Leitsatz (amtlich)

Beiträge, die nach der Satzung eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit aufgrund einer allgemeinen und für alle Mitglieder gleichen Pflicht ohne besondere Gegenleistung auf einen sogenannten Garantiefonds zu zahlen sind und die dann für die Dauer der Mitgliedschaft unkündbar sind, sind keine Darlehen, sondern gesellschaftliche Einlagen oder Mitgliedsbeiträge.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 56 Abs. 1 Nr. 3; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 62 Abs. 1; BewDV § 53 Abs. 1; VAG § 37

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige (Klägerin und Revisionsbeklagte) ist eine Kasko-Versicherungsgesellschaft a. G. Nach §§ 1 und 2 ihrer vom Bundesaufsichtsamt am 20. Mai 1958 genehmigten Satzung versichert sie ihre Mitglieder, die Schiffseigner (Partikularschiffer), gegen Verlust und Beschädigung ihrer Schiffe durch Unglücksfälle und damit zusammenhängende Schäden. Die Mitglieder haben ein Eintrittsgeld, alljährlich festgesetzte Jahresbeiträge zur Bestreitung der laufenden Ausgaben und bei Fehlbeträgen Nachschüsse zu leisten (§§ 56 ff. der Satzung). Die Steuerpflichtige hat einen "Einlagefonds (Garantiefonds)" gebildet. § 61 der Satzung bestimmt hierzu folgendes:

"§ 61

Es wird ein Einlagefonds (Garantiefonds) gebildet. Er hat den Zweck, vorübergehend zur Deckung von außerordentlichen Schadensfällen (Katastrophenfällen) zu dienen. Die Höhe und die Fälligkeit dieser Einlagen bestimmt die Mitgliederversammlung. Diese Einlagen sind unverzinsliche Darlehen.

Sie sind beim Ausscheiden des Mitglieds in voller Höhe zurückzuzahlen. Während der Mitgliedschaft kann die Einlage nicht gekündigt oder zurückgefordert werden."

Es besteht daneben noch eine sogenannte "Verlustrücklage". Sie soll nach § 62 der Satzung "zur Dekkung eines aus dem Geschäftsbetrieb sich ergebenden außergewöhnlichen Verlustes" dienen. Ihr fließen die jeweiligen Zinsen aus der Rücklage und nach den Beschlüssen der Mitgliederversammlung etwaige Jahresüberschüsse und sonstige Beträge zu.

Das FA (Beklagter und Revisionskläger) stellte durch Bescheid vom 28. August 1964 den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1963 fest. Es behandelte die Einzahlungen auf den Garantiefonds nicht als Darlehen der Mitglieder, sondern als Eigenkapital der Steuerpflichtigen. Der Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Berufung statt und setzte den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1963 herab. Es führte aus: Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil I 44/57 U vom 13. Januar 1959, BFH 68, 515, BStBl III 1959, 197) sei jeder Gesellschafter berechtigt, der Gesellschaft Darlehen zu geben. Er könne seiner Gesellschaft auch günstigere Bedingungen als fremden Gläubigern einräumen und insbesondere auf die ihm nach der Marktlage zustehenden Zinsen verzichten. Hierdurch würde das Darlehen nicht zur Einlage und nicht zu Eigenkapital der Gesellschaft. Verdecktes Stammkapital liege erst vor, wenn die Darlehnsbedingungen nach steuerlicher Beurteilung eine Mitunternehmerschaft begründeten oder wenn die Mittel zwingend in Form von Einlagen hätten gegeben werden müssen. Hierfür sei das FA beweispflichtig. Im Streitfall liege kein verdecktes Vereinskapital vor. Die Steuerpflichtige gewähre den Vereinsmitgliedern für die Hingabe der Darlehen keine Sonderrechte, die den Darlehnsbeträgen Beteiligungscharakter gäben; denn nach der Satzung würden sämtliche Mitglieder in gleicher Weise zu Leistungen für den Garantiefonds herangezogen. Der Beteiligungscharakter der Darlehen ergebe sich auch nicht aus den Rückforderungs- oder Kündigungsbestimmungen der Satzung. Ein Rückforderungs- oder Kündigungsrecht sei nicht ausgeschlossen worden; es dürfe nach § 61 Abs. 2 der Satzung nur für die Dauer der Mitgliedschaft nicht ausgeübt werden. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß die Zuführung weiterer Mittel objektiv notwendig gewesen sei und daß die Gesellschafter hätten einspringen müssen, weil das erforderliche Kapital auf dem Markt nicht hätte beschafft werden können. Die Bilanz zum 31. Dezember 1962 sei nur durch die Verbindlichkeiten aus dem Garantiefonds passiv gewesen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Mittel des Fonds zur Fortführung des Geschäftsbetriebs der Steuerpflichtigen notwendig gewesen seien.

Das FA legte gegen das Urteil Revision ein mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es ist der Ansicht, es komme nicht auf die äußere Bezeichnung, sondern auf den wirtschaftlichen Gehalt der Mitgliederleistungen an. Nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise habe der Garantiefonds wegen der Verfügungsbeschränkungen der Mitglieder die Funktion von Eigenkapital. Aus einem Schreiben der Steuerpflichtigen an den Oberfinanzpräsidenten vom 22. Oktober 1968 sei zu entnehmen, daß auch die Steuerpflichtige den Garantiefonds als Eigenkapital ansehe. Die Steuerpflichtige habe dort ausgeführt, das Bundesaufsichtsamt verlange nunmehr, daß sie die Verlustrücklage, also das Eigenkapital des Versicherungsvereins, wieder auffülle, obwohl dies "zu der einschneidenden und gänzlich unberechtigten Konsequenz der Abschöpfung durch die Körperschaftsteuer" führe. Sie wolle die im Garantiefonds vorhandenen Einlagen durch einen einmaligen Vorgang in die Verlustrücklage überführen, falls die OFD ihr den Erlaß der hierdurch anfallenden Körperschaftsteuer zusage.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 56 Abs. 1 Nr. 3 BewG bilden alle Wirtschaftsgüter, die einem Versicherungsverein a. G. gehören, einen gewerblichen Betrieb, wenn der Verein seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz im Inland hat. Nach § 62 Abs. 1 BewG sind bei der Ermittlung des Einheitswerts vom Rohvermögen die Schulden abzuziehen, die mit der Gesamtheit oder mit einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Bei Versicherungsunternehmen sind nach § 62 Abs. 2 BewG auch die versicherungstechnischen Rücklagen abzuziehen. Die Steuerpflichtige ist ein Versicherungsverein a. G. Der von ihr nach § 61 der Satzung von 1958 gebildete Garantiefonds ist keine versicherungstechnische Rücklage, da der Fonds kein Schuldposten oder Abgrenzungsposten im Sinne des § 53 Abs. 1 BewDV ist, der für Leistungen aus den laufenden Versicherungsverträgen erforderlich ist. Es handelt sich vielmehr um eine Katastrophenrücklage für künftig möglicherweise einmal eintretende außergewöhnliche Verluste aus dem technischen Geschäft. Die dem Garantiefonds zugeführten Mittel können daher nur dann vom Rohvermögen der Steuerpflichtigen abgezogen werden, wenn sie entsprechend dem Vorbringen der Steuerpflichtigen Darlehen der Mitglieder darstellen.

Der erkennende Senat läßt es dahingestellt sein, ob es sich bei Leistungen der Mitglieder eines Versicherungsvereins a. G. zu einem Garantiefonds um Einlagen oder um Versicherungsentgelte handelt (vgl. BFH-Urteile I 32/53 U vom 21. April 1953, BFH 57, 450, BStBl III 1953, 175; II 64/58 U vom 11. Oktober 1961, BFH 73, 807, BStBl III 1961, 560). Denn bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ist nur von Bedeutung, ob die in diesem Fonds angesammelten Mittel Eigenkapital oder nach § 62 Abs. 1 BewG abziehbare Schulden sind. Die angeführte Rechtsprechung des I. und II. Senats des BFH ging davon aus, daß solche Einlagen bzw. Versicherungsentgelte ipso iure zum Eigenkapital der Gesellschaft geworden sind. Die auf dem Garantiefonds angesammelten Mittel sind auch im Streitfall als Eigenkapital des Versicherungsvereins anzusehen. Der von der Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen des BFH-Urteils I 32/53 U, a. a. O., gebildete Garantiefonds weicht zwar dadurch vom Sachverhalt jenes Urteils ab, daß er nur "vorübergehend", d. h. bis zum Eingang von einzufordernden Nachschüssen, für eine solche Deckung verwandt werden darf und daß die von den Mitgliedern nach den Beschlüssen der Mitgliederversammlung zu erbringenden "Einlagen" nach § 61 Abs. 1 Satz 4 der Satzung von 1958 "unverzinsliche Darlehen" sein sollen. Trotzdem liegen im Streitfall bürgerlich-rechtlich und damit auch steuerrechtlich keine Darlehen vor.

Darlehen eines Mitglieds an seinen Verein unterscheiden sich bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich dadurch von gesellschaftsrechtlichen bzw. mitgliedschaftsrechtlichen Einlagen und Beiträgen, daß der Gesellschafter bzw. das Vereinsmitglied bei der Darlehnsgewährung der Gesellschaft bzw. dem Verein wie ein außenstehender Dritter gegenübertritt. Einlagen und Vereinsbeiträge sind dagegen Ausfluß des Gesellschaftsverhältnisses bzw. der Mitgliedschaft als eines personenrechtlichen Rechtsverhältnisses mit subjektiven Rechten und Pflichten. Sie sind in der Regel anzunehmen, wenn die Leistungen in der Satzung festgelegt sind, wenn ihnen keine besonderen Gegenleistungen der Gesellschaft (des Vereins) im Sinne einer Vergütung gegenüberstehen und wenn die Mittel zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks (Vereinszwecks) erbracht werden (vgl. Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., Bd. 1 § 38 Anm. 4, 16 und 17, sowie Bd. 3 § 706 Anm. 6 und 11; BFH-Gutachten I D 2/53 S vom 5. Mai 1953, BFH 57, 583, BStBl III 1953, 224, und BFH-Urteil I R 38/66 vom 9. Juli 1969, BFH 96, 559, BStBl II 1969, 744). Bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich ist der Rechtsfolgewille der Beteiligten und nicht die rechtliche Qualifikation maßgebend, die die Beteiligten ihren Erklärungen gegeben haben (vgl. auch BFH-Urteile II 93/63 vom 14. November 1967, BFH 91, 130, und II R 11, 12/67 vom 5. August 1969, BFH 96, 491, BStBl II 1969, 689). Sind die von den Gesellschaftern bzw. Vereinsmitgliedern erbrachten Leistungen schon nach diesen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen als Einlagen oder Mitgliedsbeiträge und damit als Eigenkapital der Gesellschaft (Vereins) anzusehen, so kommt es auf die steuerrechtlichen Grundsätze des verdeckten Stammkapitals nicht mehr an (vgl. Urteil des Senats III R 18/68 vom 21. März 1969, BFH 95, 402, BStBl II 1969, 430).

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige den Rechtsfolgewillen, den Mitgliedern in § 61 der Satzung des Jahres 1958 die Pflicht aufzuerlegen, dem Verein in dem Garantiefonds Gelder entsprechend den Beschlüssen der Mitgliederversammlung für die Dauer der Mitgliedschaft zur Verfügung zu stellen. Diese Leistungen hat sie in § 61 Abs. 1 Satz 4 der Satzung von 1958 zu Unrecht als unverzinsliche Darlehen bezeichnet. Die Mitglieder stehen bei diesen Einlagen der Steuerpflichtigen nicht wie außenstehende Dritte gegenüber und sie erstreben insbesondere nicht wie andere Darlehnsgläubiger eine verzinsliche Anlage ihres Kapitals. Sie haben vielmehr alle in gleicher Weise aufgrund ihrer Mitgliedschaft die Mittel zur Verwirklichung des Vereinszwecks, nämlich zur Bildung einer Liquiditätsreserve zur vorübergehenden Abdeckung von Schäden in Katastrophenfällen zu erbringen, und sie dürfen die Beträge nach § 61 Abs. 2 der Satzung während der Mitgliedschaft weder kündigen noch zurückfordern. Sie erhalten hierfür keine Sicherung und keine besonderen Gegenleistungen, insbesondere keine Verzinsung. Den Leistungen stehen lediglich die allgemeinen Vorteile der Mitgliedschaft gegenüber. Wie die Steuerpflichtige in ihrem Schriftsatz vom 8. Juli 1965 selbst ausgeführt hat, wurden die Gelder - "obwohl sie bis zum Austritt und zinslos zu gewähren (sind) -, gern gegeben im Hinblick auf die sonstigen Vorteile, welche die Mitgliedschaft im Gegenseitigkeitsverein gegenüber einer Versicherung bei einem gewerbsmäßig betriebenen Versicherungsunternehmen bietet". Beträge, die nach der Satzung aufgrund einer allgemeinen und für alle Mitglieder gleichen Pflicht ohne besondere Gegenleistung zu zahlen und für die Zeit der Mitgliedschaft unkündbar sind, können nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt entweder gesellschaftliche Einlagen oder Mitgliedsbeiträge, nicht aber Darlehen nach §§ 607 ff. BGB sein. Dem steht das BFH-Urteil I 196/65 vom 3. Juli 1968 (BFH 93, 159, BStBl II 1968, 717) nicht entgegen. Der I. Senat des BFH hatte dort bei einem gleichgelagerten Sachverhalt lediglich die Frage zu entscheiden, ob die vom FA bei der Einheitsbewertung bereits anerkannten Darlehen der Mitglieder auf den Garantiefonds Dauerschulden bei der Gewerbesteuer seien. Der I. Senat des BFH bejahte dies. Er hob aber hervor, daß er nicht prüfen dürfe, ob überhaupt echte Verbindlichkeiten vorlägen, da er insoweit an die Feststellungen des FA im Einheitswertverfahren gebunden sei.

Im Streitfall sind im übrigen die "Einlagen" auf den Garantiefonds nach dem an das FA gerichteten Schriftsatz der Steuerpflichtigen vom 19. Mai 1965 im wesentlichen vor Genehmigung der neuen Satzung im Jahr 1958 geleistet worden. Nach § 62 der alten Satzung gab es jedoch keinen Garantiefonds, sondern nur einen Reservefonds, der "das Vermögen des Vereins" bildete. Nach Lage der Akten hat die Steuerpflichtige im Jahr 1958 offenbar die Mittel des alten Reservefonds auf den neuen Garantiefonds überführt. Dies konnte sie jedoch nicht in der Weise tun, daß sie die Mittel an die Mitglieder auskehrte und sich zugleich als Darlehen wiedergeben ließ. Denn nach § 62 Abs. 1 Satz 3 der alten Satzung durfte sie nur ausscheidenden oder ausgeschlossenen Mitgliedern ihren Anteil am Vereinsvermögen zurückzahlen. Die das Vermögen des Vereins bildende Verlustrücklage nach § 62 der neuen Satzung durfte sie nach § 37 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) ebenfalls nicht an die Mitglieder ausschütten (vgl. Fromm-Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, § 37 Anm. 2 I). Die Steuerpflichtige kann sich auch nicht auf das zur Versicherungsteuer ergangene Urteil des RFH II A 308/27 vom 12. Juli 1927 (RStBl 1927, 206) berufen. Es handelte sich damals insofern um einen anderen Sachverhalt, als dort die geleisteten Garantiesummen Eigentum der einzahlenden Mitglieder blieben. Im Streitfall gingen dagegen die auf Garantiefonds geleisteten Beträge unstreitig sofort in die Verfügungsgewalt der Steuerpflichtigen über.

Wie das FA zutreffend ausführt, sieht die Steuerpflichtige den Garantiefonds offenbar selbst als Eigenkapital und nicht als Fremdkapital an. Denn sonst hätte sie nicht beschlossen, der vom Bundesaufsichtsamt angeordneten Auffüllung der Verlustrücklage (d. h. des Eigenkapitals) durch Überführung der auf dem Garantiefonds angesammelten Mittel nachzukommen, falls die OFD ihr die hierdurch entstehende Körperschaftsteuer erlassen sollte.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Da das FA die auf dem Garantiefonds angesammelten Mittel zu Recht als Eigenkapital der Steuerpflichtigen behandelt hat, ist die Klage der Steuerpflichtigen als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 800

BFHE 1971, 129

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