Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhöhung des Körperschaftsteuertarifs im Laufe des VZ 1951

 

Leitsatz (amtlich)

Zu § 3 Nr. 3 Buchst. a, § 4 des Gesetzes zur Änderung- und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes (ESt- und KSt-Änderungsgesetzes 1951) vom 27. Juni 1951 (BGBl S. 411)

§ 4 des Änderungsgesetzes ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; UStG § 19 Abs. 1

 

Tatbestand

A.

1. Der Regelsatz der Körperschaftsteuer betrug in den Veranlagungszeiträumen 1948/II, 1949 und 1950 50 v. H. des Einkommens (Art II Nr. 6 Anhang zum MilRegGes Nr. 64 – WiGBl 1948, Beil Nr. 4; § 19 Abs. 1 des KörperschaftsteuergesetzesKStG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1950 – BGBl 1951 I S 34 –). Das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes (ESt- und KSt-Änderungsgesetz 1951) vom 27. Juni 1951 (BGBl I S 411) – Änderungsgesetz – erhöhte für den größten Teil der Körperschaftsteuerpflichtigen, u.a. für inländische Kapitalgesellschaften, den Steuersatz auf 60 v. H. des Einkommens. § 3 Nr. 3 Buchst. a des Änderungsgesetzes lautet:

3. § 19 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 erhält die folgende Fassung:

„1) Die Körperschaftsteuer beträgt:

1. 60 vom Hundert des Einkommens bei den in § 1 Absatz 1 Ziffern 1 bis 3 und 6 bezeichneten Steuerpflichtigen,

2. 50 vom Hundert des Einkommens bei allen übrigen Steuerpflichtigen.”

Das Änderungsgesetz trat am 1. Juli 1951 in Kraft. Nach § 4 waren die Vorschriften des § 3, unter ihnen jene über die Höhe des Steuersatzes bei der Körperschaftsteuer, erstmals bei der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1951 anzuwenden.

2. Das Finanzamt veranlagte die Beschwerdeführerin durch vorläufigen Steuerbescheid vom 12. Februar 1952 zur Körperschaftsteuer für das Kalenderjahr 1951; es wandte dabei den Steuersatz von 60 v. H. des Einkommens an.

Gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdeführerin Sprungberufung zum Finanzgericht ein. Sie machte geltend, sie fühle sich in ihren verfassungsmäßigen Rechten dadurch verletzt, daß der erhöhte Steuertarif von 60 v. H. gemäß § 4 des Änderungsgesetzes rückwirkend auf das erste Halbjahr 1951 angewandt worden sei. Das Finanzgericht wies die Sprungberufung, der Bundesfinanzhof die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Der Bundesfinanzhof führt aus:

Die Körperschaftsteuer sei ebenso wie die Einkommensteuer eine Personalsteuer, die sich nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen richte. Die Leistungsfähigkeit könne auch nach Tatbeständen bemessen werden, die in der Vergangenheit liegen. Würden die Tarife der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer unter Anknüpfung an vergangene Tatbestände erhöht, so stelle das keine Rückwirkung im engeren Sinne dar. Die Erhöhung der Körperschaftsteuer durch das Änderungsgesetz verstoße nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG, da sich die Rückwirkung nur auf das laufende Kalenderjahr ausgewirkt habe. Bei dieser Sachlage hätten sich den Steuerpflichtigen noch Möglichkeiten zur Beeinflussung des steuerpflichtigen Jahresgewinnes geboten; anders sei es bei einer Steuererhöhung für abgelaufene Wirtschaftsjahre. Der Steuerpflichtige müsse im übrigen damit rechnen, daß sich die ursprüngliche wirtschaftliche Beurteilung eines Geschäfts infolge von Veränderungen im Steuersystem oder in den Tarifbestimmungen nachträglich als unrichtig erweise. Deshalb fordere auch die Auswirkung der Steuererhöhung auf „schwebende Geschäfte” keine andere Beurteilung. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn es sich um Änderungen handle, die sich auf das laufende Wirtschaftsjahr auswirkten.

3. In ihrer gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs erhabenen Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, durch die Inanspruchnahme auf Grund eines rückwirkenden Steuergesetzes sei sie in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Der Bundesfinanzhof habe zu Unrecht darauf abgestellt, daß es sich bei der rückwirkenden Erhöhung der Körperschaftsteuer um eine Zeitabschnittsregelung gehandelt habe. Im übrigen werde über den Gewinn des Unternehmens schon auf Grund der monatlichen Erfolgsrechnung disponiert, so daß es nur selten möglich sei, bei Steuererhöhungen während des Veranlagungszeitraums den Gewinn noch zu beeinflussen.

4. Der Bundesminister der Finanzen führt aus:

Die Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum 1951 sei erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres entstanden (§ 3 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 1 c StAnpG); bei der Erhöhung der Körperschaftsteuer durch das Änderungsgesetz handle es sich daher nicht um einen Fall echter Rückwirkung. Überdies habe die Beschwerdeführerin voraussehen können, daß die Körperschaftsteuer für das ganze Jahr 1951 erhöht werden würde. Über die der Verabschiedung des Änderungsgesetzes vorausgehenden langwierigen Beratungen der gesetzgebenden Körperschaften sei in der Presse ausführlich berichtet worden.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Nach dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 StAnpG entsteht die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuer knüpft. Dieser Grundsatz wird für die Körperschaftsteuer durch die in § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. a–c StAnpG enthaltenen Beispiele konkretisiert. Diese Beispiele tragen den drei Formen der Erhebung der Körperschaftsteuer Rechnung. Die Körperschaftsteuer wird im Wege des Steuerabzugs (§ 20 KStG, §§ 43, 44 EStG, Kapitalertragsteuer-DV), der Vorauszahlungen (§ 20 KStG, § 35 EStG) und abschließend im Wege der Veranlagung erhoben. Für den vorliegenden Fall sind die zuerst genannten beiden Erhebungsformen ohne Bedeutung. Die bei diesen Erhebungsformen selbständig entstehenden Steuerschulden haben im Verhältnis zu der Steuerschuld, die sich aus der Anwendung des Steuersatzes auf das im Bemessungszeitraum bezogene Einkommen ergibt, nur vorläufigen Charakter. Für die veranlagte Steuer entsteht die Steuerschuld nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, soweit sie nicht hinsichtlich der Steuerabzugsbeträge (Buchst. a) und der Vorauszahlungen (Buchst. b) schon früher entstanden ist.

2. Die Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes durch § 3 Nr. 3 des Änderungsgesetzes vom 27. Juni 1951 war nach § 4 dieses Gesetzes erstmals bei der Veranlagung für 1951 anzuwenden. Der Veranlagungszeitraum 1951 hatte am 1. Januar 1951 begonnen und endete am 31. Dezember 1951. Die für die Entstehung der Steuerschuld relevante Verwirklichung des Steuertatbestandes hatte also schon vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes – dem 1. Juli 1951 – begonnen. Sie war jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Steuerschuld war also – anders als in dem durch das Urteil 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961 entschiedenen Fall – noch nicht entstanden.

3. Obwohl § 4 des Änderungsgesetzes Wirkungen auf einen Steuertatbestand hatte, dessen Verwirklichung bereits begonnen hatte, bestehen gegen diese Bestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961 ausgesprochen, daß der Gesetzgeber in der Regel gegen das Gebot der Rechtssicherheit verstößt, wenn er das Abgabenrecht zum Nachteil der Steuerpflichtigen rückwirkend ändert. Wie sich aus diesem Urteil ergibt, gilt dies aber nur, wenn der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände andere Rechtsfolgen knüpft. Aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ergeben sich aber auch sachliche Grenzen für solche Gesetze, die ihre Wirkung auf Steuertatbestände erstrecken, deren Verwirklichung begonnen hat (vgl. auch Urteil 2 BvR 2/60 vom 19. Dezember 1961). Solche Grenzen sind hier jedoch nicht mißachtet. Der Bürger kann angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt. Wohl aber muß er darauf vertrauen können, daß sich eine Erhöhung des Steuertarifs während des Veranlagungszeitraums in maßvollen Grenzen hält.

Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber den Körperschaftsteuersatz in der Mitte des laufenden Veranlagungsjahres mit Wirkung vom 1. Januar 1951 maßvoll von 50 auf 60 v. H. des Einkommens erhöht. § 4 des Änderungsgesetzes ist daher mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Fundstellen

BStBl I 1962, 489

BVerfGE, 274

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