Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis für Beschwerde gegen verweigerte Akteneinsicht

 

Leitsatz (NV)

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen eine die Akteneinsicht ablehnende Entscheidung des FG entfällt, wenn der Kläger von der Gewährung der Akteneinsicht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens aus von ihm zu vertretenden Gründen keinen Gebrauch macht.

 

Normenkette

FGO § 78

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legten mit Schriftsatz vom 15. November 1990 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1989 ein u.a. mit der Begründung, der Grundfreibetrag sei zu niedrig, die beschränkte Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip und der Bescheid sei nicht ordnungsgemäß adressiert. Am 19. Februar 1991 teilte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Kläger u.a. mit, es sei wegen z.Zt. anhängigen Verfassungsbeschwerden unklar, ob sich daraus Folgerungen für den Grundfreibetrag ergäben. Das FA beabsichtigte deshalb, bei Zustimmung der Kläger den Einkommensteuerbescheid 1989 insoweit vorläufig zu stellen. Die Kläger verweigerten die Zustimmung hierzu und baten um eine klagefähige Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 24. Juni 1991 erhoben die Kläger Untätigkeitsklage nach § 46 der Finanzgerichtsordndung (FGO). Am 4. Sep- tember 1991 wurde dem Prozeßbevollmächtigten die Ladung zur mündlichen Verhandlung zum 2. Oktober 1991 10.25 Uhr zugestellt. Mit Schriftsatz vom 25. September 1991, beim Finanzgericht (FG) eingegangen am 25. September 1991, beantragte der Prozeßbevollmächtigte Akteneinsicht beim FA oder beim Amtsgericht für die Zeit nach dem 26. September 1991. Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG lehnte am 24. September 1991 eine Übersendung der Akten an das FA oder das Amtsgericht ab, da eine rechtzeitige Rückkehr der Akten bis zum Tag der mündlichen Verhandlung nicht gewährleistet sei. Er stellte dem Prozeßbevollmächtigten anheim, die Akten am 27. September 1991 in der Geschäftsstelle des FG einzusehen. Der Prozeßbevollmächtigte nahm diese Möglichkeit nicht wahr.

Das FG wies die Klage auf Grund der am 2. Oktober 1991 durchgeführten mündlichen Verhandlung als unzulässig ab. Die Revision ließ das FG nicht zu.

Hiergegen legten die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein, die unter dem Az. X B 25/92 beim erkennenden Senat anhängig war und durch Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen wurde. In der Beschwerdeschrift beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, ihm im Beschwerdeverfahren Einsicht in die Gerichts- und Steuerakten beim Amtsgericht zu gewähren.

Daraufhin gewährte der Vorsitzende des erkennenden Senats mit Verfügung vom 27. Januar 1992, abgesandt am 28. Januar 1992, die Möglichkeit der Akteneinsicht beim Amtsgericht bis spätestens 20. Februar 1992. Der Prozeßbevollmächtigte nahm die Akteneinsicht nicht wahr. Er teilte vielmehr dem Vorsitzenden des erkennenden Senats mit Schreiben vom 10. Februar 1992 mit, er wolle von der ihm gewährten Möglichkeit der Akteneinsicht keinen Gebrauch machen. Er befürchte, andernfalls das Rechtsschutzinteresse

für eine Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht durch das FG zu verlieren, und verwies insoweit auf einen Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Juli 1991 III B 152/87 (BFH/NV 1992, 49).

Mit Schreiben vom 30. März 1992 erhoben die Kläger die vorliegende Beschwerde wegen Nichtgewährung von Akteneinsicht durch das FG. Sie machen geltend, das FG habe die Akteneinsicht unter Umständen gewährt, die einer Nichtgewährung gleichkomme.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch Beschluß (§ 132 FGO) außerhalb der mündlichen Verhandlung in der durch den Senatsgeschäftsverteilungsplan vom 23. Dezember 1991 und vom 9. Januar 1992 näher geregelten Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 FGO). Selbst bei weitestgehender Auslegung des § 21g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 8. November 1967 IV C 154/65, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 811, und die im BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, unter 5c zitierten Literaturnachweise) sind durch den Geschäftsverteilungsplan des X.Senats die dort aufgestellten Grundsätze gewahrt.

II. Die Beschwerde ist statthaft. Sie ist jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

1. Entscheidungen des FG oder des Senatsvorsitzenden des FG über die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht sind keine prozeßleitenden Verfügungen i.S. des § 128 Abs. 2 FGO und damit mit der Beschwerde anfechtbar (z.B. BFH-Beschluß vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; Beschluß des erkennenden Senats vom 28. Juni 1990 X B 163/88, BFH/NV 1991, 325).

2. Für die Beschwerde fehlt das auch für das Beschwerdeverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu Beschluß des erkennenden Senats in BFH/NV 1991, 325).

a) Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen die Verweigerung oder die Art und Weise der Akteneinsicht besteht nicht, soweit mit der Beschwerde geklärt werden soll, ob das FG insoweit einen Verfahrensfehler im Hinblick auf eine ergangene Sachentscheidung begangen hat. Inwieweit durch die Weigerung des Vorsitzenden, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben und die Akten an das von den Klägern benannte Amtsgericht zu übermitteln, das Recht der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt wurde, ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde und bei Zulassung der Revision im Revisionsverfahren zu entscheiden (BFH in BFH/NV 1991, 325).

b) Ziel der Beschwerde kann daher nur sein, das FG durch eine Beschwerdeentscheidung anzuweisen, die Einsicht in die Akten in der beantragten Art und Weise zu gewähren. Sind die Akten nach Abschluß der Instanz bereits beim BFH, ist die beantragte Anweisung sinnlos und kein Grund ersichtlich, weshalb die Akten mit einer entsprechenden Anweisung zunächst an das FG geschickt werden sollten, um sie dann vom FG an den von den Klägern benannten Ort zur Einsichtnahme übermitteln zu lassen.

c) Selbst wenn man bei Vorliegen der Akten beim BFH die Beschwerde gegen die Nichtgewährung der Akteneinsicht gleichwohl für zulässig hielte, entfiele das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde jedenfalls dann, wenn die Kläger nach Gewährung der Akteneinsicht durch den BFH die Akten tatsächlich einsehen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 49). Nichts anderes gilt, wenn die Kläger oder ihr Prozeßbevollmächtigter von der Gewährung der Akteneinsicht durch den BFH aus von ihm zu vertretenden Gründen keinen Gebrauch machen.

d) Aus den genannten Gründen fehlt der Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat von der ihm durch den BFH gewährten Möglichkeit, die Akten einzusehen, keinen Gebrauch gemacht, um sich die Beschwerdemöglichkeit gegen die behauptete Nichtgewährung der Akteneinsicht durch das FG zu erhalten. Dies zeigt, daß es den Klägern nicht um die Einsicht in die Akten geht, sondern darum, Angriffspunkte gegen die Entscheidung des FG in der Hauptsache (Abweisung der Untätigkeitsklage) geltend zu machen. Diese sind jedoch, wie unter a) ausgeführt, nur im Verfahren der von den Klägern eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen.

e) Der Senat konnte die Beschwerde als unzulässig verwerfen, ohne vorher eine Nichtabhilfeentscheidung des FG (§ 130 Abs. 1 FGO) herbeizuführen. Sinn des Abhilfeverfahrens ist, aus verfahrensökonomischen Gründen das Rechtsmittelgericht nicht mit begeründeten Beschwerden zu beschäftigen (BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850). Bei einer offensichtlich unzulässigen Beschwerde, der das FG nicht abhelfen darf, würde die Rückgabe der Akten an das FG zur Herbeiführung einer förmlichen Nichtabhilfeentscheidung lediglich zu einer Verfahrensverzögerung führen, die durch den Zweck des Nichtabhilfeverfahrens nicht gerechtfertigt ist (vgl. BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, zur offensichtlich unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde). Im übrigen hat das FG der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Kläger u.a. auch als Verfahrensfehler die Nichtgewährung der Akteneinsicht gerügt haben, durch Beschluß vom 19. Dezember 1991 nicht abgeholfen und dadurch zu erkennen gegeben, daß es die Verfahrensrüge nicht für begründet hält. Es wäre eine dem Sinne des Nichtabhilfeverfahrens widersprechende Förmelei, eine weitere Nichtabhilfeentscheidung in bezug auf die behauptete Nichtgewährung von Akteneinsicht einzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418868

BFH/NV 1993, 665

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