Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzung einer unvollständigen Vollmachtsurkunde ohne Prozeßbevollmächtigten durch Übersendungsschreiben

 

Leitsatz (NV)

1. Läßt sich ein Beteiligter in einem finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten, so hat er diesem eine Prozeßvollmacht zu erteilen, die dem Gericht schriftlich einzureichen ist.

2. Setzt der Vorsitzende oder ein von ihm bestimmter Richter für die Vorlage einer Vollmacht eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG und wird die Vollmacht nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht, so ist, wenn nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist in Betracht kommt, die Klage mangels Vorliegens einer Prozeßvoraussetzung durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen.

3. Eine Vollmacht ist trotz fehlender Angabe des Prozeßbevollmächtigten ordnungsgemäß und wirksam, wenn sich die Person des Bevollmächtigten aus den genauen Angaben zum Verfahren in der Vollmachtsurkunde und einem vom Bevollmächtigten unterschriebenen Übersendungsschreiben ergibt.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Steuerberater erhob am 8. April 1982 für die GmbH, Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), Klage. In der Klageschrift hatte er sich als ,,Prozeßbevollmächtigter . . ." benannt. Zur Vorlage seiner Vollmacht setzte ihm das Finanzgericht (FG) eine Frist von zwei Monaten. Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist setzte das FG dem Steuerberater durch Verfügung vom 2. Juli 1982 - dem Steuerberater mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 3. Juli 1982 - eine Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - VGFGEntlG - (BGBl I 1978, 446, BStBl I 1978, 174) bis zum 15. August 1982.

Mit von ihm unterschriebenem Schriftsatz vom 30. Juni 1982 - bei Gericht eingegangen am 2. Juli 1982 - reichte der Steuerberater zwei Vollmachten ein, in denen der Rechtsstreit mit den Beteiligten, dem Aktenzeichen des FG, der Einspruchsentscheidung, der Steuernummer und der Rechtsbehelfslisten-Nummer bezeichnet, der Bevollmächtigte aber nicht genannt ist. Das Fehlen der Benennung des Bevollmächtigten wurde vom FG zunächst übersehen.

Auf einen Hinweis des FG vom 7. Februar 1984, daß keine wirksame Prozeßvollmacht vorliege, äußerte die Klägerin, eine wirksame Vollmacht sei erteilt. Die Ausschlußfristen bezögen sich auf das Fehlen einer Vollmachtsurkunde überhaupt. Aus den Schriftsätzen sei erkennbar, wer bevollmächtigt sein solle. Es sei Aufgabe des Gerichts gewesen, rechtzeitig auf die Unvollständigkeit der übersandten Vollmacht hinzuweisen.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die eingereichte Vollmacht genüge den gesetzlichen Anforderungen nicht. Innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist sei keine wirksame Vollmacht eingegangen. Das Fehlen eines gerichtlichen Hinweises wirke sich auf den Lauf der Frist nicht aus. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme wegen des Ablaufs der Jahresfrist (§ 56 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) nicht in Betracht. Im übrigen habe die Klägerin die ihr zuzumutende äußerste Sorgfalt nicht beachtet.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 62 und des § 76 Abs. 2 FGO. Sie wiederholt im wesentlichen ihr Vorbringen in dem Verfahren vor dem FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG war deshalb aufzuheben. Die Sache war zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Nach § 62 Abs. 1 FGO kann sich ein an dem finanzgerichtlichen Verfahren Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Dann hat der Beteiligte eine Prozeßvollmacht zu erteilen. Die Vollmacht ist schriftlich dem Gericht einzureichen. Für ihre Vorlage kann der Vorsitzende des Senats oder der von ihm bestimmte Richter nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, gegen deren Versäumung (nur) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist. Wird die Vollmacht innerhalb der gesetzten Frist nicht eingereicht, so ist die Klage unzulässig und durch Prozeßurteil abzuweisen; insoweit fehlt es an einer Prozeßvoraussetzung (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - 17. Juli 1984 VII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802, und vom 30. November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514).

Das FG hat durch die Verfügung vom 2. Juli 1982 die Ausschlußfrist (15. August 1982) nach diesen Vorschriften wirksam in Lauf gesetzt. Es hat den Steuerberater unter Hinweis auf Rechtsgrundlage und Rechtsfolgen eindeutig zur Vorlage einer Prozeßvollmacht aufgefordert (vgl. hierzu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. Februar 1982 1 BvR 1379/80, BVerfGE 60, 1).

2. Innerhalb dieser Frist hat der Prozeßbevollmächtigte dem FG eine ordnungsgemäße und wirksame Prozeßvollmacht eingereicht. Der Prozeßbevollmächtigte hatte in der von ihm unterschriebenen Klageschrift sich selbst als (alleinigen) Prozeßbevollmächtigten benannt und die Begründung des Rechtsbehelfs für die Zeit nach Rückkehr des Geschäftsführers der Klägerin angekündigt. Die vor Ablauf der gesetzten Ausschlußfrist (15. August 1982) und einige Zeit vor Abgabe der Klagebegründung (5. Oktober 1982) bei Gericht eingegangene (2. Juli 1982) Blankovollmacht war von dem Geschäftsführer der Klägerin am 21. Mai 1982 ausgestellt und einem an das FG gerichteten und von dem Steuerberater unterschriebenen Übersendungsschreiben beigefügt. Sie enthält neben der Aufführung der Beteiligten als Angaben zum Gegenstand des Rechtsstreits die genaue Bezeichnung der Einspruchsentscheidung nach Datum, Steuernummer und Rechtsbehelfsnummer sowie ferner die streitige Steuerart, die Steuerabschnitte nach Jahren und schließlich das Aktenzeichen des FG.

3. Der Senat hält die in dieser Form und auf diese Weise dem Gericht noch während des Laufs der Ausschlußfrist eingereichte Vollmacht für ordnungsgemäß und wirksam. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, insbesondere im Hinblick auf die genauen Angaben des Vollmachtgebers zum Verfahren in der von ihm unterschriebenen Vollmachtsurkunde und deren Vorlage durch den Steuerberater, ist der Bevollmächtigte hinreichend genau ausgewiesen. Danach bestand für das Gerichtsverfahren kein Zweifel, wer im Außenverhältnis Prozeßhandlungen vornehmen und in welchem Umfange dies geschehen durfte.

Der Senat folgt damit im wesentlichen der neueren Entscheidung des IV. Senats des BFH vom 30. März 1988 IV R 218/85 (BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731). Zwar war nach dem Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde lag, die unvollständige Vollmachtsurkunde einem bestimmenden und unterschriebenen Schriftsatz (Klagebegründung) mit einer Heftmaschine angeheftet und deshalb von dem IV. Senat als wirksam angesehen worden. Nichts anderes kann aber gelten, wenn sich die Person des Bevollmächtigten - wie im Streitfall - aus den genauen Angaben zum Verfahren in der Vollmachtsurkunde und einem von dem Bevollmächtigten unterschriebenen Übersendungsschreiben ergibt.

Mit dieser Rechtsauffassung weicht der Senat nicht von dem BFH-Urteil in BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802 ab. Zum einen hat der BFH als Revisionsgericht die Voraussetzungen, von denen die Zulässigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens abhängt, in jeder Lage des Verfahrens von sich aus zu prüfen (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 118 FGO Tz. 49, 58). Zum anderen hatte der Senat in dem vorliegenden Rechtsstreit über einen andersliegenden Sachverhalt zu entscheiden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 792

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