Entscheidungsstichwort (Thema)

Schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels

 

Leitsatz (NV)

Eine schlüssige Rüge i. S. d. § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO erfordert auch, daß sich aus dem Vorbringen ergibt, wenn eine in Bezug genommene Entscheidung den Beteiligten zugestellt worden ist, ob diese Entscheidung ihnen bei Beginn der Revisionsfrist bekannt oder zugänglich war und ob die Beteiligten die Möglichkeit hatten, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Durch Urteil vom 25. Januar 1995 wies das Finanzgericht (FG) die Klage wegen Erlaß von Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1970 und zur Ergänzungsabgabe 1970 ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) und die Oberfinanzdirektion (OFD) hätten den Erlaß ermessensfehlerfrei abgelehnt. Wegen der Einzelheiten werde auf das Urteil zum Az. XY unter gleichem Datum Bezug genommen.

Mit der Revision rügen die Kläger und Revisionskläger (Kläger) Verletzung des § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochene Urteil sei nicht mit Gründen versehen. Es sei zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn das FG in seinem Urteil auf die Entscheidungsgründe einer am selben Tag getroffenen Entscheidung einer anderen Sache verweise. Allerdings sei dies dann unzulässig, wenn die Entscheidung, auf die verwiesen werde, nicht zwischen den Beteiligten, sondern zwischen anderen Beteiligten anhängig gewesen sei. Nach Ablauf der Begründungsfrist haben die Kläger ergänzend vorgetragen, daß sie -- von dem Kläger zu 4 abgesehen -- keine Möglichkeit gehabt hätten, das Urteil des FG XY zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn die Kläger beider Verfahren durch dieselben Prozeßbevollmächtigten vertreten worden seien. Aufgrund der Schweigepflicht seien ihre Prozeßbevollmächtigten gehindert gewesen, ihnen dieses Urteil zugänglich zu machen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben.

Das FA hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig; der Verfahrensmangel ist nicht schlüssig gerügt worden.

Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i. S. des § 116 FGO schlüssig gerügt wird. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO ergeben. Die zur Begründung des Mangels erforderlichen Tatsachen müssen lückenlos vorgetragen werden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, .§ 116 Rz. 3, m. w. N.).

Nach § 105 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 FGO muß ein Urteil Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt vor, wenn die Beteiligten keine Möglichkeit haben, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das ist z. B. der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417) oder wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt oder auf welche rechtlichen Erwägungen die Entscheidung gestützt wird. Dabei können sich die Entscheidungsgründe auch aus der Bezugnahme auf andere Urteile ergeben (BFH-Urteil vom 10. April 1984 VIII R 229/83, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591). Allerdings muß das in Bezug genommene Urteil (in der Regel) zwischen denselben Beteiligten ergangen sein (BFHE 141, 113, 115, BStBl II 1984, 591), da das FG die Gründe seiner Entscheidung nur dadurch ersetzen darf, daß es auf eine Urkunde verweist, deren Inhalt dem Kläger bei Beginn der Revisionsfrist bekannt oder zugänglich war (vgl. BFH-Urteile vom 28. März 1984 I R 117/83, BFHE 141, 206, BStBl II 1984, 666; vom 3. Februar 1988 I R 134/84, BFHE 153, 14, BStBl II 1988, 588, und vom 30. September 1988 III R 27/87, BFH/NV 1989, 511).

Bei Anwendung dieser Grundsätze hätten die Kläger innerhalb der Begründungsfrist daher auch vortragen müssen, daß sie keine Möglichkeit hatten, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das ist nicht geschehen; die Kläger haben insoweit nur vorgetragen, daß die in Bezug genommene Entscheidung am selben Tag getroffen worden ist. Aus dem Vorbringen der Kläger ergibt sich indes nicht, wann diese Entscheidung den Beteiligten zugestellt worden ist, ob diese Entscheidung ihnen bei Beginn der Revisionsfrist bekannt oder zugänglich war und ob sie die Möglichkeit hatten, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Diese Möglichkeit war insbesondere deshalb zu erörtern, weil die Kläger durch dieselben Prozeßbevollmächtigten vertreten wurden wie die des FG-Verfahrens XY.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 134

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge