Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrüge in Form der Gegenrüge; zum Begriff der Herstellungskosten

 

Leitsatz (NV)

1. Der Revisionsbeklagte kann im Wege der Gegenrüge nur solche Tatsachen zur Begründung einer Verfahrensrüge einführen, die er nicht schon aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht vor dem FG hätte geltend machen können.

2. Entwicklungskosten gehören nicht zu den Aufwendungen für Gegenstände des Vorratsvermögens i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967.

3. Zum Begriff der Herstellungskosten. Aufwendungen für eine zweckgebundene Forschung sind keine Herstellungskosten der später hergestellten fertigen und/oder unfertigen Erzeugnisse.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2; UStG 1967 § 28; AktG § 151 Abs. 1, § 155 Abs. 1 S. 3; HGB § 255 Abs. 2 S. 1 i.d.F. des BiRiLiG

 

Gründe

1. Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die - auf die zum 31. Dezember 1967 noch nicht in Bau befindlichen Maschinen entfallenden - Entwicklungskosten als Aufwendungen für Gegenstände des Vorratsvermögens i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 zu berücksichtigen seien. Diese Aufwendungen sind nach den hier zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsätzen nicht beim Vorratsvermögen zu aktivieren und können damit nicht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 entlastet werden.

a) Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 kann ein Unternehmer, auf dessen Umsätze § 19 oder § 24 UStG 1967 nicht anzuwenden ist, für seine am Schluß des Jahres 1967 im Inland vorhandenen Gegenstände des Vorratsvermögens als Vorsteuer einen Betrag abziehen, der sich aus der Anwendung des für diese Gegenstände nach § 25 UStG 1951 maßgebenden Ausfuhrvergütungssatzes ergibt. Nach der Rechtsprechung des Senats zu §§ 28, 30 UStG 1967 (vgl. Urteil vom 31. März 1977 V R 44/73, BFHE 122, 184, BStBl II 1977, 684, m.w.N.) sind die Begriffe Anlagevermögen und Umlaufvermögen (Vorratsvermögen) nach den handelsrechtlichen Vorschriften zu bestimmen. Maßgebend sind somit die Vorschriften des § 151 Abs. 1 und des § 155 Abs. 1 Satz 3 des Aktiengesetzes (AktG). Nach § 151 Abs. 1, Auf der Aktivseite, III a Nrn. 1 bis 3 AktG sind im Umlaufvermögen als Vorräte die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (Nr. 1), die unfertigen Erzeugnisse (Nr. 2) und die fertigen Erzeugnisse und Waren (Nr. 3) zu aktivieren (vgl. nunmehr auch § 266 Abs. 2 B I Nrn. 1 bis 3 des Handelsgesetzbuches - HGB - i.d.F. des Bilanzrichtliniengesetzes vom 19. Dezember 1985 - BiRiLiG -, BGBl I 1985, 2355).

b) Die streitigen Entwicklungskosten zur Neuentwicklung der Maschinen sind nicht unter dem Vorratsvermögen bei den allein in Betracht kommenden unfertigen Erzeugnissen zu aktivieren. Der Senat folgt dabei der Rechtsprechung der Ertragsteuersenate des BFH - die mit der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung übereinstimmt -, daß derartige Entwicklungskosten nicht zu den Herstellungskosten gehören, mit denen die fertigen und unfertigen Erzeugnisse am Bilanzstichtag zu aktivieren sind (s. unten bb).

aa) Als ,,Entwicklungskosten" werden in diesem Zusammenhang üblicherweise Aufwendungen z. B. für den Bau von Versuchswerkstätten und den Materialverbrauch für Modelle, für wissenschaftliche Gutachten, für Gehälter und Löhne für Ingenieure, Angestellte und Arbeiter (vgl. Döllerer, Betriebs-Berater - BB - 1957, 983) angesehen. Das angefochtene Urteil enthält zwar keine Feststellungen dazu, welche Aufwendungen der Klägerin im einzelnen die streitigen Entwicklungskosten bilden. Dieser Umstand kann aber nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG führen. Die Beteiligten und das FG sind offensichtlich bei der Verwendung des Entwicklungskostenbegriffs von dem oben angesprochenen üblichen Begriffsinhalt ausgegangen. Die Klägerin hat erstmals im Revisionsverfahren in ihrer Stellungnahme vom 31. Oktober 1978 zur Revisionsbegründung des FA (auf S. 3) ausgeführt:

,,Bei diesen Produktentwicklungskosten handelt es sich um eine Vielzahl von Sach- und Personalaufwendungen, wobei gerade die Sachaufwendungen bei den hohen technischen Anforderungen im Maschinenbau und die hierdurch bedingten umfangreichen technischen Untersuchungen und Versuche eine entscheidende Rolle spielen (z. B. . . ., Recheneinrichtungen, Konstruktions- und Fertigungszeichnungen u. ä.)."

Unbeschadet der Frage, ob die Klägerin damit eine (verfahrensrechtliche) Gegenrüge wirksam erhoben hat (s. unten), zeigt sich - bei Unterstellung dieses Vortrags als festgestellt -, daß damit der Rahmen des allgemein verwendeten Entwicklungskostenbegriffs eingehalten ist.

bb) Diese Aufwendungen gehören nicht zu den Herstellungskosten der Maschinen, deren Serienfertigung die Klägerin betrieb.

Herstellungskosten sind die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Wirtschaftsgutes entstehen (vgl. nunmehr § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB i.d.F. des BiRiLiG). Dazu gehören sowohl die unmittelbar der Herstellung dienenden Kosten als auch Aufwendungen, die zwangsläufig im Zusammenhang mit der Herstellung des Wirtschaftsguts anfallen oder mit seiner Herstellung in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Dabei kommt der Zweckbestimmung der Aufwendungen als finales Element entscheidende rechtliche Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 13. September 1984 IV R 101/82, BFHE 142, 247, BStBl II 1985, 49, unter 2 b).

Hiervon ausgehend gehören zu den Herstellungskosten u. a. die Materialkosten, die Fertigungskosten und die Sonderkosten der Fertigung (vgl. nunmehr auch § 255 Abs. 2 Satz 2 HGB i.d.F. des BiRiLiG). Im Rahmen der Sonderkosten gehören dabei fertigungsbezogene Vorbereitungskosten als Sondereinzelkosten zu den Herstellungskosten (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 6 Anm. 990). Dagegen rechnen die Aufwendungen nicht zu den Herstellungskosten, die nach dem jeweils gegebenen betrieblichen Ablauf als allgemeine Forschungs- und Entwicklungskosten oder sonstige nicht abgrenzbare Gemeinkosten anzusehen sind (BFH-Urteil vom 23. November 1978 IV R 20/75, BFHE 126, 448, BStBl II 1979, 143, unter 2 b). In diesem Sinne als allgemeine Forschungs- und Entwicklungskosten sind nach dem Urteil des III. Senats des BFH vom 17. Dezember 1976 III R 141/74 (BFHE 121, 122, BStBl II 1977, 234, unter 3) die Aufwendungen für eine zweckgebundene Forschung und Entwicklung zu betrachten; sie sind somit keine Herstellungskosten der später hergestellten fertigen und/oder unfertigen Erzeugnisse (gleicher Auffassung die herrschende Meinung im Schrifttum: s. Haver, BB 1954, 653; derselbe, BB 1959, 125; Döllerer, BB 1957, 986; Flume, Der Betrieb - DB - 1958, 1045; Schmidt / Seeger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., 1986, Anm. 42; anderer Auffassung: Erhardt, BB 1955, 990; Kiehne, DB 1970, 405). Dabei bezeichnen die Begriffe ,,zweckgebundene Forschungs- und Entwicklungskosten" neben den Kosten für die Grundlagenforschung einen Teil der bei der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit anfallenden Aufwendungen (vgl. Hottmann, Forschungs- und Entwicklungskosten in Handels- und Steuerbilanz, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1982, 286, 287; Herrmann / Heuer / Raupach, a.a.O., § 6 Anm. 1753).

Der erkennende Senat schließt sich der dargelegten Rechtsauffassung des III. Senats an. Die Kosten zur Neuentwicklung eines Erzeugnisses können grundsätzlich nicht als fertigungsbezogene Vorbereitungsaufwendungen (Herstellungskosten) angesehen werden, da das bezweckte Ergebnis der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit nicht mit einem konkreten Erzeugnis so in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, daß es als dessen Vor- und Zwischenstufe anzusehen ist (Wirtschaftsprüferhandbuch 1985/86, Bd. I S. 604).

cc) Da die Entwicklungskosten nach den vorstehenden Ausführungen auf einen vor dem Beginn der Produktherstellung liegenden betrieblichen Abschnitt entfallen, kann ihre Aktivierung nicht als Teil der Herstellungskosten der noch nicht in Bau befindlichen Maschinen zum 31. Dezember 1967 auf den koordinierten Ländererlaß der Finanzverwaltung über die steuerliche Behandlung von Forschungs- unter Entwicklungskosten (s. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1958 S 2118 - 6184/V B - 1, BStBl II 1958, 189) gestützt werden, der bezüglich des Ansatzes der streitigen Entwicklungskosten in der Bilanz zum 31. Dezember 1967 nach Auffassung der Finanzverwaltung noch anzuwenden war (s. Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vom 11. Juli 1971 F/IV B 2 - S 2133 - 3/71, BB 1971, 809). Nach Nr. 2 des Erlasses vom 4. Dezember 1958 (BStBl II 1958, 189) sind Aufwendungen für die Neuentwicklung eines Erzeugnisses nach den allgemeinen Grundsätzen im Rahmen der Herstellungskosten zu aktivieren, wenn die entsprechenden Arbeiten nach der Verkehrsauffassung bereits als Beginn der Herstellung eines bestimmten Erzeugnisses anzusehen sind.

dd) Ob darüber hinaus aufgrund des genannten Erlasses die streitigen Entwicklungskosten unter den sonstigen Aktiva hätten bilanziert werden können (s. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1958, a.a.O., Nr. 2, Sätze 1 bis 3; Nissen, Deutsche Steuer-Rundschau 1959, 49, 51 Ziff. V 2), kann der Senat offenlassen. Denn eine Aktivierung unter dem allein nach § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 begünstigten Vorratsvermögen kommt nach den zuvor dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht in Betracht (Döllerer, BB 1957, 968 unter VII.).

2. Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der Umstand, daß die Klägerin die streitigen Entwicklungskosten in der Steuerbilanz, aufgrund der die Ertragsteuern der Klägerin festgesetzt wurden, unter dem Vorratsvermögen als unfertige Erzeugnisse aktiviert hat. Gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 ist für die Entlastung des Vorratsvermögens bei Unternehmen, die zum Schluß des Jahres 1967 für die steuerliche Gewinnermittlung eine Vermögensübersicht aufzustellen haben, von dem in dieser Übersicht anzusetzenden Wert auszugehen. Hiernach ist der in der Bilanz zum maßgebenden Stichtag zulässigerweise tatsächlich angesetzte Wert anzusetzen (vgl. Weiß in Eckhardt / Weiß, Umsatzsteuergesetz, Bd. 2, 1975, § 28 Anm. 48). Die streitigen Entwicklungskosten durften in der Steuerbilanz zum 31. Dezember 1967 nicht als unfertige Erzeugnisse unter dem Vorratsvermögen angesetzt werden.

3. Die Klägerin trägt in ihrer Revisionserwiderung im einzelnen vor, bei den in der Bilanz zum 31. Dezember 1967 aktivierten Aufwendungen handele es sich überwiegend um Kosten der Serienreifmachung. Dieser Vortrag muß im Revisionsverfahren unberücksichtigt bleiben, soweit er neue Tatsachen enthält. Weder im Urteil der Vorinstanz noch in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung sind entsprechende Feststellungen enthalten.

Des weiteren ist das Vorbringen der Klägerin auch nicht in der Form einer zulässigen Verfahrensrüge in das Revisionsverfahren eingeführt worden. Zwar kann eine entsprechende Verfahrensrüge als sog. Gegenrüge ohne Bindung an die Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 2 FGO) grundsätzlich bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden (BFH-Urteil vom 19. März 1970 IV R 72/69, BFHE 99, 21, BStBl II 1970, 497). Der Revisionsbeklagte kann aber im Wege der Gegenrüge nur solche Tatsachen in das Revisionsverfahren einführen, die er nicht bereits aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon vor dem FG hätte geltend machen können (BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802). Diese Voraussetzungen für eine zulässige Gegenrüge sind im Streitfall nicht gegeben. Die Klägerin hat nicht dargetan, daß sie entsprechend ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht schon vor dem FG auf die einzelnen durchgeführten Arbeiten hingewiesen hat, zumal sich aus den dem Senat vorliegenden Akten entnehmen läßt, daß unter den Beteiligten die Einordnung der entsprechenden Aufwendungen unter die Entwicklungskosten der Maschinen nicht streitig war und ist.

Aber auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Klägerin kommt der Senat zu keinem anderen Ergebnis. Denn die von der Klägerin im einzelnen aufgeführten Arbeiten zur Serienreifmachung der Maschinen kennzeichnen keine Vor- oder Zwischenstufe der später hergestellten fertigen und unfertigen Erzeugnisse. Eine Aktivierung der entsprechenden Aufwendungen unter dem allein gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 entlastungsfähigen Vorratsvermögen scheidet somit aus.

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 534

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