Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Neuregelung der Besteuerung von Kalamitätsnutzungen durch § 34 b EStG 1955 führt zu keiner verfassungsmäßig unzulässigen rückwirkenden Schlechterstellung des Steuerpflichtigen.

Ein forstwirtschaftliches Betriebsgutachten oder Betriebswerk ist für die Gewährung der Steuerermäßigung nach § 34 b Abs. 3, 4 EStG 1955 für die Veranlagung 1955 auch dann erforderlich, wenn der Schaden schon im zweiten Halbjahr 1954 eingetreten war, die hierdurch entstandenen Nutzungen aber nach § 2 Abs. 6 Ziff. 1 EStG auch für den 1955 zu berücksichtigenden Gewinn von Bedeutung sind.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 6 Ziff. 1, § 34b/1/2; EStDV § 68 Abs. 2

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1955 über eine Steuerermäßigung für außerordentliche Holznutzungen (ß 34 b EStG).

Die Bf. sind durch Erbgang Eigentümer verschiedener Waldstücke geworden. Ihr Wirtschaftsjahr läuft vom 1. Juli bis 30. Juni des folgenden Jahres. Im Herbst 1954 hatte die Erblasserin Kalamitätsnutzungen. Entsprechend der Regelung des § 2 Abs. 6 Ziff. 1 Satz 1 EStG teilte sie die Nutzungen bei den Steuererklärungen auf die Kalenderjahre 1954 und 1955 auf.

Durch vorläufigen Bescheid vom 23. Mai 1956 gewährte das Finanzamt die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG 1953 für den Veranlagungszeitraum 1954. Es vermerkte, daß der Nachweis über die Kalamitätsnutzungen noch nicht vorgelegen habe. Auch für 1955 gewährte es durch vorläufigen Bescheid vom 17. April 1957 die Steuervergünstigung, jedoch auf Grund der inzwischen verkündeten neuen Bestimmung des § 34 b Abs. 1 Ziff. 2 EStG 1955. Es bat nach einer Betriebsprüfung in einem berichtigten vorläufigen Steuerbescheid vom 8. Oktober 1958, das nach Einführung des § 34 b Abs. 4 Ziff. 1 EStG 1955 bei Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen für außerordentliche Holznutzungen erforderliche Betriebsgutachten binnen vier Wochen einzureichen. Im April 1961 widerrief das Finanzamt die gewährten Steuerermäßigungen bei den endgültigen Veranlagungen, weil das angeforderte Betriebsgutachten nicht eingereicht worden war.

Im Einspruchsverfahren berichtigte das Finanzamt die Veranlagung 1954 nach § 94 AO und gewährte für die außerordentlichen Holznutzungen den ermäßigten Steuersatz. Es war der Ansicht, daß für den Veranlagungszeitraum 1954 die früher erforderlichen Meldungen der Steuerpflichtigen über den Kalamitätsfall ausreichten. Für 1955 lehnte das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 21. November 1961 die Vergünstigung ab, da das erforderliche Betriebsgutachten nicht vorgelegt worden sei und damit wegen Fehlens einer durch das EStG 1955 geforderten Voraussetzung die Steuerermäßigung für außerordentliche Holznutzungen im Kalenderjahr 1955 entfalle.

Die Bf. legten Berufung ein, die sie nicht begründeten. Während des Berufungsverfahrens reichten sie Anfang 1962 beim Finanzamt ein Betriebsgutachten ein, dessen Anerkennung die Oberforstdirektion ablehnte. Mit Schreiben vom 24. April 1962 gab das Finanzamt das Gutachten an die Bf. zurück, wobei es ihnen die Gründe mitteilte, die die Oberforstdirektion zur Nichtanerkennung des Gutachtens veranlaßt hatten. Durch Beschluß vom 7. Dezember 1962 gab das Finanzgericht den Bf. Gelegenheit, bis zum 20. Dezember 1962 alle Umstände vorzutragen, die für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten. Die Bf. machten von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch. Daraufhin wies das Finanzgericht die Berufung durch Urteil vom 23. Januar 1963 als unbegründet zurück, weil die Bf. bisher kein Betriebsgutachten vorgelegt hätten, das den Anforderungen des § 34 b Abs. 4 Ziff. 1 EStG 1955 entspreche.

Mit der Rb. rügen die Bf. unzureichende Sachaufklärung durch das Finanzgericht, unrichtige Rechtsanwendung und einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten. Sie reichten im März 1964 das Gutachten eines Forstsachverständigen ein, dem allerdings die Anerkennung der zuständigen Stelle fehlte, und begründeten ihre Rb. wie folgt. Das Finanzgericht hätte auf Grund des bereits vorliegenden, amtlich nicht anerkannten Betriebsgutachtens von sich aus den Sachverhalt aufklären müssen, nachdem sich die weitere Beweisnotwendigkeit geradezu aufgedrängt habe. Erst seit Erlaß des Bayerischen Gesetzes über die Zuständigkeit für die amtliche Anerkennung von forstwirtschaftlichen Betriebsgutachten vom 14. Juni 1963 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt - Bay. GVBl. - 1963 S. 145) bestehe Klarheit über die an ein Betriebsgutachten zu stellenden Anforderungen. Unter diesen Umständen hätte sich das angefochtene Urteil nicht darauf stützen dürfen, daß kein vorschriftsmäßiges Betriebsgutachten vorgelegt worden sei. Infolge Arbeitsüberlastung habe der Gutachter das Gutachten nicht, wie von der Oberforstdirektion gefordert, ergänzen können. Bei dieser Sachlage verstoße das angefochtene Urteil gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung damit begründe, die Bf. seien trotz Anmahnung mit der Herbeischaffung des Betriebsgutachtens in Verzug geblieben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Das Finanzgericht wendete mit Recht den an die Stelle des § 34 Abs. 3 EStG 1953 getretenen § 34 b EStG 1955 an. Die neue Vorschrift sollte nach Abschn. I Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern (StNG) vom 16. Dezember 1954 (BStBl 1954 I S. 575) erstmals für den Veranlagungszeitraum 1955 gelten. Die Vorschrift stellte die Steuerpflichtigen hinsichtlich des anzuwendenden Tarifs teils schlechter, teils besser als die alte Regelung (vgl. hierzu im einzelnen das Urteil des Senats IV 49/59 U vom 26. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 34, Slg. Bd. 74 S. 87). Sie knüpfte aber auch die Gewährung der Steuervergünstigung an gewisse in § 34 b Abs. 4 EStG 1955 aufgezählte Voraussetzungen, darunter die Festsetzung eines Nutzungssatzes auf Grund eines amtlich anerkannten Betriebsgutachtens oder eines Betriebswerks (ß 34 Abs. 4 Ziff. 1 EStG 1955). Die Bf. fühlen sich dadurch beschwert, daß für den bereits vor Inkrafttreten des änderungsgesetzes eingetretenen Kalamitätsfall die letztgenannte Erschwerung Platz greifen soll. Es erhebt sich daher die Frage, ob insoweit - und auch hinsichtlich der änderungen in der Anwendung des Tarifs - eine unzulässige rückwirkende Schlechterstellung der Bf. zu sehen ist, die mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit nicht zu vereinbaren ist.

Das ist indessen nicht der Fall. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine unzulässige Rückwirkung dann nicht vor, wenn der Steuertatbestand noch nicht abgeschlossen ist. So hielt das Bundesverfassungsgericht zwar die Erhöhung des Körperschaftsteuertarifs für einen vergangenen Veranlagungszeitraum für verfassungswidrig (Urteil vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59, BStBl 1962 I S. 486), dagegen für den laufenden Veranlagungszeitraum für verfassungsmäßig, selbst wenn die änderung erst im Laufe des Veranlagungszeitraums Gesetz wurde (Urteil vom 19. Dez. 1961 - 2 BvR 1/60, BStBl 1962 I S. 489). Im letzteren Falle führte das Bundesverfassungsgericht aus, die Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes durch § 3 Nr. 3 des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuer-änderungsgesetzes 1951 vom 27. Juni 1951 (BGBl I S. 411) sei nach § 4 dieses Gesetzes erstmals bei der Veranlagung für 1951 anzuwenden. Der Veranlagungszeitraum 1951 habe am 1. Januar 1951 begonnen und am 31. Dezember 1951 geendet. Die für die Entstehung der Steuerschuld relevante Verwirklichung des Steuertatbestandes habe also schon vor dem Inkrafttreten des änderungsgesetzes - den 1. Juli 1951 - begonnen. Sie sei jedoch noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Steuerschuld sei also - anders als in dem durch das Urteil 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961 entschiedenen Fall - noch nicht entstanden gewesen. Denn nach dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 StAnpG entstehe die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Steuer knüpfe, und nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG sei die Steuerschuld mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen werde, entstanden. Obwohl § 4 des änderungsgesetzes Wirkungen auf einen Steuertatbestand gehabt habe, dessen Verwirklichung bereits begonnen habe, bestünden gegen diese Bestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil 2 BvL 6/59 ausgesprochen, daß der Gesetzgeber in der Regel gegen das Gebot der Rechtssicherheit verstoße, wenn er das Abgabenrecht zum Nachteil der Steuerpflichtigen rückwirkend ändere. Wie sich aus diesem Urteil ergebe, gelte dies aber nur, wenn der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände andere Rechtsfolgen knüpfe. Aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ergäben sich zwar auch sachliche Grenzen für solche Gesetze, die ihre Wirkung auf Steuertatbestände erstreckten, deren Verwirklichung begonnen habe. Solche Grenzen seien hier jedoch nicht mißachtet. Der Bürger könne angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibe. Wohl aber müsse er darauf vertrauen können, daß sich eine Erhöhung des Steuertarifs während des Veranlagungszeitraums in maßvollen Grenzen halte. Das Bundesverfassungsgericht hielt ferner § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG in der Fassung des Art. I Nr. 6 des Steueränderungsgesetzes - StändG - vom 18. Juli 1958 (BStBl 1958 I S. 412) für mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar, obschon dadurch Bauherrn, die im Vertrauen auf die bisherigen günstigen Abschreibungsmöglichkeiten mit dem Bau begonnen hatten, schlechtergestellt wurden (Beschluß vom 7. Juli 1964 - 2 BvL 22, 23/63, BStBl 1964 I S. 539).

Im vorliegenden Falle der änderung der Bestimmungen über Kalamitätsnutzungen war der zur Feststellung des im Veranlagungszeitraum 1955 zu versteuernden Gewinns führende Steuertatbestand noch nicht abgeschlossen. Das Wirtschaftsjahr lief noch bis zum 30. Juni 1955. Die Hälfte des an seinem Ende erzielten Gewinns war im Veranlagungszeitraum 1955 zu versteuern. Dabei waren die im Verlauf des Wirtschaftsjahres 1954/55 geschehenen Geschäftsvorfälle zu würdigen. Wenn mit der Verkündung des änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt I vom 17. Dezember 1954 gesetzlich festgelegt wurde, daß diese Würdigung vom Veranlagungszeitraum 1955 an anders sein werde als bisher, so waren keine schutzwürdigen Belange der Steuerpflichtigen beeinträchtigt, zumal da die Regelung zum Teil auch Vorteile für sie bot. Im übrigen haben Steuerpflichtige keinen Anspruch auf den unveränderten Fortbestand von steuerlichen Vergünstigungen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 22, 23/63).

Das nach der neuen gesetzlichen Regelung für die Gewährung einer Steuervergünstigung erforderliche Gutachten legten die Bf. bis zur Beendigung des Verfahrens vor dem Finanzgericht (vgl. das Urteil des Senats IV 49/59 U) nicht vor. Die Vorlage eines Gutachtens in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist als Vortrag neuer Tatsachen zu betrachten und daher unbeachtlich (§§ 288, 296 AO). (Im übrigen fehlt dem Gutachten die erforderliche amtliche Anerkennung).

Eine mangelhafte Sachaufklärung durch das Finanzgericht liegt nicht vor. Wenn das Gesetz die Anwendung des begünstigten Tarifs an die "Voraussetzung" knüpft, daß "auf Grund eines amtlich anerkannten Betriebsgutachtens oder durch ein Betriebswerk" "periodisch für 10 Jahre ein Nutzungssatz festgesetzt" sein muß, so erstreckt sich die Aufklärungspflicht des Gerichts allenfalls darauf, festzustellen ob ein solcher Nutzungssatz festgesetzt ist. Steht aber - wie hier - fest, daß die Voraussetzungen bisher nicht vorliegen, so gehört es nicht zur Aufklärungspflicht des Gerichts, die Voraussetzungen zu schaffen. Es muß dem Steuerpflichtigen allerdings ausreichend Zeit lassen, die Voraussetzungen, die durch die neue gesetzliche Regelung erforderlich wurden, zu schaffen, falls sie nicht bereits vorlagen (vgl. das Urteil IV 49/59 U). Den Bf. war aber hier ausreichend Gelegenheit zur Beschaffung eines anerkannten Betriebsgutachtens gegeben worden. Zwischen der ersten Aufforderung zur Einreichung eines solchen Gutachtens (im Oktober 1958) bis zum Erlaß des angefochtenen Urteils (im Januar 1963) liegt ein Zeitraum von mehr als vier Jahren. Den Bf. kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie vortragen, vor dem Erlaß des Bayerischen Gesetzes über die Zuständigkeit für die amtliche Anerkennung von forstwirtschaftlichen Betriebsgutachten vom 14. Juni 1963 habe keine Klarheit über die Anforderungen an ein solches Gutachten bestanden. Das genannte Gesetz besagt nichts über die Anforderungen, sondern es enthält lediglich eine Zuständigkeitsregelung. Die vom Finanzamt gestellten Anforderungen sind den Bf. bei der Rücksendung des von der Oberforstdirektion nicht anerkannten Gutachtens im April 1962 bekanntgegeben worden. Trotzdem reichten sie kein den amtlichen Anforderungen entsprechendes Gutachten ein. Nachdem sie schon die Berufung trotz wiederholter Aufforderungen nicht begründet hatten, ließen sie auch die im Dezember 1963 ergangene Aufforderung des Finanzgerichts, alle für die Entscheidung erheblichen Umstände vorzutragen, unbeantwortet. Damit hatte das Finanzgericht verfahrensrechtlich einwandfrei eine Situation geschaffen, die den Erlaß des Urteils rechtfertige.

Inwiefern bei dieser Sachlage ein Verstoß gegen den Akteninhalt vorliegen soll, vermag der Senat nicht zu erkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411894

BStBl III 1966, 308

BFHE 1966, 270

BFHE 85, 270

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