Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die auf Grund fehlerhafter Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer entstandene Lohnsteuerhaftungsschuld des Arbeitgebers kann in der Regel schon vor Erlaß des Lohnsteuerhaftungsbescheides bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens als Betriebsschuld geltend gemacht werden, soweit sie sich auf einen vor dem jeweiligen Bewertungsstichtag liegenden Zeitraum bezieht. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen zwischen dem Steuerpflichtigen und seinen Arbeitnehmern Nettolohnvereinbarungen bestehen.

Als Teilwert derartiger Lohnsteuerhaftungsschulden kommt bei bestehenden Nettolohnvereinbarungen grundsätzlich der gesamte Haftungsbetrag in Betracht, da ein Rückgriffsrecht des Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmer im Regelfalle nicht gegeben ist.

Der Senat hält an der bereits in dem Urteil III 211/54 U vom 4. März 1955 - BStBl 1955 III S. 123, Slg. Bd. 60 S. 321 - vertretenen Rechtsauffassung fest, daß nur hinterzogene, nicht auch fahrlässig verkürzte Steuerbeträge vom Abzug als Betriebsschulden ausgeschlossen sind.

 

Normenkette

BewG § 62 Abs. 1, § 62b/1; BewDV § 53a; BewG § 105/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Verbindlichkeiten aus der Nachforderung von Lohnsteuerbeträgen, die durch Haftungsbescheid des Finanzamts gegen die Bgin. geltend gemacht worden sind, bei der Feststellung der Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1952, 1. Januar 1953, 1. Januar 1954 und 1. Januar 1955 vermögensmindernd zu berücksichtigen sind.

Die Steuerpflichtige, eine KG, unterhält ein Transportunternehmen. Im Rahmen einer in der Zeit vom 18. Dezember 1956 bis 3. September 1957 bei ihr durchgeführten Betriebsprüfung wurden auch Feststellungen zur Lohnsteuer getroffen, auf Grund deren sich erhebliche Lohnsteuernachzahlungen ergaben. Die Nachzahlungen sind durch Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 28. Januar 1958 bei der Steuerpflichtigen angefordert worden.

Entgegen dem Antrag der Steuerpflichtigen, die den Abzug der Mehrsteuern, insbesondere auch der erhöhten Lohnsteuerbeträge begehrte, berücksichtigte das Finanzamt das Mehr an Lohnsteuer bei der Feststellung der gemäß § 222 AO berichtigten Einheitswerte des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1951, 1. Januar 1952, 1. Januar 1953, 1. Januar 1954 und 1. Januar 1955 nicht. Es ging vielmehr bei der Feststellung der berichtigten Einheitswerte von den Ermittlungen des Betriebsprüfers aus, der die Mehrlohnsteuer unberücksichtigt gelassen hatte, weil es sich dabei um verkürzte Steuerbeträge gehandelt habe.

Der gegen die berichtigten Einheitswertbescheide erhobene Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen führte die nach Zurücknahme des Rechtsmittels gegen den Einheitswertbescheid für das Betriebsvermögen zum 1. Januar 1951 auf die berichtigten Einheitswertfeststellungen zum 1. Januar 1952, 1. Januar 1953, 1. Januar 1954 und 1. Januar 1955 beschränkte Berufung zum Erfolg. Das Finanzgericht berücksichtigte die Lohnsteuer-Nachforderung, die sich nach Berichtigung des Lohnsteuer-Haftungsbescheids gemäß § 94 AO ermäßigt hatte, in Höhe der jeweils an den einzelnen Bewertungsstichtagen bestehenden Rückstände. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Haftungsschuld der Steuerpflichtigen für die zu wenig abgeführte Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer stelle dem Grunde nach eine gemäß § 62 BewG abzuziehende Betriebsschuld dar. Der Reichsfinanzhof habe entschieden, daß jeder Betriebsinhaber mit einer Erhöhung seiner Betriebssteuern und einer daraus entstehenden weiteren Steuerbelastung rechnen könne, solange die nächste laufende Betriebsprüfung noch nicht stattgefunden habe. Dies müsse auch für die Erhöhung der Lohnsteuer und die Inanspruchnahme der Betriebsinhaber durch Haftungsbescheid auf Grund der laufenden Lohnsteuer-Außenprüfungen gelten. Die Lohnsteuer-Haftungsschuld könne deshalb grundsätzlich schon an den vor der Lohnsteuerprüfung liegenden Stichtagen in Abzug gebracht werden, soweit sie sich auf einen vor dem jeweiligen Stichtag liegenden Zeitraum beziehe. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteile III A 28/37 vom 24. Juni 1937, RStBl 1937 S. 798, und III 211/54 U vom 4. März 1955, BStBl 1955 III S. 123, Slg. Bd. 60 S. 321) nur insoweit zu machen, als es sich um vorsätzlich verkürzte (hinterzogene) Steuern handle. Denn hinsichtlich dieser Steuern liege, soweit die Steuerverkürzung am Stichtag noch nicht aufgedeckt gewesen sei, eine wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen durch die Steuernachzahlung nicht vor, da er selbst am Stichtag nicht ernsthaft mit einer Geltendmachung der Steuerforderung durch den Steuergläubiger rechne. Das Abzugsverbot beschränke sich indessen auf die vorsätzlich verkürzten Steuern; es gelte nicht für die fahrlässig verkürzten. Eine vorsätzliche Steuerverkürzung aber liege hier nicht vor. Die bei der Steuerpflichtigen unterlaufenen Fehler beim Lohnsteuerabzug beruhten vielmehr durchweg auf mehr oder weniger fahrlässiger Rechtsunkenntnis. Die Lohnsteuer-Haftungsschuld sei deshalb an den in Betracht kommenden Bewertungsstichtagen abzusetzen, soweit sie sich auf diesen vorangehende Zeiträume beziehe.

Der Vorsteher des Finanzamts hat Rb. erhoben und rügt unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Er vertritt die Auffassung, daß entsprechend den Ausführungen des Reichsfinanzhofs in dem Urteil III A 28/37 vom 24. Juni 1937, a. a. O., auch fahrlässig verkürzte Steuern vom Abzugsverbot miterfaßt werden. Im übrigen handle es sich, wie der Bf. weiter ausführt, bei der Lohnsteuer-Haftungsschuld um eine aufschiebend bedingte Schuld. Sie könne deshalb erst ab dem Zeitpunkt ihrer Anforderung durch Haftungsbescheid des Finanzamts als abzugsfähige Schuld berücksichtigt werden. Zudem müsse auch beachtet werden, daß bei der Bewertung der Lohnsteuer-Haftungsschuld die Regreßansprüche der Bgin. gegen ihre Arbeitnehmer in Betracht zu ziehen seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, daß die Haftungsschuld der Steuerpflichtigen für die zu wenig abgeführte Lohnsteuer grundsätzlich eine abzugsfähige Betriebsschuld im Sinne des § 62 BewG darstellt. Zwar werden Haftungsschulden im allgemeinen erst dann berücksichtigt, wenn der Haftungsfall eingetreten und die Haftung gegen den Haftungsschuldner geltend gemacht ist. Bei der sogenannten Lohnsteuerhaftung liegen die Dinge jedoch insofern anders, als der Arbeitgeber schon vom Zeitpunkt der Entstehung der Lohnsteuerschuld an für die richtige Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer - und zwar grundsätzlich gesamtschuldnerisch mit seinen Arbeitnehmern - haftet, auch wenn die letzteren vom Gesetzgeber als die eigentlichen Steuerschuldner der Lohnsteuer angesehen und behandelt werden (ß 38 Abs. 3 EStG, § 46 LStDV). Im Falle nicht ordnungsgemäßer Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer entsteht die Haftungsschuld also bereits in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die ihm gesetzlich auferlegten Pflichten zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer verletzt. Dieser muß auch von vornherein mit der Geltendmachung des Haftungsanspruchs durch den Fiskus rechnen, da der Steuergläubiger grundsätzlich berechtigt ist, nach freier Wahl, bei der nur die Grundsätze billigen Ermessens zu beachten sind, entweder den Haftungsanspruch gegen den Arbeitgeber oder den Steueranspruch gegen den Arbeitnehmer durchzusetzen. Dabei steht die Geltendmachung des Haftungsanspruchs gegen den Arbeitgeber in der Regel durchaus an erster Stelle. Dies gilt insbesondere in Fällen der vorliegenden Art, in denen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern Nettolohnvereinbarungen getroffen worden sind, schon deshalb, weil in solchen Fällen die Lohnsteuer nur unter ganz besonderen Umständen insbesondere bei Kenntnis des Arbeitnehmers von der Nichtabführung der Lohnsteuer, vom Arbeitnehmer selbst angefordert werden kann (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs VI 81/63 U vom 18. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 142). Es ist deshalb nicht richtig, wenn der Bf. in diesem Zusammenhang von aufschiebend bedingten Schulden spricht, die erst ab dem Zeitpunkt ihrer Anforderung durch Haftungsbescheid berücksichtigt werden könnten. Die Haftungsschuld ist vielmehr schon im Zeitpunkt der Nichterfüllung der Lohnsteuer-Abführungspflicht entstanden und von diesem Zeitpunkt an als echte Betriebsschuld abzugsfähig. Denn sie stellt für den Betriebsinhaber auch schon in diesem Zeitpunkt eine wirtschaftliche Last dar, mit deren Geltendmachung er gerade im Falle von Nettolohnvereinbarungen unter allen Umständen auch schon vor dem Erlaß des eigentlichen Haftungsbescheides rechnen kann und muß. Die Vorinstanz hat deshalb in zutreffender Weise auch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zur Anwendung gebracht. Nach dieser Rechtsprechung kann jeder Inhaber eines gewerblichen Betriebs, solange die nächste laufende Betriebsprüfung noch nicht stattgefunden hat, damit rechnen, daß seine Betriebssteuern infolge von Fehlgriffen seines Betriebs oder auf Grund anderer Rechtsauffassung der Steuerbehörden noch erhöht werden und ihm daraus eine weitere Steuerbelastung entstehen wird (Urteil des Reichsfinanzhofs III 107/40 vom 7. November 1940, RStBl 1941 S. 63). Das muß sinngemäß auch für die Lohnsteuer-Haftungsschuld des Arbeitgebers gelten, die sich auf Grund der Ergebnisse einer späteren Lohnsteuer-Außenprüfung in entsprechender Weise erhöhen kann. Die Lohnsteuer-Haftungsschuld kann deshalb im Regelfalle ebenso wie andere betriebliche Steuerschulden schon an den vor der Lohnsteuerprüfung liegenden Bewertungsstichtagen abgezogen werden, soweit sie sich auf einen vor dem jeweiligen Stichtag liegenden Zeitraum bezieht.

Dies gilt allerdings nicht, wenn es sich um hinterzogene Steuerbeträge handelt; jedenfalls liegt insoweit eine wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen nicht vor. Denn der Hinterzieher, der am Stichtag in Wirklichkeit bestehende Steuerschulden verheimlicht und auch fernerhin verheimlichen will, rechnet mindestens zu diesem Zeitpunkt ohne Rücksicht darauf, ob die spätere Aufdeckung mehr oder weniger wahrscheinlich ist, damit, die Verkürzung werde nicht herauskommen. Andernfalls würde er zur Vermeidung weiterer steuerstrafrechtlicher Nachteile von der Selbstanzeige nach § 410 AO Gebrauch machen (so auch Urteil des Bundesfinanzhofs III 211/54 U vom 4. März 1955, a. a. O.). Geschieht dies nicht, so können vorsätzlich verkürzte Steuerbeträge vor der späteren Aufdeckung der Hinterziehung, die entweder durch den Steuerpflichtigen selbst oder durch Prüfungsbeamte des Finanzamts erfolgen kann, nicht als Schulden vom Rohvermögen abgezogen werden. Hier handelt es sich jedoch nicht um hinterzogene Steuerbeträge. Ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung ist gegen die Betriebsinhaber niemals durchgeführt worden. Außerdem hat das Finanzgericht seinerseits festgestellt, die erheblichen Fehler beim Lohnsteuerabzug beruhten durchweg auf Rechtsunkenntnis, die Verkürzung der Steuern sei jedenfalls nicht auf vorsätzliches Verhalten der Gesellschafter der Bgin. zurückzuführen. Auch das Finanzamt selbst unterstellt ihnen eine derartige vorsätzliche Steuerverkürzung nicht.

Trotzdem verneint das Finanzamt die Abzugsfähigkeit der nachgeholten Lohnsteuerbeträge im Streitfalle, weil es unter Hinweis auf Abschn. 50 Abs. 5 VStR 1953 und das dort genannte Urteil des Reichsfinanzhofs III A 28/37 vom 24. Juni 1937, a. a. O., auch die auf andere Art als durch Hinterziehung verkürzten Steuerbeträge in gleicher Weise vom Schuldabzug ausschließen will. Dieses Urteil ist jedoch trotz seines an einzelnen Stellen vielleicht unklaren Wortlauts, in dem von hinterzogenen oder sonst verkürzten Steuern gesprochen wird, nicht in dem Sinne zu verstehen, wie der Bf. meint. Jedenfalls wird auch in diesem Urteil ausgeführt, mit der Nachforderung von hinterzogenen oder sonst verkürzten Steuern werde der Steuerpflichtige im allgemeinen erst dann rechnen, wenn er seine früheren Angaben berichtigt oder das Finanzamt die Verkürzung aufgedeckt habe. In dem dort vorliegenden Falle habe der Steuerpflichtige mit der Nachforderung der Steuern erst nach dem Zeitpunkt der Aufdeckung rechnen können; denn sonst hätte er seine frühere Angaben berichtigt, um wenigstens einer Bestrafung zu entgehen. Der Reichsfinanzhof ist also auch schon in dem damals entschiedenen Falle von der Erwägung ausgegangen, daß der Steuerpflichtige vor der Aufdeckung der Steuerverkürzung nicht mit einer Inanspruchnahme durch den Steuergläubiger rechnet. Eine solche Erwägung trifft aber nur in Fällen der Steuerhinterziehung zu; denn nur in derartigen Fällen kann der Steuerpflichtige überhaupt solche überlegungen anstellen, während er im Falle bloßer Fahrlässigkeit von dem Eintritt der Verkürzung zunächst nichts weiß und daher auch weder positiv noch negativ zu den Möglichkeiten einer Entdeckung Stellung nehmen kann. Diese Erkenntnis ist in dem späteren Urteil des Bundesfinanzhofs III 211/54 U vom 4. März 1955, a. a. O., zum Ausdruck gelangt, das deshalb das Abzugsverbot für nachgeholte Steuerrückstände ausdrücklich auf die Zeit der Hinterziehung beschränkt hat. Bloße Fahrlässigkeit schließt deshalb auch den Abzug der durch Haftungsbescheid geltend gemachten Lohnsteuerschulden nicht aus. Diese Auffassung wird neuerdings auch in Abschn. 37 Abs. 3 VStR 1963 vertreten.

Endlich irrt der Bf. auch darin, daß im Streitfall bei der Bewertung der streitigen Haftungsschuld die Möglichkeit des Rückgriffs auf die Arbeitnehmer berücksichtigt werden müsse. Denn in Wirklichkeit besteht, wie schon im Betriebsprüfungsbericht zutreffend ausgeführt worden ist, ein Rückgriffsanspruch für den Arbeitgeber wegen der bisher zu wenig abgeführten Steuerabzugsbeträge nicht, weil zwischen der Bgin. und ihren Arbeitnehmern Nettolohnvereinbarungen getroffen worden sind.

Die Rb. erweist sich danach in vollem Umfange als unbegründet.

 

Fundstellen

BStBl III 1964, 378

BFHE 1964, 400

BFHE 79, 400

StRK, BewG:62 R 49

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