksamkeit des Feststellungsbescheides. Er war - zu diesem Zeitpunkt - weder für die KG noch für die beiden GmbH`s vertretungsberechtigt, so daß die Bekanntgabe des Feststellungsbescheides an ihn trotz der Angabe der KG als Sammelbezeichnung für die Feststellungsbeteiligten keine wirksame Bekanntgabe an die KG zur Folge hatte. Für den Kläger zu 2. enthielt der Bescheid keine erheblichen Feststellungen, da weder ein Gewinnanteil noch ein Veräußerungsgewinn festgestellt wurde.

Aus diesen Gründen muß das FG klären, ob der Bescheid der KG zugegangen ist.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 750

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